29. Außer Verstand

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,,Wie lange seid ihr schon hier?", fragte Karasuma die Frauen. Seine tiefe Stimme ließ sie aufhorchen. Sie hörten auf zu schreien und starrten ihn an.

Auch die Blondine musterte ihn länger als mich. ,,Keine Ahnung, seit ein paar Tagen. Ein Mann wie ihr hat mich hier hin verschleppt, um sich an mir zu vergreifen."
,,Hat er es gemacht?"
Sie schüttelte langsam den Kopf.

,,Gut", sagte er erleichtert. ,,Ist es in Ordnung, wenn wir zu euch kommen? Wir werden euch nichts tun, wir wollen nur die Fesseln lösen."
Sie rührten sich nicht.
,,Nicht anfassen", hauchte eine schließlich.

Er kam geduldigen Schrittes auf das Bett zu. Ich folgte ihm, weniger geduldig. Mir fehlte einfach das Feingefühl, das Nagisa hatte. Er hätte die Situation besser gemeistert.

,,Wie heißt du?", fragte Karasuma während er die Blondine befreite, darauf bedacht, nicht an ihre Haut zu kommen. Ihr Rücken knackte, als sie sich aufsetzte. Sie hatte zu lang gelegen.

Trotzdem strotzte ihr Blick nur so vor Selbstbewusstsein, ja fast schon Provokation, als sie zu ihm hochlächelte und mit der Hand über ihre nackten Brüste fuhr. ,,Irina."

Er gefällt ihr.

,,Kümmer du dich um sie, Karasuma", sagte ich matt. ,,Sie ist noch bei Sinnen. Bring sie irgendwo hin, wo sie ihre Ruhe hat und sich vom Schock erholt. Sie braucht Kleidung und eine warme Mahlzeit."

Er nickte. ,,Kannst du stehen?"
,,Was ist das für eine Frage, natürlich kann ich das", schnaubte sie, doch sobald sie sich aufrichtete, knickten ihre Beine weg und er fing sie gerade rechtzeitig auf.
,,Von wegen", knurrte er.

Erst jetzt merkte ich, wie stark sie zitterte. Karasuma streifte seine Jacke ab und legte sie auf ihre Schultern.
,,Wo sind wir hier?", fragte sie und klang zum ersten Mal ratlos. ,,Ist das der Himmel? Seid ihr Engel?"
,,Haha, wohl eher das Gegenteil", feixte ich.

,,Kein Engel würde einem Menschen sowas antun", erklärte Karasuma. ,,Der Mann der euch entführt hat war ein Dämonenkönig. Er ist jetzt tot, deshalb bringen wir euch in Sicherheit."
,,Wie nett. Trägst du mich?", fragte sie frech. ,,Ein starker Mann wie du-"
,,Nein."

Letztendlich ging es mit den anderen Frauen nicht sonderlich gut aus. Die Tote war sowieso schon verloren, deshalb warf ich ihre Leiche in die Flammen, einer anderen musste ich den Gnadenstoß geben. Sie hatte kaum noch geatmet und sowieso zu viele Traumata, um normal weiterleben zu können.

Die verbliebenen Zwei machten mir am meisten Probleme. Eine von ihnen hatte Familie und ließ mich nicht an sich heran, bis ich herausfand, wer sie abholen konnte.

Und die letzte konnte auf keine meiner Fragen antworten. Sie kreischte wie ein verletztes Tier, wann immer ich ihr zu nah kam und es dauerte, bis ich ihre Fesseln lösen durfte. Als ich ihr Essen brachte, stieß sie es weg und die Decke, die ich ihr gab, rührte sie nicht an. Ich tat ihr den besten Gefallen, indem ich sie in Ruhe ließ.

Wenn sie nicht mehr zu sich kommt, werde ich auch sie töten müssen.

Deprimiert ließ ich mich aufs Bett fallen.
,,Und das jetzt noch sechshundertvierundachtzig Mal", seufzte ich zu mir selbst. ,,Das wird ein Spaß."
Meine Sinne waren maßlos überreizt.

Jetzt störte mich selbst die kleine Spinne in meiner Zimmerecke, die ihr Netz spann. Die feinen Silberfäden schimmerten grell und bei jeder Bewegung der Spinnenbeine schien das ganze Zimmer zu vibrieren.

Natürlich hatte Karasuma recht gehabt. Ich hätte mich ausruhen sollen.

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(POV. Nagisa)

Mir war so schlecht. Und diese Hitze! Ich hatte von Entzugserscheinungen gehört, aber niemand hatte mir gesagt, dass sie so schlimm sein würden. Schweißausbrüche, Übelkeit und Zitteranfälle, Unruhe die an meinen Fingernägeln nagte und mich nicht lange sitzen ließ . . . und ständig dieselben Gedanken.

Karmas Stimme, Karmas Geruch, Karmas Lächeln, Karma Karma, Karma.

Nicht mal Nagini konnte mir beistehen. Da waren nur diese Dämonen, die Aufpasser, die mir Essen brachten oder mich zum Badezimmer begleiteten. Sie waren freundlich, aber sie redeten kaum. Karma gab mir nichts, womit ich mich beschäftigen konnte.

,,Hättest du mir nicht wenigstens ein Bücherregal lassen können?", fragte ich die Zimmerdecke. Sie antwortete nicht.
Frustriert aalte ich mich auf dem Bett. ,,Gib mir was. Irgendwas. Ich sterbe vor Langeweile."

Kurz darauf klopfte es an der Tür.
,,Für dich", sagte der Dämon.
In seiner Hand lag ein Buch, darauf stand eine verzierte Porzelanschüssel. Neugierig stand ich auf und nahm beides entgegen.

Erdbeeren. Das Buch hatte die Aufschrift "Sonic Ninja - the Novel".

,,Danke", stammelte ich. ,,Woher-"
,,Anweisung von oben."
Ich starrte ihn an. Eine Anweisung von Karma . . .

Dann verstand ich seine Botschaft. Ich höre zu.

Der Dämon wandte sich wieder ab.
,,Ähm-"
,,Ja?"
,,Kannst du mir sagen, wie viel Zeit vergangen ist?", fragte ich.

Er besah sich einer seltsamen Uhr an seinem Handgelenk. ,,In der Menschenwelt ist es drei Uhr nachmittags. Du bist seit sechzehn Stunden hier drin."

Sechzehn Stunden. Sechzehn Stunden.
Die Zeit hier drin hatte sich wie Wochen angefühlt. Dabei war der erste Tag ja nicht mal ansatzweise zu Ende.

Ich sterbe.

Durch die Hölle mit dir - Karmagisa (laufend)Where stories live. Discover now