#50 Frohe Weihnachten

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Ungute Gedanken schleichen sich in meinen Kopf.
"Tommi?" setze ich an, als wir aus dem Auto aussteigen.
Fragend schaut er mich an, als ich aufschließe.
"Was kann man mit Kaffeepulver machen, wenn man es nicht mehr braucht?"
Er schmunzelt leicht, weiß, was ich meine.
"Ich hab' gehört, Kaffeesatz soll der perfekte Dünger für Pflanzen sein."
Wir gehen die Treppen nach oben.
Ungefähr auf der Hälfte überholt er mich fast unmerklich.
Er bleibt stehen, dreht sich zu mir um.
"Ob das aber mit unbenutztem Pulver funktioniert, weiß ich nicht."
Er grinst schelmisch.
"Und Pflanzen und du...naja. Ich sag nix."
Gespielt beleidigt boxe ich ihm gegen die Schulter, froh darüber, dass ich seinen kleinen Vorsprung klammheimlich aufholen konnte.

Ein zweites Mal schließe ich auf, bitte Tommi herein.
Ehe ich in meiner Wohnung angekommen bin und ihren Eingangsbereich vollumfänglich wahrgenommen habe, dringt bereits seine Stimme an mein Ohr:
"Ich koch' dir was."

Unbewusst fange ich langsam an zu lächeln und klopfe ihm auf die Schulter.
Um sein Angebot abzulehnen habe ich zu wenig Kraft, also bin ich einfach nur dankbar.
"Ich geh' duschen, okay?" frage ich, ohne direkt eine Antwort zu erwarten.
Mittlerweile hat er seine Jacke ausgezogen und aufgehangen und steht bereits ungeschaut in der Küche.
Zustimmend nickt er, ich nehme die kleine blaue Tasche, die mir Julian gepackt hat und gehe ins Bad.

Das eigene Bad ist immer noch das Beste.
Der eigene Spiegel ist immer noch der Beste.
Die eigene Dusche ist immer noch die Beste.
Das eigene Duschgel ist immer noch das Beste.
Das eigene Handtuch ist immer noch das Beste.
Und Tommi, der mir Nudeln mit Spinatpesto kocht, ist immer noch der Beste.

Mit einem noch geschäftigen Lächeln begrüßt er mich in der Küche. Ein dampfender Teller steht bereits auf dem Tisch. Es sieht köstlich aus.
Etwas verlegen fahre ich mir durch die noch nassen Haare und betrachte Tommi von oben bis unten. Die Schürze um seine Hüfte bilde ich mir ein, da ich so etwas nicht besitze.
"Ich hab' dir mehr gemacht. So hast du die nächsten Tage noch was."
Dankbar lächle ich, höre auf, wie ein Bekloppter mitten im Raum zu stehen und gehe auf ihn zu.
"Danke."
Einen Kuss verdrücke ich mir. Auch, wenn es schön wäre.

Beim Anblick des vollen Topfes muss ich daran denken, als ich meine erste eigene Wohnung alleine hatte und Fränki mir auch eine große Ladung Essen gekocht hat, aus Angst, ich würde verhungern.
Kurz bin ich vertieft in den Dampf, bis mich das vertraute Piepen des Geschirrspülers wieder heraus reißt.
Mit dem Anschalten besiegelt Tommi sichtlich sein Vorhaben, wieder nach Hause zu fahren. Er klopft sich die Hände ab und wischt noch einmal über Herd und Arbeitsfläche.

Es geht mir eindeutig zu schnell.
Ich habe ihn ja schon im Bad vermisst.
Ich vermisse ihn jetzt schon.
Kann er nicht wenigstens noch bleiben, bis mein Teller leer ist? Wenn ich ganz langsam esse?
"Hast du schon 'was gegessen?" frage ich herauszögernd.
"Den Kaffee nehme ich mit, okay?"
Tommi, hör auf.
Hör auf, abzulenken.
Hör auf, in eine falsche Richtung zu wollen.
Ich bin noch nicht bereit dafür.

"Tommi. Ob du 'was gegessen hast, will ich wissen."
Wut, Trauer, Ärger, vorläufiges Vermissen und Schwäche vermischen sich.
Das Resultat zeigt sich in Form unterdrückter Tränen.
Ob Tommi das sieht, weiß ich nicht.

"Du hattest noch eine Scheibe Brot da. Und die Nudeln musste ich natürlich auf ihre Al-Dentität testen. Mehrmals." schmunzelt er als Antwort. So darüber lachen wie er kann ich nicht.

"Tommi, du fährst jetzt nicht. Bitte. Nicht mehr. Es ist viel zu spät."

"Es ist 16 Uhr." hält er dagegen.
"Es ist absolut nicht zu spät."

Ja, okay es ist nicht zu spät.
Es ist aber trotzdem zu früh. Egal, wann er fährt. Es ist zu früh.

"Du bist dann aber auch erst zu Hause, wenn es schon spät und dunkel ist."

"Ich hab' gute Augen. Und das Auto Licht."
Nur wenig überzeugt nicke ich.
"Außerdem weißt du, wer bei mir zu Hause sitzt."
Er nennt keinen Namen. Braucht er auch nicht. Ich weiß, wen er meint.

Resigniert- mir und ihm gegenüber seufze ich.

"Aber versprich mir, dass du dich danach hinlegst. Egal, was Selina dir einredet, ok?"
Er nickt. Seine Jacke hat er auf einmal schon an, die Schlüssel in der Hand.

Nur leise für mich wünsche ich ihm noch frohe Ostern, alles Gute zum Geburtstag, happy Halloween, frohe Weihnachten und ein frohes neues Jahr, als ich hinter ihm die Tür schließe.
Wann ich ihn wiedersehe, weiß ich nämlich nicht.

Den Rest des Tages kann niemand etwas mit mir anfangen- weder Julian, der mich anruft, noch Kawus oder Daniel, die schreiben, Kinan, der sich kurzfristig meinen Staubsauger ausleihen will, noch meine Mutter, die mich anlächelt.
Tommi fehlt mir zu sehr.

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