93. Kapitel ~ Menschen, die etwas opfern.

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"Ist okay.", gebe ich nickend zurück. Ehe ich mich versehe, zieht sie mich in eine feste Umarmung.

Anschließend mache ich mich auf den Weg ins Badezimmer, wo ich eine ausgiebige Dusche nehme. Wer weiß wann ich das nächste Mal heißes Wasser zu Gesicht bekomme? Also sollte ich das nochmal ordentlich ausnutzen. Ich bin so angespannt, ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. In meinem Kopf schwirren unentwegt Vorstellungen umher, wie es hinter dem Zaun aussieht. Dabei kann ich noch nicht einmal sicher sein, dass wir es überhaupt bis dahin schaffen.

Ich hoffe nur, dass ich diese Entscheidung nicht bereuen werde. Auf dem Weg dahin könnte so einiges passieren und dahinter noch so einiges mehr. Ob dort Gefahren lauern? Für eine ehemalige Ken weiß ich reichlich wenig darüber, aber früher habe ich mich auch nicht für so etwas interessiert. Früher war ich nicht dauerhaft auf der Flucht. Ich seufze und schüttle den Kopf. Für die all die Gedanken ist kein Platz mehr in meinem Kopf, ich sollte damit aufhören.

Bevor ich das Badezimmer verlasse, werfe ich einen letzten Blick in den Spiegel.

Auch wenn ich nicht wirklich gut oder gesund aussehe, wirke ich entschlossen. Und das bin ich.

Heute wird sich mir niemand in den Weg stellen. Wenn es sein muss, kämpfe ich bis ich umfalle. Ich atme tief durch, ehe ich mich abwende und das Badezimmer verlasse.

Die Stunden bis zum Abend ziehen sich hin wie zäher Kaugummi. Doch allmählich wird es draußen immer dunkler. Und mit der verstreichenden Zeit wird die Nervosität noch größer, wenn das überhaupt möglich ist.

"Wie kommen wir eigentlich völlig unbemerkt hier raus?", fragt Dustin und sieht mit gehobenen Augenbrauen zwischen mir und Kieshiena hin und her.

Sie gibt ein kurzes Geräusch von sich, was wie eine Mischung aus aufstöhnen und lachen klingt. "Meine Eltern werden das sowieso nicht mitkriegen.", antwortet sie. "Wenn wir leise genug sind, kommen wir auch unbemerkt raus. Ich will nicht mehr hier sein, dass macht mich ganz krank. Aber dann heißt es ja endlich adios, Chicago."

Die beiden haben mittlerweile auch ihre alte Kleidung von den Ferox an. Es fühlt sich komisch an, sie wieder so zu sehen. Das macht schon fast den Anschein, als wäre alles so wie früher. Schon merkwürdig wie viel Wert wir darauf legen, die Farben unserer Fraktion zu tragen und das obwohl sie so viel schlechte Sachen getan haben. Wir werden wohl immer irgendwie dazu gehören.
Doch der Schein trügt sowieso. Es wird niemals mehr so sein. Ich kann nicht leugnen, das mich das mitnimmt. Je länger und öfter ich daran denke, desto trauriger macht es mich.

Irgendwie schaffe ich es die Gedanken daran zu verdrängen, aber die Unruhe in mir drin bleibt.

"Es wird dunkler.", sage ich, den Blick aus den Fenster werfend.
"Ich hab das Gefühl, ich kotze gleich, so viel Schiss hab ich.", wirft Dustin ein und bringt mich damit dazu mich zu ihm umzudrehen.
"Wir schaffen das.", sage ich und bin über den optimistischen Ton in meiner Stimme erstaunt.
"Natürlich schaffen wir das." Kieshiena grinst. "Bis jetzt haben wir doch auch immer alles hingekriegt."
Auch über Dustins Gesicht zieht sich schließlich ein leichtes Lächeln. "Wenn ihr das sagt, wird es wohl so sein."

Möglichst ohne einen Ton von mir zu geben, steige ich hinter Kieshiena und Dustin die Treppe herunter. Bei meinem Glück werden wir wegen mir auffliegen, weil ich es schaffe mich wie ein totales Trampeltier zu benehmen.

Willenlos | Divergent / Die Bestimmung ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt