Part 5|Naiv.

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B I L A L

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B I L A L

Sie vertraut mir jetzt. Nach dem Kuss ist sie nicht mehr geschlossen, wie davor. Ich habe sie gelockert. Ich fahre mir erschöpft übers Gesicht. Nurcan ist blind vor Gutherzigkeit. Sie sieht nicht, wie falsch ihre Umgebung ist. Es ist schon fast traurig. Wahrscheinlich noch ein Grund für ihre Brüder gewesen, sie nicht alleine zu lassen. Sie ist zu naiv. Anscheinend wurde sie noch nie verraten. Ihre gute Seele lässt mich nicht schlafen. Ich ignoriere diesen Gedanke schnell und schaue auf die Uhr. Es wird langsam Zeit, mich auf den Weg zu machen. Nurcan hat sich bereit erklärt, mir in Mathe zu helfen. Mich interessiert Schule nicht. Mich interessiert nur die eine Sache und dann bin ich weg. Dann bin ich endlich frei. Ich ziehe mir meine Jacke an und schaue mich im Spiegel an. Wirst du das wirklich durchziehen? Ich schließe meine Augen. Und wie ich das durchziehen werde. Ansonsten kann ich es jetzt mit ihr beenden. Kannst du es jetzt beenden? Rückartig öffne ich wieder meine Augen. Was soll das heißen? Natürlich kann ich es sofort beenden, wenn ich will! Ich bin ja nicht so naiv wie Nurcan. Ich zücke mein Handy und laufe raus.

»Bin in 15 Minuten da.«, schreibe ich ihr, damit sie schonmal paar Straßen vorläuft. Sie will ja nicht, dass ich sie vor ihrem Elternhaus abhole. Eigentlich zu schade, ich hätte gerne die Gesichter von ihren Brüdern gesehen. Aber um ihr keine Probleme zu machen, belassen wir es so. Ich fahre eine private Straße entlang. Von weitem erblicke ich sie, sie mich auch. Sie läuft schnell auf mich zu und schaut ständig, ob sie jemand dabei sieht. Als sie bei mir ankommt, steigt sie ein. Ich wollte gerade meine Sonnenbrille ausziehen und sie begrüßen. Ich drehe mein Kopf zu ihr—
Mein Kopf fängt an zu rauschen. Mein Kopf schlägt ungewöhnlich schnell, als ich sie erblicke. Sie sieht so unglaublich schön aus. Sie hat etwas benutzt, was ihre Wimpern dunkler gemacht hat, trägt etwas auf den Lippen und ihre Wangen sind auch etwas gerötet. Sie hat sich also geschminkt. Und wieder wiederhole ich mich. Sie sieht unglaublich schön aus. Grinsend schaut sie in mein Gesicht und spricht ein aufbrausendes „Hey", über ihre Lippen. Zum Glück habe ich meine Sonnenbrille auf, sonst hätte sie mein Blick gesehen. Ich schüttle meine Gedanken ab und setze meine charmante Art auf. Ich erwidere ihre Begrüßung.

„Wieso heute so schick gemacht? Ich dachte, wir gehen nur lernen?", spreche ich mit tickenden Augenbrauen aus, was sie zum Lachen bringt. Ihre Lache ist auch schön. Mich interessiert es wirklich. Wieso hat sie sich so schön gemacht? Etwa für mich?

„Ich bin außerhalb der Schule immer geschminkt.", antwortet sie mir und holt aus ihrer Tasche einen Stift raus. Einen ungewöhnlichen Stift. Ich bleibe vor einer Ampel stehen und beobachte sie. Das stört sie nicht sonderlich, sie dreht diesen Stift auf. Es stellt sich heraus, dass es kein Stift ist. Was ist das? Ich hebe eine Augenbraue, als ich sehe wie sie einen Spiegel auch noch dazu auspackt. Sie schmiert sich konzentriert den Lipgloss auf ihre Lippen. Ich schlucke schwer. Seit wann zieht mich sowas an? Schwer atme ich aus, weshalb ich ihre Aufmerksamkeit bekomme. Sie schaut mich an, währenddessen sie sich Lipgloss auf die Lippen macht. So kenne ich sie gar nicht.

„Es ist grün.", sagt sie nur. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Was? Erst als ein Auto hinter uns anfängt zu hupen, verstehe ich was sie meint. Schnell drücke ich auf das Gaspedal und fahre weiter. Sie fängt an teuflisch zu lachen. Ja, du hast mich diesmal gekriegt, Nurcan. Grinsend fahre ich weiter währenddessen sie lacht. Eins kann ich sicher sagen. Ich mag ihre Lache. Sie ist nicht so gespielt aufgedreht, sondern ehrlich. Ehrlich und laut. Schon so, dass es einen mitzieht.

Fertig mit dem Lernen, laufen wir eine Runde durch den Park. Wir beide gehen stumm nebeneinander. Sie ist nicht wie der Rest ihrer Familie. Ihre Brüder sind rebellisch, laut und asozial. Von ihrer älteren Schwester weiß ich nichts. Aber sie? So ruhig und unschuldig. Ein braves, zielstrebiges Mädchen.

„Was willst du eigentlich nach der Schule machen, Nurcan?", frage ich sie interessiert nach. Eigentlich sollte es mich nicht jucken. Aber ich will mehr über sie erfahren.

„Ich weiß es noch nicht so genau.", sagt sie schulterzuckend. „Wenn mein Schnitt reicht, werde ich mein Abitur nachholen und vielleicht in Richtung Farmer Medizin studieren.", wow, die kleine hat Ziele im Leben. „Du?"
Meine Augenbrauen ziehen sich gleichzeitig in die Höhe. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was aus mir werden soll. Meine Noten sind nicht gut, ich habe keine Motivation. Die einzige Motivation überhaupt in der Schule aufzutauchen, ist sie. Ich will meinen Plan erfolgreich abschließen und dann nie wieder einen von denen wiedersehen.

„In Richtung Sport wahrscheinlich.", gebe ich von mir, was halbwegs glaubwürdig ist. Ich kann ja nichts, außer Sport. Nun habe ich bedenken, dass sie mich als kompletten Versager hält und nicht mehr ranlässt. Sie schaut hoch und lächelt mich an.

„Ich glaube fest daran, dass du deinen Weg findest und erfolgreich wirst.", ihre Augen blitzen in meine. Ihr Satz sackt in meinen Kopf. Erstaunlich, dass es mich nicht kalt lässt. Nein, sogar im Gegenteil. Es berührt mich. Ich wusste nicht, dass sie etwas in mir sieht. Ohne zu zögern ziehe ich sie zu mir und lege einen Arm um ihre Taille. Jetzt oder nie.

„Nurcan...", ich habe Herzklopfen. Verstehe ich nicht. Bleib stark, Junge! Zieh es endlich durch.

„Du weißt nicht wie lange du mir den Kopf verdrehst.", fange ich an. Ihre Augen funkeln, sie schaut mich mit leicht offenem Mund an. Sie weiß gar nicht, wie attraktiv sie dabei aussieht. Denk an den Plan!

„Ich kann meine Gefühle nicht mehr länger verbergen.", innig schaue ich ihr in ihre grauen Augen. Sie hat unglaubliche Augen. Und immer wiederhole ich mich: zu schade, dass sie zu dieser Familie gehört.

„Nurcan, ich habe mich in dich verliebt.", kommt es über meine Lippen. Ich meine es nicht ernst. Wieso schlägt dann dein Herz wie wild? Gekonnt ignoriere ich meine innere Stimme und warte auf ihre Reaktion ab. Wenn sie mich jetzt nicht will, klappt mein Plan nicht. Eine Windbriese kommt uns entgegen. Ihre Locken wedeln umher. Zu schade, dass es nicht der Realität entspricht. Von ihr kommt nur ein Lächeln.

„Willst du meine Freundin sein?", ausdruckslos beobachte ich ihr Gesicht. Jetzt springen mir fast ihre Augen entgegen. Freut sie sich?—
Sie springt auf und legt ihre Arme um meinen Nacken. Überrascht ziehe ich sie enger an mich. Ich will ihre Nähe spüren. Sie soll meine Nähe spüren.

„Ja natürlich.", bei diesem Satz öffnete ich wie besessen wieder meine Augen. Bingo.

Mein Schmerz trägt deinen NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt