#10 Mund öffnen, schlucken und sich nicht dagegen wehren.

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Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

Ich höre seine Worte zwar leise, dafür verstehe ich aber seine Intention umso deutlicher. Als würde ihn das Leben noch mehr hassen, hält das Fahrzeug an und wir hören "So, wir sind da.", begleitet von einer sich öffnenden Hecktür und dem Klacken einer sich im Prozess des Ausladen befindlichen Liege. Ich stehe auf, da ich sonst seiner Hand nicht mehr folgen kann, die er auf einmal stark drückt und sieht mich durch die Sauerstoffmaske, welche aus meiner Sicht seine blauen Augen bedeckt,panisch und hilflos an. So verletzlich und zerbrechlich habe ich ihn vorher noch nie gesehen und mit jedem Zentimeter, dem wir dem Krankenhaus näher kommen, wird sein Blick unentspannter und meine Angst größer. Ich schaue ihm in die Augen- sie sind leer und ich verliere mich trotzdem darin. "So, er wird jetzt im Behandlungszimmer von einem Arzt übernommen. Wir bitten Sie,hier draußen zu warten. Schönen Abend noch!". Die Sanitäter lächeln und verabschieden sich routiniert. Ich bin ihnen extrem dankbar, doch in diesem Moment viel zu verkopft, um das in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen. Ich nicke nur und lächle gezwungen. Wie so ein bescheuerter Verwirrter winke ich ihnen hinterher,als sie gehen. Wahrscheinlich bin ich das gerade auch.
Ich sinke erschöpft in einen der minder bequemen Stühle in dem sperrlich belichteten Warteraum und bin tatsächlich der einzige. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit keine Jacke,sondern nur einen mitteldicken Pullover trage und mir auf einmal kalt wird. Sollte ich unsere Jacken noch holen? Beide hängen noch in der Gaderobe des Clubs. Jedoch komme ich weder dorthin, geschweige denn weiß ich, wo das ist und zweitens kann ich Felix nicht allein lassen. Keine Ahnung,wann er fertig ist bzw eher die Ärzte mit ihm fertig sind, aber der Gedanke, jetzt hier wegzugehen, fühlt sich falsch an.

"Herr...Schmitt?". Ich schaue auf und sehe einen Arzt. Seine Augen zeigen Panik. "Würden Sie bitte mit reinkommen? Ihr Freund...". Über seinem Kopf taucht ein Fragezeichen auf, die Frage nach unserem Beziehungsstatus stempeln wir beide jedoch schnell als unwesentlich ab- "...benötigt ihre Unterstützung.". Sofort stehe ich auf und nicke. "Um was geht es?" frage ich,als ich dem Mann in Weiß folge. "Nun ja, es besteht der Plan einer Magenabheberung, welcher Herr Lobrecht auch zugestimmt hat. Jedoch stellt sich der Eingriff als kompliziert heraus. Er lässt sich nicht berühren, geschweige, denn behandeln und die Kommunikation zu ihm ist ebenfalls erschwert. Nur durch mehrmaliges Nachfragen konnten wir herausfinden, dass es sich bei dem konstant von ihm geforderten "Tommi" um Sie handelt, Herr Schmitt. Weiter hat er mit uns noch nicht gesprochen. Momentan steht er bereits unter Medikation."
Der Mann redet so schnell,dass ich mit verstehen, denken,nicken und laufen kaum hinterherkomme.
Er führt mich in einen kalten, weißen Raum, in dessen Mitte eine Behandlungsliege steht und in dem es extrem nach Erbrochenem riecht. Auf der Liege liegt Felix, an ihm dran viele Kabel, die ich auf den ersten Blick weder einordnen, noch verfolgen kann. "Tommmmi!" höre ich ein leises Röcheln und ich gehe auf die Liege zu. Felix sieht mich an: in seinen Augen liegen mehr Panik und Angst als je zuvor. "Ich bin da, Felix." sage ich, versucht, stärkend und sicher zu klingen,was mir jedoch wahrscheinlich misslingt. Ich greife nach seiner Hand, in dessen Rücken eine Infusionsnadel steckt. Wie sie das wohl geschafft haben. In seiner Armbeuge entdecke ich ebenfalls ein Pflaster, wahrscheinlich ist die Hand nur die zweite Wahl. Sie zittert, ist verschwitzt und schafft es kaum, die Meinige festzuhalten. Die Berliner Muskelmaus sieht auf einmal nur noch aus wie eine hilflose Maus. Da ist keine Kraft mehr,die irgendetwas hält. Zur Unterstützung halt ich mit meiner anderen Hand seinen Unterarm fest und setze mich auf den Stuhl, den mir eine der Assitenzärzte anbietet. "Felix du schaffst das. Ich bin hier.". Keine verbale Reaktion. Erwarte ich auch nicht. Ich schniefe kurz, streichle seine Hand, unwissend, ob er das merkt, sehe in sein Gesicht. Seine Augen werden feucht und Tränen laufen über seine ausgeprägten Wangen. Zumindest sind sie so, wenn er lacht.

"So, können wir jetzt anfangen,Herr Lobrecht?" fragt der Arzt und ich verstehe seine Eile. Felix nickt leicht und kneift die Augen zusammen, woraufhin sich die Tränen in einen Wasserfall verwandeln. "Was genau jetzt passiert, habe ich Ihnen ja schon erklärt: Mund öffnen, schlucken und sich nicht dagegen wehren.". Beunruhigt folge ich den Lippen des Arztes und lege dann den Fokus auf diesen Schlauch in seiner Hand und wie er damit in Richtung Felix' Mund wandert.
Er drückt meine Hand nur leicht, wendet dafür aber wahrscheinlich all die Kraft auf, die ihm gerade zur Verfügung steht. Sein restlicher Körper spannt sich an und verkrampft. Dabei sieht er nicht einmal,wie nah der Arzt mit dem Schlauch schon an seinem Mund ist. Die Schwestern halten ihn mit aller Kraft fest.
Durch seine geschlossenen Augenlider und anhand seines kompletten Körpers sehe ich Felix' Panik und fange wieder an, seine Hand zu streicheln und auch leicht zu drücken.
"So, Achtung, es geht jetzt los.".

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

Nein. Nein. Nein. Ich will das nicht. Tommi, hol mich hier raus. Ich muss weg. Ich kann das nicht. Ich breche gleich zusammen. Mein Kreislauf ist total am Arsch. Wer denkt sich so nen Mist aus?
Der Schlauch berührt meinen Mund. Meine Lippen. Meine Mundhöhle. Meine Zähne. Meine Zunge. Meinen Rachen.
Mein Herz schlägt unglaublich schnell und es fühlt sich an, als würden sich mein Herzschlag und der Schlauch im Hals bald berühren.
Ich muss husten und es fühlt sich an, als würde ich ersticken.
Den Schlauch runterzuschlucken scheint unmöglich. Vor allem nicht mit "SCHLUCKEN!", "SIE MÜSSEN SCHLUCKEN, HERR LOBRECHT", "SIE ERSTICKEN SONST" und "NICHT DAGEGEN WEHREN, SCHÖN RUHIG ATMEN", "DAS MUSS JETZT SEIN."
Ich will zurückschreien: "NEIN!". Ich will den Schlauch aus meinem Hals. Ich will aus diesem Zimmer raus. Ich will nach Hause. Ich will mich zusammenrollen. Ich will weinen. Ich will schlafen. Ich will Schutz. Ich will in Tommis Arme. Und irgendwie will ich auch sterben.

Knv!

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