#31

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Perspektive Felix Manuel Lobrecht

Dass die Aufforderung "Fickt euch!" hier wahrscheinlich mit Absicht doppeldeutig getroffen wurde und auch wörtlich vorstellbar ist, stört mich zwar, habe ich jedoch gerade keine Kapazitäten, um mich darüber aufzuregen oder zu schmunzeln. Die kontextlos objektive Genialität des Satzes hat bestimmt auch der Großteil dieser Hunde nicht verstanden und freut sich nur über die Beleidigung uns gegenüber.

Eigentlich ist meine Ausdauer längst aufgebraucht, doch wenigstens bis zur Haustür und in das Treppenhaus müssen wir es schaffen.
Der Schlüsselbund fällt mir fast aus der Hosentasche; nur knapp kann ich ihn noch fangen und suche aufgeregt den richtigen Schlüssel heraus. Zum Glück treffe ich beim ersten Mal das Schloss und sperre auf.
Die Tür fällt zu.
Tommi fällt gegen die Wand.
Ich falle auf den Boden.
Das Treppenhaus ist leer und still, nur unsere angestrengten Atemzüge erfüllen es mit ihrem unangenehmen Klang.

Tommi erlangt nach einigen Minuten deutlich schneller als ich die Fähigkeit wieder, zu sprechen und fragt: "Geht's? Hast du starke Schmerzen?". Unabhängig von meiner ausbleibenden Antwort fällt sein Blick besorgt auf meine Hand und auch ich bemerke, was er sieht:
Sie blutet relativ stark und die Adern an ihrem Rücken sind deutlich sichtbar. Die Schmerzen spüre ich nur langsam schrittweise im ganzen Körper.
Noch immer atme ich schwer, kann aber endlich das Pochen über meinem Auge und das im unteren Rippenbereich genauer lokalisieren. Die Hand ist gar nicht so schlimm.
Besser wird es dadurch nicht, aber wenigstens habe ich wieder Luft, all den Emotionen in mir ein Ventil zu geben: "Ich bin so ein Vollhorst, ey."

Für meine wiederkehrende Aggressivität und Unausgeglichenheit, die nur wegen den beschissenen Zigaretten und dem scheiß Alkohol entstanden sind, könnte ich mich weiter selbst ohrfeigen.
Mir fehlt etwas? Gut, mache ich eben mehr Sport.
Ich darf keinen Sport machen? Kein Ventil zum Kompensieren mehr verfügbar - außer eben die Gewalt, die ich vor Tommi nie anwenden wollte. Er hat es nicht verdient, diese bescheuerte Seite von mir mitzuerleben.

"M-Meinst du, du schaffst es die Treppen hoch?" fragt er vorsichtig, unsicher über meine exakte körperliche Verfassung.
"Ich muss dir 'was sagen, Tommi.". Fassungslos über alles, was jetzt kommen kann, schaut er mich an. Strähnen seines langen Wuschelkopfs fallen in sein verschwitztes Gesicht.
Meinen Witz habe ich nicht verloren: "Es gibt hier 'nen Fahrstuhl, den können wir nehmen." Ungläubige Blicke treffen mich. "Das hast du nie gesagt, sondern mich immer die Treppe hochgescheucht?!". Seine Emotion scheint erst von Enttäuschung dominiert zu sein, welche dann aber von Euphorie verdrängt wird. "Wo is' der?" fragt Tommi und ich nicke mit dem Kopf in Richtung einer Kellertür. "Dahinter." erkläre ich und bin versucht, aufzustehen.
Dass meine Lippen jetzt auch noch bluten, weil ich angestrengt darauf beiße, ist mir herzlich egal.
Ich will einfach hoch in meine Wohnung.
Das Blut überall können wir später wegwischen.

Ein schmerzerfülltes Zischen kann ich mir nicht mehr verkneifen und schaue Tommi bemitleidenswert an. "Aua Tommi, das tut weh."
"Sorry Felix, aber ich muss das sauber machen."
In seinem Blick liegt der Gedanke, professionelle, ärtzliche Hilfe hinzuzuziehen. Gerne würde ich ihn von der Dummheit dieser Idee überzeugen, mehr zu reden ist aber immernoch viel zu anstrengend.
Zum Glück war ich zu keinem Zeitpunkt bewusstlos- wer weiß, ob sich Tommi an sein Versprechen von der Brücke gehalten hätte. Die Kontrolle habe ich jetzt wenigstens wieder. Nicht, dass ich ihm nicht vertraue, doch ich kenne sein teilweise unüberlegtes Verhalten, wenn der Gute überfordert ist.

Aber auch nur mit seiner Hilfe kann ich mir jetzt ein weites T-Shirt anziehen und eine Schmerztablette nehmen.
Ich hasse es, auf Andere angewiesen zu sein.

Mein Wohnzimmer ist ruhig, den Berliner Berufsverkehr hören wir durch die geschlossene Tür nicht. Ich kann ihn nur durch das Fenster auf meinen Balkon zur Südseite sehen, was ich zügig unterbreche, indem ich die Augen schließe.
Tommi steht hinter mir und hat seine Arme wie zwei Federn um meinen Körper gelegt. Sein Kinn liegt auf meiner Schulter und trotz des Faktes, dass wir extra nicht auf den Balkon gegangen sind, bekomme ich Gänsehaut.
Meine Jacke dafür wieder anzuziehen, wäre viel zu schmerzhaft gewesen.

Ich schließe die Augen.
Die Schmerztablette zeigt noch keine Wirkung.
Ich verdamme mich.

Stille.
Gerade eben wurde ich zusammengeschlagen.
Ich fühle mich unwohl in meinem Körper.
Seit Tagen habe ich nicht trainiert.
Tommi spürt das genau.
Er fährt unter meinem lockeren T-Shirt über die Stelle, an der sich mal deutlich mein Sixpack abgezeichnet hat.
Ich habe anscheinend nicht mehr so breit und bedrohlich gewirkt, was früher als 15-jãhriger in Neukölln noch geklappt hat.
Doch genau dieses Image wollte ich immer aufrecht erhalten.
Sport war immer das Wichtigste- egal, wie viel Stress ich hatte. Sport fand immer einen Platz. Bis kurz vor Weihnachten 2019.

"Mach dir keinen Kopf wegen Training." sagt Tommi leise, als habe er meine Gedanken lesen können.
"Ich find' dich auch so sexy."



Ist Tommi nicht süß😌🤣
Mal wieder etwas mehr auf die Augen, meine Kapitelplanung ist so krass durcheinander, das glaubt ihr mir gar nicht. Aber egal, die beiden sind erstmal in Sicherheti^^
Knv!

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt