1

4.3K 91 7
                                    

Ich wollte ein neues Leben. Nicht, weil Markus mich darum bat, sondern weil ich es brauche.
*
Verdammt zwei Jahre ist es her. Vor zwei Jahren hat Markus mir mein Herz rausgerissen. Er hat mich verlassen, mit nichts mehr als diesen Brief. An meinem Geburtstag.
Es wäre gelogen zu sagen, dass ich darüber hinweg wäre. Bin ich nicht, aber ich bin nicht mehr traurig. Oh nein, ich bin wütend. Nicht nur auf Markus, sondern auf alle. Auf Markus, weil er mich verlassen hat. Auf die wilden Kerle, weil sie Markus dabei unterstützen. Auf Jonah, weil er der verdammte Auslöser für meine momentane Situation ist. Auf meine Eltern, die mich einfach weggegeben haben, weil sie mit mir und meiner Trauer nicht klarkamen. Auf dieses Internat, weil es mehr verspricht, als es hält. Und auf meine dortige Psychologin, weil sie glaubte, dass mein einziges Problem der Brand ist, den es nie gegeben hat. Verdammt, sie haben ihren Job verfehlt! In meinen Gedanken, habe ich ihr das täglich nach geschrien. Sie hat es nie gehört. Aber wie auch, wenn ich nicht spreche? Jedenfalls hat sie es nicht verstanden und mir weiter eingeredet, dass der Brand nicht meine Schuld war.
Der Rest der Menschheit hat mir nichts getan, aber aus unerklärlichen Gründen kann ich andere Menschen nicht ertragen.

Die einzigen Menschen, die ich noch ertragen kann, sind Emelie und Sophia. Sie nerven mich nicht, indem sie mir sagen, dass ich sprechen soll. Sie waren in den zwei Jahren meine Zimmerpartner. Und jetzt wohnen wir in einer kleinen Wohnung, Nähe Köln. Als Entschädigung dafür mich weggegeben zu haben, haben meine Eltern mir den Führerschein geschenkt. Was sie damit erreicht haben, ist dass ich weggezogen bin und zu ihnen den Kontakt abgebrochen habe. Für das Auto haben ich und die zwei anderen die letzten zwei Jahre gespart. Die Wohnung leisten wir uns durch Jobs. Sophia arbeitet in einem Café und Emelie macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Nebenbei tragen Sophia und ich Zeitung aus. Ich selbst in einer Anwaltskanzlei und kümmere mich den ganzen Tag um irgendwelche Akten, ohne dabei sprechen zu müssen. Grundsätzlich hätte es nicht besser laufen können.

Wir alle drei haben Probleme, über die wir nicht reden wollen. Wir drei haben uns gegen den Rest der Welt verschworen. Was wir gemeinsam haben, ist dass unsere Probleme von Menschen stammen, die wir einst geliebt haben. Wir gehen auf unterschiedliche Weise damit um. Sophia verdrängt ihre Probleme. Sie lebt, als würde es sie nicht geben. Emelie ist da ein wenig anders. Aus Provokation hat sie sich die Haare abgeschnitten und blau gefärbt. Wenn sie ein Problem hat, dann schreit sie es herum. Man muss aber auch ehrlich sein und erwähnen, dass sie in allem ein Problem sieht. Sie hat es selbst zugegeben!
Ich bin eine Mischung aus beiden. Ich rede nicht. Weder über meine Probleme, noch über sonst etwas. Ich habe mir meine Haare wachsen lassen und braun gefärbt. Ich wollte ein neues Leben. Nicht, weil Markus mich darum bat, sondern weil ich es brauche.
Immer wenn ich in den Spiegel geguckt habe, habe ich gesehen, was ich verloren habe. Deswegen habe ich meine Haare verändert. Sie komplett abzurasieren, kam mir damals dann doch ein wenig zu radikal vor. Das Septum habe ich mir aus Provokation zu meinen Eltern stechen lassen. Emelie hat es damals gestochen. Ich erinnere mich noch gut daran. Es war weit über Mitternacht, im Winter. Sie war gerade dabei sich selbst ein weiteres Ohrloch zu stechen und mich aus Spaß gefragt, ob ich auch möchte. Ich habe genickt. An dem Abend sind meine Ohrlöcher und das Septum entstanden.
Meine Eltern waren entsetzt, also ist alles nach Plan verlaufen.

Ich hatte kein Mitleid. Nicht mal, als meine Mutter angefangen hat zu weinen. Mein Dad ist ausgerastet. Er hat geschrien und alles, was er in den letzten Jahren in sich hinein gefressen hat, an mir ausgelassen. Er wurde raus geworfen. Meine Mutter ist ihm schweigend gefolgt. Und ich hatte das erste mal seit langem eine Art Glücksgefühl. Irgendwie hat es gewirkt, als wären sie zurecht sauer und traurig. Ich wollte, dass sie sich fühlen, wie ich es tat und noch immer tue, damit sie mich verstehen.
Heute weiß ich, dass es schwachsinnig und gemein war. Trotzdem blicke ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht an diesen Punkt zurück. Sie haben es verdient.

Wir leben klein. Wir haben nicht viel. Grundsätzlich müssen wir auch jeden Monat auf das Geld gucken. Diese Wohnung können wir uns auch nur leisten, weil Sophia's Eltern Geld besitzen. Sie haben uns das alles hier ermöglicht. Durch sie haben wir unsere Jobs bekommen, mit denen wir mittlerweile die Miete selbstständig bezahlen können und sobald wir das Geld an Sophia's Eltern zurückgezahlt haben, haben wir auch mehr. Dann müssen wir uns nicht mehr von Brot und Käse ernähren. Aber bis dahin reicht es. Wenn es bedeutet, dass wir irgendwann frei sein können und unabhängig, dann ist es uns das wert. Dafür gehe ich auch gern von Montags bis Freitags in diese verdammte Anwaltskanzlei, trage nebenbei die Zeitung jeden Mittwoch aus und putze Montags, Mittwochs und Samstags die Wohnung der alten Dame.

Es ist anstrengend. Seit zwei Monaten leben wir zusammen und es gibt keinen Tag, an dem wir nicht erschöpft sind. Unsere Wohnung ist praktisch noch leer. Seit zwei Monaten schlafen wir in Schlafsäcken auf dem Boden, weil unser restliches Erspartes für die Kaffeemaschine draufgegangen ist. Sophia hat sie liebevoll Susi getauft. Emelie hat sich darüber lustig gemacht, aber sie nennt sie ebenfalls Susi. Es ist ein Traum, selbst wenn es anstrengend ist.
Ich schlafe schlecht. Mich sucht jeden Abend der selbe Traum heim. Es ist heiß, Flammen tanzen um mich herum und Jonah lacht. Jeden Abend. Die Susi vor Betten zu kaufen war jedenfalls eine gute Entscheidung.

Ich habe nicht vor, etwas zu verändern. Wenn man meinen Kopf und mein gebrochenes Herz außen vor lässt, geht es mir gut. Ich bin von den richtigen Menschen umgeben und lebe mein Leben. Alles ist okay. Nicht gut, aber okay und damit kann ich leben.
*
Herzlich Willkommen zu Part zwei zur Geschichte von Lilli und Markus🧡

Ich hab nicht viel mehr zu sagen, als Opossums helfen anderen Tieren bei der Zecken- Entfernung. Hat keinen Sinn. Hat mich lediglich glücklich gemacht.

If love could feelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt