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«Jungkook«

„Ich kann nicht fassen, dass wir wirklich von da oben heruntergesprungen sind!", murmelte ich ungläubig, während ich versuchte mein nasses Oberteil auszudrücken, damit wenigstens etwas Wasser entwich. Mein Kopf schwirrte und meine Kehle schmerzte, als hätte ich Rasierklingen verschluckt.

Jimin und Hoseok saßen erschöpft vom Schwimmen auf dem Boden und beobachteten mich dabei.

„Wir hätten sterben können", stellte Jimin geschockt fest.

„Können, ist das richtige Wort! Da oben auf der Brücke wären wir auf jeden Fall gestorben", kam Hoseok mit einem Gegenargument, woraufhin der Silberhaarige zu einem Widerspruch ansetzte, sich jedoch dagegen entschied. Jimin wusste, wann es sinnvoll war eine Diskussion fortzuführen. Dieses Mal war es dies nicht.

„Ich denke unsere neuen Klamotten sind auch nass", sagte ich seufzend.

Bei meinem Einwurf begann Jimin die unsere Rücksäcke und deren Inhalt zu untersuchen. Es war nicht einmal so viel Wasser in die Taschen durchgesickert, da sie aus Leder oder einem ähnlichen Stoff hergestellt wurden, sodass sie fast als wasserdicht gelten konnten. Dennoch war die Kleidung nicht ganz verschont geblieben. Aber das Essen schien sicher und verschlossen zu sein.

„Was ein Glück, sonst wäre alles umsonst gewesen", sagte Jimin erleichtert und ließ sich nach hinten auf den Rücken fallen.

Die Strömung hatte uns weit von der Brücke weggespült, bis sie von hier aus kaum noch zu sichten war. Einige Meter waren wir ohne Hilfe der Strömung weitergeschwommen, bis wir in einem kleinen Waldgebiet aus dem Fluss kletterten, der eher einem großen See ähnelte.

„Aber wir haben jetzt gar keine Getränke holen können."

„Wir können zu irgendeinem Kiosk oder zu einer Tankstelle gehen und danach gehen wir zu mir", schlug Hoseok vor.

Ich fragte mich immer noch, warum Hoseok sowas wie ein Zuhause besaß, was nicht gemein klingen sollte. Nur schien dieser Gedanke so abwegig, nach allem, was geschehen war. Okay, Jimin und ich hatten uns auch noch einen ganzen Monat in dem Keller meines Hauses versteckt, aber die Stadt, in der wir gewohnt hatten, ähnelte nicht ansatzweise einer Großstadt. Dort hausten von vornherein nicht so viele Menschen, die verrückt werden konnten. Und selbst von dort waren wir zwei geflüchtet.

„Okay, lass uns gehen." Jimin erhob sich und auch Hoseok stand auf.

Er führte uns durch die Straßen, die ziemlich verlassen wirkten, dennoch blieben wir auf der Hut, auch wenn unsere mangelnden Kraftreserven wahrscheinlich nicht unbedingt unsere hundertprozentige Aufmerksamkeit förderte. Mehr als nervöse Blicke und dynamische Kopfbewegungen in alle Richtungen gelang mir nicht. Auch Jimin traute der ganzen Sache nicht. Er sah mich unsicher an und ich erwiderte seinen Blick. Hoseok bekam unser Austausch von skeptischen Gesten mit, und hatte sofort eine Antwort parat.

„In dieser Gegend gibt es kaum bis gar keine von diesen Dingern. Die meisten, die hier mal gelebt haben, sind von der Krankheit schon gestorben oder wurden erst von..., wie auch immer ihr sie nennt..., getötet worden. Die Glücklichen."

Die Erdbeben hatten auch hier einen Großteil der Stadt zerstört. Die meisten Gebäude standen noch irgendwie, im Sinne von, dass sie noch nicht vollständig zusammenbrachen. Die Straßen waren mit Glassplittern übersät und dicke Brocken aus Beton und Ziegelsteinen erschwerten uns das Vorankommen. Überall standen zurückgelassene Autos herum, die es uns unmöglich machten in einer geraden Linie zu laufen. Die Straßen wurden zu einem Labyrinth, in dem wir nur mühsam vorankamen, weil wir uns im Zickzack an den Fahrzeugen vorbeidrängen mussten. Manchmal mussten wir sogar über die Autos klettern, weil es keine einzige Lücke gab, durch die wir uns hätten quetschen können.

„Hier sind so...viele Leichen", presste Jimin neben mir hervor.

Seine Stimme spiegelte einen Misch aus Angst, Bedauern und Wut wider.

Unzählige Leichname lagen auf den Straßen, den Gehsteigen, in den Autos, auf Bänken, ...einfach überall. Einige von ihnen begannen sogar zu verwesen oder waren es bereits. Obwohl wir uns im Freien bewegten, schien es nicht besonders schwer zu sein, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, dass man sich in einem Leichenhaus aufhielt.

„Dort drüben ist eine Tankstelle. Gehen wir rein?", fragte ich und deutete auf die unscheinbare Tankstelle, die halb in einem Graben eingestürzt war.

Genauso wie Jimin, der bei dem Anblick des Gebäudes sein Gesicht verzog, empfand ich keine allzu große Hoffnung, dennoch beschlossen wir nichtsdestotrotz den Versuch zu wagen. Auf der einen Seite, weil wir es uns nicht leisten konnten woanders nach frischem Wasser zu suchen, und auf der anderen Seite, weil wir schlichtweg schleunigst von diesen Straßen herunterwollten, die uns anscheinend ins Gesicht spuckten, dass die Welt zerstört war.

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Die Eingangstür der Tankstelle war zertrümmert worden. Auch hier lagen unzählige Glasscherben auf dem Fliesenboden, und wir versuchten, so wenig Lärm wie möglich zu machen, als wir auf das Glas traten, falls jemand in der Nähe war. Die gesamte Verkaufsfläche war verwüstet worden. Schokoriegel, Kartoffelchips und alle möglichen Knabberartikel lagen in den Gängen verstreut herum, viele davon zerquetscht und zertreten. Kanister mit Motoröl waren geöffnet und gegen die Wand geworfen worden, wo sich ein schwarzer, glänzender Abdruck auf dem Fußboden abzeichnete. Fußabdrücke führten hinter die Theke, wo die Kasse ausgeraubt wurde, wobei ich mich ernsthaft fragte, wer in dieser Welt noch Geld benötigte. Vielleicht jemand, der die Angewohnheit der alten Zeiten nicht abgelegt hatte.

„Kook, lass uns in den Kühlschränken nachsehen, ob Getränke übrig sind", riss Jimin mich aus meiner kleinen Welt.

Ich nickte, aber bevor ich mit ihm ging, sah ich noch einmal zu Hoseok. Er selbst schien in Gedanken zu stecken und rührte sich nicht vom Fleck.

„Hoseok? Alles okay?", fragte ich besorgt und legte den Kopf schief.

„Huh...? Oh, natürlich. Nur Erinnerungen.", erwiderte er etwas lachend.

„Bist du dir sicher?"

„Ja, aber sag mal, wie alt bist du eigentlich?" Mir war bewusst, dass gezielt von dem Thema ablenkte, aber ich dachte mir nichts dabei, und spielte stattdessen mit.

„Mhm? Ich bin im letzten September achtzehn geworden."

„Dann musst du mich 'Hyung' nennen, denn ich bin schon zweiundzwanzig Jahre alt", sagte er amüsiert.

„Ok. Dann nenne ich dich ab sofort 'Hyung'„, versicherte ich ihm ihn und schenkte ihm ein kleines Lächeln.

„Kook, kommst du?", rief Jimin von einer Ecke des Ladens aus, und ich machte mich sofort auf den Weg zu ihm.

Try to Stay Alive ᵛᵏᵒᵒᵏ [✔]Where stories live. Discover now