Part 2|Mysteriös.

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N U R C A N

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N U R C A N

Seufzend schultere ich meine Tasche und laufe den Gang entlang. Das erste Jahr beginnt. Irgendwie kann ich mich nicht freuen. Ich fahre extra für diese Schule in eine andere Stadt, damit ich meine Fachhochschulreife absolvieren kann. Vielleicht höre ich sogar nach diesem Jahr auf und fange gemeinsam mit meinem Bruder mein Abitur an. Hier bin ich ganz allein. Ich war nie allein. Aber diese Richtung gefällt mir so sehr, dass ich mich dennoch entschlossen habe, auf eine weitentfernte Schule zu gehen und das ohne meinen Zwilling. Vielleicht ist es auch besser, dass wir getrennte Wege gehen. Irgendwann werden wir beide verschiedene Dinge machen. Im Foyer sehe ich auf der Pinnwand, einen großen Zettel mit den Klassen aufgeteilt. Ich suche nach meinen Namen. Mein Finger gleitet das sanfte Blatt Papier entlang, bis ich bei meinem Namen stehen bleibe. Nurcan Barwari. 1BK1P. Wohin muss ich denn jetzt? Mein Finger gleitet weiter. Raum 110. Ich laufe von Gang zu Gang, fühle mich orientierungslos und verloren. Ohne einen Blick durch die Klasse zu führen, setze ich mich ganz weit nach vorne. Immer mehr kommen rein, ich verstehe immer mehr mein Gesicht hinter meinen schwarzen lockigen Haaren. Eine Person sitzt sich genau neben mich. Zögernd schaue ich zu ihm hoch—
Mein Herz bleibt für einen kurzen Moment stehen. Das ist er. Der Feind meiner Brüder. Erkennt er mich nicht? Oder weiß er nicht, dass ich die Schwester von denen bin? Doch so gelassen wie er ist, lehnt er sich tief in den Sitz und schaut gerade aus. Von der Seite beobachte ich jede Bewegung, die er macht. Er hat große Augen, hellbraune Augen, die mich langen, dichten Wimpern geschmückt sind. Seine Gesichtszüge sind scharf und männlich. Er hat eine grade Nase, auf die man neidisch sein könnte. Seine Haut ist rein, gesund getönt. Er hat etwas längere Haare, aber scheinen kürzer aufgrund den Locken. Sein Gesicht schellt in meine Richtung. Ich erschrick mich, als ich in seine Augen sehe. Sie haben etwas... leeres. Wie besessen. Sie wirken von Minute zu Minute immer greller, so als würde er mich von Sekunde zu Sekunde in sich hineinsaugen. Als würde er mich studieren wollen und etwas aus mir herauslesen wollen. Das ist nicht schwer bei mir. Aber bei ihm. Ich... ich kann nichts lesen. Als wäre er ganz verschlossen und einsam. Ich schlucke. Seine Augen strahlen Schmerz. Sie machen mir Angst. Ich fange an immer tiefer zu atmen. Es ist schon fast so, als würde er mir die Kehle mit diesem Blick verschnüren wollen. Er guckt nicht weg, ich schaffe es ebenso nicht wegzuschauen. Als hätte er meine Augen in einen Bann gezogen. Als wäre es seine Absicht, mich mit diesem Blick zu quälen.

„Alles gut?", spricht er mit einer gesetzten freundlichen Stimme. Zwei Reihen von hellen geraden Zähnen kommen zum Vorschein. Er wirkt schon fast wie ein Psychopath. Er ist viel zu nett.

„Ich weiß, wer du bist.", kommt es nur von mir. Ich falle ganz sicher nicht auf ihn und seine Schauspielerei rein. Er hat sicher nichts Gutes vor. In seinen Augen spiegelt sich etwas. Etwas, was ich niemals deuten könnte. Hass, Angst, Trauer... alles. Doch eins sticht hervor. Und das ist Abrechnung.

„Ich weiß auch, wer du bist.", bringt er charmant über seine schwungvollen Lippen. Wieso spüre ich eine Kraft zwischen uns beiden?

„Was sitzt du dann hier?", gebe ich verwirrt von mir. Ich verstehe ihn nicht. Hilflos schaue ich von einem Auge, in das andere. Was will er? Wieso weiß ich, dass es nicht gut enden wird?

„Darf ich nicht?", er hebt spielerisch eine Augenbraue nach oben und zwinkert mich an. Ich verziehe mein Gesicht. Was ein schmieriger Typ. Jetzt verstehe ich, wieso meine Brüder ihn hassen. Er ist einfach Fake.

„Ach, komm hab' dich nicht so.", sagte er und wollte mir sarkastisch gegen die Schulter boxen, doch ich weichte ihm aus. Er widert mich an. Da ist mir sein Aussehen völlig egal. Ich widme meine Aufmerksamkeit dem Lehrer, der gerade durch die Tür kommt. Er ruft jeden mit dem Nachnamen auf.

„Hier!", rufe ich und strecke meine Hand aus, damit er mich wahrnimmt. Er zählt weitere Nachnamen auf, bis sein Nachname aufkommt.

„Jamil?", fragt der Lehrer und schaut noch nicht mal nach. Bilal sitzt sich gerade auf und gibt ein arrogantes „auch hier" von sich. Ich weiß nicht, was dieser Typ an sich hat, aber er wirkt anziehend. Schnell weg mit diesem Gedanke! Ich bin doch gestört! Wie kann es sein, dass ein dahergelaufener Typ meine Aufmerksamkeit bekommt, ohne etwas zu machen?! Nurcan, hab' verdammt nochmal Forderungen! Es klingelt zur Pause. Schnell schultere ich meine Tasche und drängle mich an Bilal vorbei. Ganz schnell weg von ihm. Ich verlasse das Klassenzimmer und bin erleichtert, dass ich diese Stunde schon geschafft habe—
Eine Hand greift nach meiner Schulter. Ich halte inne, da ich immer zu 100% sicher bin, um wem es sich handelt.

„Was willst du?", fragte ich harsch und ließ ihn nicht mal zu Wort kommen. Er fängt an zu grinsen und legt sich eine Hand auf den Nacken. Seine Augen sind zu, er reicht mir mit seiner freien Hand einen Kugelschreiber. Meinen Kugelschreiber. Verdattert greife ich danach, entschuldige mich noch nichtmal und drehe mich um. Er ergreift wieder mein Arm und zieht mich zu sich- viel zu nah zu sich.

„Ich weiß, dass deine Brüder mich nicht sonderlich mögen. Aber du scheinst ein wirklich nettes Mädchen zu sein.", verzweifelt sehe ich in sein Gesicht. Wie kann er die Situation so verharmlosen?

„Willst du mit mir die Pause verbringen? Wie es aussieht, hast du noch keine Freunde gefunden.", belächelte er die Aussage, mich als Außenseiter zu betiteln. Sag nein. Aber er hat recht. Ich habe immer noch nicht jemanden gefunden, mit dem ich mich hier totschlagen könnte. Wir beide alleine. Das ist nicht gut. Wenn meine Brüder das mitkriegen—

„Das bleibt auch unter uns, wenn du es so möchtest.", fügt er hinzu und kommt mir somit entgegen. Ich schaue mich um, um nach bekannten Gesichtern zu schauen. Ich werde diese Entscheidung bestimmt in der Zukunft bereuen. Solange ich keinen habe, kann ich mit ihm meine Zeit umschlagen. Nickend stimme ich seinem Angebot zu. In seinen Augen tut sich was.

Das pure Strahlen des Bösen.

Mein Schmerz trägt deinen NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt