#24 Route 66

1.2K 27 14
                                    

Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

"Nicht, wenn du ihr es sagst.". Felix schaut mich eindringlich an.
"Ja, vielleicht. Keine Ahnung. Lass weiter.".Ich besiegle mein Vorhaben, indem ich an ihm vorbei und weiter laufe. Unsere Arme streifen sich dabei leicht.

Unser Weg führt uns respektive Felix mich erneut irgendwo hin, von dem ich keine Ahnung habe, weil ich mich in den meisten Teilen Berlins echt nicht auskenne. Aber ich muss feststellen: es wird wohnlicher und weniger bedrohlich, die Bauten flacher und die Parks grüner.
Auch die Menschen werden mehr.
Wir scheinen Richtung Mitte zu laufen.

"Ja, lass einfach mal in den Park hier irgendwie, der sieht cool aus.". Felix deutet schräg rechts vorn auf eine Grünanlage, in der einige Menschen spazieren gehen, darunter auch jüngere und welche in unserem Alter. Ich nicke nur und steuere darauf zu, indem ich schräg die Straße überquere, Felix folgt mir. "Also Tommi, da warst du jetzt aber kein gutes Vorbild." lacht er, doch ich winke nur schuldunbewusst ab, weil er es eh nicht ernst meint.
"Ich hätte wirklich gedacht, dass es kälter ist." kommentiere ich, als wir uns auf eine Bank setzen, immerhin ist es immernoch Dezember. Felix nickt nur- wahrscheinlich kann er daraus gerade keinen Witz destillieren und schweigt auf Lobrecht'sche Art. Ich kann wenig dagegen tun und auch wenn ich die Stille nicht gern habe, nehme ich es so hin.
Während ich nach vorne gelehnt die Unterarme auf den Oberschenkel gestützt sitze und auf mein Handy schaue, spüre ich Felix' Blicke auf meiner Schulter. Prollig hat er sich nach hinten gelehnt, ein Bein ausgestreckt und Eines angewinkelt. So, wie er oft auf Fotos sitzt und sein Neukölln-Image aufrechterhält.

"Man Tommi, du musst das Selina wirklich sagen." bricht er überraschend die Stille.
Ich nicke und seufze, bin ich doch schon gerade versucht, ihr das in einem Text per WhatsApp zu erklären, woran ich jedoch kläglich scheitere.
"Ich weiß nicht, wie ich das schreiben soll, ohne, dass sie irgendwas fehlinterpretiert oder falsch aufnimmt. Das geht nämlich schnell bei ihr." offenbare ich mich ihm in meiner latenten Verzweiflung. "Ja ruf sie halt an und sag's ihr direkt. Das geht sowieso besser. Je eher du es ihr sagst, desto weniger sauer oder böse wird sie sein, dass du ihr was verheimlicht hast. Komm', das ist keine so große Sache. Sie will dir auch nur helfen und hat sie es verdient, das zu erfahren. Sie ist deine Freundin. Ist ja nicht so, als müsstest du ihr beichten, dass du 'ne Neue hast."
Zugegebenermaßen überzeugendes Argument.
"Na gut, aber nicht hier. Bei dir zu Hause. Da geht das einfacher und ist ruhiger." scheint ihn zufrieden zu stellen. Ich schaue mich zur visuellen Abwechslung um und beobachte die Menschen, die hier rumlaufen, so wie ich es oft tue, vor Allem, um für meinen Job neue und alte Verhaltensweisen festzustellen. Leider passiert Nichts interessantes oder ich sehe es nicht, also senke ich meinen Blick wieder auf den Chatverlauf, über dem total kitschig noch „Selina ♥" steht. Sofort betrete ich ungewollt den endlosen Gedankengang erneut und finde von allein nicht die Tür, durch die ich ihn betreten habe. Nur Felix schafft das:
"Dann leg' aber mal dein Handy weg jetzt, du verkopfter Typ."- schon wieder überzeugt, doch ich unterdrücke ein weiteres Seufzen, während ich das Mobilfunkgerät in der Hosentasche verschwinden lasse.

Einige Sekunden noch schaue ich abwesend nach unten, bis ich meine Gedanken wieder vollständig der Gegenwart zuwenden kann.
Als ich meinen Blick wieder aufrichte, fahren zwei Männer in dunklen Biker-Klamotten mit viel zu vielen Aufnähern auf zwei Harley Davidsons über die Straße vor dem Park und halten nebeneinander an einer roten Ampel an. Es sieht aus, als würden sie sich unterhalten, was ihren Anblick nicht unbedingt weniger lächerlich macht: wir fangen gleichzeitig an, lauthals zu lachen. "Die sind safe auf'm Weg zur Route 66 und verwirklichen da jetzt ihren Traum." kichert Felix. "Und sie fühlen sich way too cool".
"Aber es sieht ja schon irgendwie beeindruckend aus." halte ich dagegen und verfolge sie mit den Augen, als sie wegfahren, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Auch Felix hat sie beobachtet und findet es 100% lächerlich: "Alter, die müssen breiter greifen als Ralf Möller und ich zusammen sind, das sieht sowas von nicht cool aus, Tommi. Nicht mal Schwarze sehen dabei cool aus. Dit is'wie bergab laufen. Stell dir die beim bergab fahren vor. Deutsche halt. Maximal relativ cool."
Wir wissen beide rein faktisch nicht, ob die Fahrer wirklich weiße Deutsche waren, die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch zugegebenermaßen sehr hoch.
Felix legt in seinem spontanen bit eine Pause ein. In meiner Vorstellung zieht er jetzt an seiner Zigarette, doch viel Zeit bleibt mir für diesen jetzt unrealistischen Gedanken nicht.
"Die ha'm bestimmt zu Weihnachten von ihrem Schnuffelbär irgendso'n Zubehörteil dafür bekommen und Tommi..."- seine Stimmlage war bis jetzt hoch, weil er die ganze Zeit gekichert hat, doch jetzt greift er an meine Schulter und imitiert eine tiefere Stimme, die zu einem der Männer passen könnte: "müssen jetzt das schöne Wetter ausnutzen und sich mal wieder so richtig frei fühlen."
Er lacht ausgelassen und ich liebe, wenn er das tut. Grinsend drehe ich mich während seines rhetorischen Ergusses um und beobachte fasziniert seine ausgeprägte Mimik. Die Augen sind zusammengekniffen und er haut sich vor Lachen auf den Oberschenkel, bevor er sich nach vorne lehnt und eine ähnliche Position wie ich einnimmt. Ich grinse und schaue verstohlen nach rechts zu ihm. Langsam kriegt er sich wieder ein, nachdem ich auch kurzen prusten musste.

"Ey Tommi, lass mal Philematologie betreiben!" versucht er anscheinend, mich abzulenken und irgendwie klappt das auch, nur auf eine komische Art: Unwissenheit.

Fragend schaue ich ihn an: "Was alter?". Das Wort ist mir gänzlich unbekannt und mir fällt keine Aktivität ein, die wir hier und jetzt "betreiben" könnten.
"Man, ick will dich küssen!" erklärt er und schaut mich ernst an. Unsicher schaue ich zurück.
"Wenn ich schon nicht rauchen darf, was ich meinem Tommi zuliebe mache, brauchen meine Lippen irgendwas anderes, wenn sie schon keine Kippe halten dürfen."
Er scheint das wirklich nicht aus Spaß zu meinen, was ich eigentlich denken würde, sähe ich seinen Gesichtsausdruck nicht. Nur bin ich mir in zweierlei Hinsichten total unsicher:
Erstens sind wir in der Öffentlichkeit und es ist nicht sehr unwahrscheinlich, dass jemand uns oder zumindest Felix kennt. Immerhin sind wir in Berlin Mitte und viele junge Leute laufen um uns herum.

Kann ich ihm andererseits wirklich einen Ersatz für Zigaretten bieten?
Klar sind wir uns in den letzten Tagen näher gekommen und einander wichtiger geworden, aber immerhin raucht er seit 10 Jahren und wir kennen uns erst seit 2017.
Kann das so schnell so intensiv werden?
Oder sucht er nur kurzfristig etwas zur Kompensation?

Um meine Gedanken und Zweifel zu überspielen und sein Angebot indirekt auszuschlagen, frage ich, wo er nochmal studiert habe. "Lernt man da sowas?"
"Nee, aber mit unnötig komplizierten Begriffen um sich zu schmeißen, die außerhalb des Unigeländes keiner kennt. Dit lernt man. Aber dit versandet mit der Zeit auch janz klassisch, wenn man sich nicht mit dem verkopften Mist weiter beschäftigt. War übrigens in Marburg.". Ich muss schmunzeln.
"Ah, und was nochmal?"
"Politikwissenschaften. Wissen nur die Wenigsten."
Felix lacht und auch schaffe es nicht, den Insider so ernst rüberzubringen, wie es mir im Podcast tausendfältig gelungen ist.


Latente Verwunderung über seinen spontanen Stimmungsumschwung macht sich in mir breit, doch ich schiebe das einfach auf den Fakt, dass das seine Art ist, um mit so etwas umzugehen.
Von einer vorübergehenden Abfuhr auf solch ein komödiantisches Level schafft es nicht jeder so schnell, auch, wenn stumpf Insider ballern zugegeben nicht allzu viel von einem abverlangt.

Als Kunst sehe ich es trotzdem an und bewundere ihn konstant dafür, wie er damit umgeht. So richtig gesagt habe ich ihm das noch nie, vielleicht sollte ich das mal angehen.

Der Ton meines Handy in der Hosentasche reißt mich aus den Gedanken.

Für Selina habe ich sehr deutsch einen eigenen Benachrichtigungston.

Genau diesen vernehmen wir beide, nur weiß Felix nicht so viel wie ich.

Er kann sich das nur zusammenreimen.


Den Text abgesendet von vorhin habe ich nicht, also hat sie mich aus eigener Intention angeschrieben.

Ich bin so ein Schisser.




Knv , ballert mal bitte ein paar (konstruktive) Sachen in die Drunterkommis für den Algorithmus: Findet ihr es realistisch, dass Tommi so viele (Selbst)-zweifel hat? Kann ihn etwas schlechter einschätzen als Felix, deshalb interessieren mich eure Ansichten dazu^^

 Viel Spaß bei der neuen Hack-Folge!

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt