Alexandra:
Nachdem ich ein bisschen mit Columbia durch den wunderschönen Garten gegangen bin und zu Abend gegessen habe, treffen wir uns erneut in dem "Klassenzimmer" von vorhin.
"Wie viele Punkte meinst du wirst du haben?", frage ich Columbia, während wir uns setzen.
"Alle", antwortet sie und zuckt selbstbewusst mit den Schultern.
"Oha, du bist aber optimistisch." "Nicht optimistisch. Realistisch!" Sie wirkt sehr entschlossen. Vielleicht ist sie doch besser, als ich dachte. Immerhin ist sie ja eine drei und hat deshalb wahrscheinlich eine gute Schulbildung genossen. Aber dass sie volle Punktzahl haben wird, glaube ich trotzdem nicht. Ich glaube sogar, dass es für einen normalen Menschen beinahe unmöglich ist, in diesem Test volle Punktzahl zu erreichen.
Es kommen diverse Journalisten und Kameraleute in den Raum geströmt. Währenddessen betritt auch Christian mit einem großen Umschlag das Zimmer. Die Kameras werden in allen Ecken aufgestellt und hinter Christian rennt eine hysterische Lydia her. Sie tupft sein Gesicht mit einem Tuch ab, richtet seinen Anzug und sein Haar und kontrolliert seine Zähne. Strahlend weiß wie immer. Ich hätte nicht gedacht, dass er das vor all den Mädchen macht, aber bei Lydia hat er, glaube ich, einfach keine andere Wahl.
Er sieht total ernst aus. Na gut, er guckt eigentlich immer sehr ernst, aber gerade wirkt es besonders extrem. Mit stolzer Statur stellt er sich hinter sein Pult und auch die letzten herumwuselnden Mädchen begeben sich auf ihre Plätze. Als er sich räuspert, verstummen alle Gespräche.
Sophia, die Moderatorin, tritt vor und erklärt uns die Regel, die es zu befolgen gilt, wenn man vor einer laufenden Kamera steht. Da ich das schon x-Mal gemacht habe, höre ich nur mit halbem Ohr zu. Ich lasse meinen Blick durch die Reihen schweifen und frage mich, ob sich in diesem Raum wirklich die perfekte Frau für Christian befindet. Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.
Ich schaue neben mich. Columbia betrachtet Christian mit großen, verliebten Augen. Ihre Passion ihm gegenüber ist so süß. Vielleicht würde sie ihn etwas lockerer machen. Vielleicht wäre sie die richtige für ihn.
Ich sehe zu Christian. Er hat definitiv zu wenig Spaß in seinem Leben. Wenn er so weiter macht, sich so verausgabt und nur für seine Arbeit lebt, wird er nicht weit kommen und ein Burnout haben, noch bevor er überhaupt König ist.
Ich sehe wieder zu Columbia. Sie hat definitiv zu viel Spaß in ihrem Leben. Sie ist so ziemlich, dass genaue Gegenteil von Christian. Im Gegensatz zu ihm würde und könnte sie sich niemals verstellen. Ich sehe wieder zu ihm und wieder zu ihr. Immer hin und her zwischen den Beiden.
Kein Wunder, dass er mit ihr nichts anfangen kann. Die Zwei sind wie Tag und Nacht. Er würde von selbst niemals auch nur auf die Idee kommen, sie in Betracht zu ziehen. Er würde niemals sehen, wie gut sie eigentlich einander ergänzen würden. Vielleicht muss man ihn zu seinem Glück zwingen...
Christian räuspert sich und bringt damit den Raum zum Schweigen. Zufrieden über den Beweis seiner Autorität lächelt er und meint: "Vielen Dank."
Ein Mann ruft: „Action!" und signalisiert damit, dass die Kameras nun angeschaltet sind.
Christian nimmt einen dicken Umschlag von Sylvia entgegen. „Ich werde nun die Ergebnisse des Testes verkünden. Wie Sie sehen ist der Umschlag noch fest verschlossen. Das heißt Sie sind genau so neu für mich wie für Sie." Bedeutungsvoll öffnet er die Ergebnisse und verliest sie anschließend, mit dem schlechtesten beginnend. "Das schlechteste Ergebnis hat Lady Laisa mit gerade einmal 40 Punkten." Er sieht zu Laisa auf und wirft ihr einen Mitleidsvollen Blick zu. Ihre Punktzahl ist ihr sichtlich peinlich.
Christian versucht sie zu beruhigen: "Keine Sorge, dafür sind sie sicher in anderen Bereichen nicht zu übertreffen." Sie lächelt und nickt hoffnungsvoll. Ich frage mich in wie weit Christian die Mädchen mit den schlechtesten Ergebnissen ausscheiden lässt. "Die nächste ist Lady Lisa"
Nach einander zählt Christian alle Mädchen mit ihren Ergebnissen auf. Anastasia ist irgendwo in der Mitte, was ihr eindeutig nicht gefällt, aber ich wurde noch nicht genannt, genauso wenig wie Columbia. Vielleicht wurden wir vergessen.
Schließlich kommt Christian bei den drei besten Ergebnissen an. "Den dritten Platz belegt Lady Jasmin mit fantastischen 137 Punkten." Er nickt ihr anerkennend zu und sie wirkt unglaublich stolz. "Die zweitbeste Leistung erbrachte Lady Alexandra mit unglaublichen 141 Punkten."
Wow. Hab ich gar nicht erwartet. Christian sieht mehr als zufrieden aus und lächelt mich an. "Und nun kommen wir zum ersten Platz. Mit einer atemberaubenden Punktzahl von 149..." Er zieht einen kleinen roten Umschlag aus dem großen braunen und öffnet diesen vorsichtig. Seine Augen weiten sich und er wird bleich, während er seinen Kopf hebt und, mehr zu sich selbst als wirklich zu uns, sagt: „Lady Columbia."
Christian sieht noch einmal ungläubig auf seinen Zettel und stößt gleichzeitig mit mir und Sylvia ein: "Was?!" aus.
Columbia tut es uns gerade einmal eine Sekunde später gleich.
„Da muss ein Fehler vorliegen", beteuert Christian und schüttelt den Kopf.
„Das glaube ich aber auch!", bestätigt Columbia und springt auf. Sie stütz ihre Hände in ihre Taille. "Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich alles richtig habe! Zeigen sie mal! Wo soll mein Fehler liegen?"
Ein kleiner brünetter Mann mit Brille und einem Stapel Papieren, in denen er wühlt, in der Hand, tritt vor. "Nummer 3, sehen Sie...", erklärt er leicht eingeschüchtert und deutet auf eine der Seiten.
Columbia geht zu ihm und liest sich die Frage durch, dann schlägt sie mit ihrem Handrücken auf das Papier. „Der Fehler liegt bei euch, nicht bei mir!"
Der Mann sieht sie verwirrt an. Columbia verdreht die Augen und nimmt ihm die Zettel aus der Hand.
„Na gut passen Sie auf, ich erkläre es Ihnen. Das zwei Prozent Rätsel oder auch das Zebrarätsel von Albert Einstein. Wer trinkt das Wasser und wer hat das Zebra? Nun nach jeder Menge knobeln kann man auf die Antwort kommen, dass der Norweger das Wasser trinkt und der Japaner das Zebra hat."
Der Mann sieht verblüfft aus. „Aber dann wissen sie ja doch die Antwort! Warum haben Sie dann..."
Columbia unterbricht ihn: „Da allerdings nicht vorausgesetzt wird, dass es sich bei dem verbleibendem Haustier um ein Zebra und bei dem verbleidenden Getränk um Wasser handelt, könnte man auch genau so gut sagen, dass niemand ein Zebra hat und niemand das Wasser trinkt. Damit ist meine Antwort: Niemand hat ein Zebra und niemand trinkt Wasser absolut legitim und korrekt. Verstehen Sie?"
„Was?", kommt es von Anastasia. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es daran liegt, dass sie so überrascht von Columbias Lösung ist und etwas dagegen einzuwenden hat, oder ihren Gedankengang einfach nicht versteht.
Aber so wie Columbia das erklärt hat, hat sie Recht: ihre Lösung ist richtig. Ich habe die Lösung, die die Männer vorgeben hatten, angegeben.
Langsam nickt der Mann und meint dann lächelnd: „Ja, ich verstehe vollkommen was Sie meinen."
Er nimmt der triumphierend lächelnden Columbia den Bogen ab und geht damit zu Christian. „Euer Hoheit. In diesem Fall muss ich Euch mitteilen, dass diese bemerkenswerte junge Dame volle Punktzahl hat."
Christian nimmt ihm die Blätter ab und geht sie ungläubig durch. „Was?", sagt er erneut und sieht Columbia an, „Aber wie?"
„Habt Ihr euch denn nicht meine Bewerbung durchgelesen, Euer Hoheit?", fragt Columbia. „Columbia Garner aus Columbia. 18 Jahre. Studentin für Politologie. Abitur mit Durchschnitt 0.9 abgeschlossen. Photographisches Gedächtnis." Sie grinst, knickst, und geht anschließend zurück zu ihrem Platz. Unglaublich.
Christian ballt seine eine Hand zu einer Faust und zwingt sich zu lächeln. „Nun, wenn das so ist...", verkündet er, "...Dann können Sie sich freuen, Lady Columbia, denn Sie haben sich mit dieser großartigen Leistung das erste Date mit mir verdient."
Aus irgendeiner Ecke höre ich ein: „Cut!" Und die Kameras werden abgebaut. Columbia lächelt selbstzufrieden. Ich muss mich stark bemühen nicht zu schmunzeln. Das ist noch viel besser, als ich gedacht habe! Columbia würde nicht nur Christian gut tun, indem sie ihn lockerer macht, sie würde auch dem Land gut tun, durch ihre ganze Art, ihrer Intelligenz und ihrem Wissen, was Politik angeht. Mein Entschluss steht fest: ab Heute bin ich Team Columbia und werde alles dafür tun, Christian davon zu überzeugen, dass sie die richtige für ihn ist.
„Was?", will Columbia von mir wissen, „Warum starrst du mich mit diesem seltsamen Grinsen an?"
„Columbia, du wirst Christian heiraten und Königin werden", verspreche ich ihr. Ihr Blick wird entschlossen. „Schön, dass wir da einer Meinung sind."