#27 Nicht lesen!

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22:57 Uhr

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

Lachend schließe ich die Wohnungstür auf und lasse Tommi eintreten. Eigentlich waren wir auf dem Rückweg gerade dabei, tiefgründige Themen zu besprechen, doch Tommi's Witze sind auch hier äußerst platziert und lockern die Stimmung angenehm auf.
"Alter, bin ich voll. Und müde." kommentiere ich die geringe Schwindigkeit, mit der ich meine Schuhe und Jacke ausziehe und muss aufstoßen. Es schmeckt nach Knoblauchsoße mit verhältnismäßig viel zu viel Zucker.
Ohne weitere Kommentare laufe ich ins Schlafzimmer und schmeiße mich auf mein Bett, in der Hoffnung, dass Tommi mir folgt. Mit ersichtlichem Doppelkinn stöbere ich durch meinen Instagram-Feed, doch der Anblick, der Tommi gerade geboten wird, stört mich nicht. Wie eigentlich zu erwarten, steht dieser nur awkward in der Tür und sieht so aus, als würde er nicht sicher sein, ob er die Türschwelle überschreiten, geschweige denn sich neben mich legen darf.
Leicht genervt, weil man den Guten immer zu seinem Glück zwingen muss, stehe ich wieder auf und löse das Problem elegalant, indem ich einfach wieder hochhebe, ihn auf dem Bett abwerfe und liebevoll mit „Du verkopfter Hirni!" beleidige. „Du kannst hier überall frei rumlaufen. Und in meinem Bett bist du sowieso willkommen.".Verschelmt grinse ich zu ihm hinüber, er bleibt davon unbeeindruckt und lenkt das Gesprächsthema wieder auf das von vorhin. Relativ schnell driften wir wieder darin ab und reden über alle erdenkbaren Sachen: Universen, Bücher, Endlichkeit, Glück,...

Wir starren beide an die Decke und verfolgen einfach ohne viel zu hinterfragen die Schallwellen, die aus dem Mund des jeweils anderen austreten und verarbeiten die gesagten Worte.
Krass, wie gut das tut, solche Themen mal nicht auf den Podcast zu verschieben, sondern direkt unverblümt und ungehemmt darauf los reden zu können. Wir wechseln uns mit langen Monologen ab und ich höre Tommi gespannt zu, wie er mit seiner tiefen, angenehmen Stimme auch mal für ein paar Minuten keine Witze macht, sondern unter anderem gesellschaftskritische und zutiefst philosophische Aussagen trifft. Die Situation ist echt entspannt- so ganz ohne Mikrofon vor dem Gesicht.

Mitten in meinen Ausführungen über Leben nach dem Tod und Wiedergeburten halte ich inne, Tommi ergreift das Wort und sagt genau das, was in meinem Kopf rumspukt. Enorme Dankbarkeit durchströmt meinen Körper und ich muss lächeln. Entspannt drehe ich meinen Kopf zu ihm- sein Blick immernoch gen Decke gerichtet und ich verfolge fasziniert Tommi's Lippenbewegung beim Sprechen.
Als ich nach Ende seiner kleinen Rede nicht wie sonst etwas erwidere, schaut er mich an und lacht leise: „Find youself someone who looks at you like Felix looks at Tommi." zitiert er diverse Drunterkommis von Was-machen-Sachen-Videos und wir fangen an, laut und ausgelassen zu lachen.
Als wäre das jetzt ein Wendepunkt gewesen, schweifen wir wieder in Witze und Belanglosigkeiten ab, was zur Abwechslung zugegeben auch gut tut. Dass die Decke von unseren Blicken noch keine Löcher bekommen hat, wundert mich etwas.
Nach einigen Minuten werde ich spontan ruhig und kontere keinen mehr oder minder schlechten Witz mehr. "Tommi?" Er dreht sich zu mir und sieht mich fragend an. "Ich will nicht, dass du nach Silvester wieder weg bist." Ich spreche es einfach aus und denke nicht wie sonst über mögliche Konsequenzen nach. Trotzdem unsicher und nach Halt suchend wandert meine Hand zu Tommi's und verschränkt fest unsere Finger. Mein Gesicht vergrabe ich in seinen weichen Wuschelhaaren und sauge genießerisch den Duft ein, als wäre es das letzte Mal, dass ich ihm so nah sein kann.

Meine Gedanken entfallen jeglicher Schwerkraft, die sie normalerweise im Zaum halten und alle möglichen Konstrukte und Situationen schweben mir vor dem inneren Auge.
Nur ein kleines Fünkchen Realität macht mich sprechend, als ich an sein Gepäck denke.
„Eigentlich kannst du doch deine Sachen aus dem Gästezimmer rausräumen.". Eine kurze Gedankenpause bringt dem Raum das Schweigen; Tommi ergreift nicht das Wort. So zwingt er mich, weiterzureden, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich meine Aussage erklärt hätte, hätte er interveniert.
„Ich will nicht, dass wir in meiner Wohnung in getrennten Betten schlafen."."Und schon gar nicht, dass du meiner Ferienwohnung wohnst." schiebe ich hinterher, um verzweifelt der Sache noch etwas Witz beizufügen.
Auf seine Reaktion pochend schaue ich zu ihm, habe mittlerweile Schwierigkeiten, sein Gesicht zu erkennen, weil es draußen immer dunkler wird, der Mond nicht viel Leistung zeigt und künstliches Licht die Stimmung zerstören würde. Was ich aber erkennen kann: Ein charmantes Lächeln überzieht seine Lippen und ich werde unfähig, weiterzusprechen.

26. Dezember 2019, 11:49 Uhr

Ich höre Tommi noch im Halbschlaf leise murmeln: "Es ist so schön, in deinem Bett aufzuwachen."

Knv!

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