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By roIIingstoned

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»You want to believe in black and white, good and evil, heroes that are truly heroic, villains that are just... More

Captured
Soundtrack
Kapitel 1 | lost
Kapitel 2 | run
Kapitel 3 | locked
Kapitel 4 | bon appétit
Kapitel 5 | darkness
Kapitel 6 | escape
Kapitel 7 | masked
Kapitel 8 | loose
Kapitel 9 | numb
Kapitel 10 | wound
Kapitel 11 | headless
Kapitel 12 | cracking point
Kapitel 13 | confessions
Kapitel 14 | thoughtless
Kapitel 15 | anonymous
Kapitel 16 | fall
Kapitel 17 | comatose
Kapitel 18 | lines
Kapitel 19 | clink
Kapitel 20 | sirens
Kapitel 21 | family
Kapitel 22 | pain
Kapitel 23 | hiding
Kapitel 24 | painkiller
Kapitel 25 | injection
Kapitel 26 | silence
Kapitel 27 | meltdown
Kapitel 28 | coat
Kapitel 29 | foggy
Kapitel 30 | promise
Kapitel 31 | tick-tock
Kapitel 32 | play
Kapitel 33 | bullseye
Kapitel 34 | whisky-soaked
Kapitel 35 | house of cards
Kapitel 36 | slit open
Kapitel 37 | trapeze
Kapitel 38 | suffocation
Kapitel 39 | up in flames
Kapitel 41 | gone girl
Kapitel 42 | monsters and freaks
Epilog
Dankessagung

Kapitel 40 | what doesn't kill you

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By roIIingstoned

Unter unseren Fußsohlen knacken herumliegende Äste, dass Wehen des Windes lässt die Blätter rascheln und Insekten zirpen, allein unser keuchender Atem überschallt die Geräusche des Waldes. Die Sonne ist bereits untergegangen und der Himmel verfärbt sich dunkel, im Mondlicht werfen die Bäume große Schatten.

„Kö-können wir endlich eine Pause machen?", hechele ich völlig aus der Puste. Meine Füße sind bereits taub, dafür ist das Seitenstechen umso stärker geworden und mein Rachen brennt. Zwar haben wir unser Tempo in der Zwischenzeit etwas gedrosselt, doch sind wir noch immer keinmal stehen geblieben. Erschöpft versuche ich mich von ihm loszureißen, doch er umklammert meine Hand zu fest, sein Blick indes ist starr nach vorne gerichtet.

„Nur ganz kurz-", flehe ich keuchend, doch verschlucke mich mitten im Satz an meiner eigenen Schnappatmung und beginne lautstark loszuhusten. „Zayn, BITTE-"

Sicher keinen Schritt mehr weiterlaufen zu können lasse ich mich in unserem Tempo zurückfallen und endlich wird auch er langsamer, bis wir schließlich endlich zum Stehen kommen und er sich zu mir umdreht. Seine Brauen sind konzentriert zusammenzogen, doch als er sieht wie erschöpft ich bin entspannen sich seine Gesichtszüge etwas und er nickt langsam. Zögerlich lösen sich unsere Hände voneinander und ich lehne mich kraftlos gegen einen der Baumstämme in meiner Nähe, doch vergesse ein weiteres Mal die Wunde an meinem Rücken und zische vor Schmerz laut auf.

„Dein Rücken-"

„Jaja, ich weiß", stöhne ich genervt auf bevor er zu Ende sprechen kann und beiße mir gequält auf die Unterlippe, während ich mich vorsichtig auf dem Boden niederlasse.

Über dem Waldboden liegen bunte Laubblätter und einige abgebrochene Zweige verteilt und mit der Dämmerung gehen immer weiter sinkende Temperaturen einher. Fröstelnd umschlingen meine Arme meine an die Brust gezogenen Beine und lege meinen Kopf auf die Knie ab, während ich schweigend Zayn beobachte, der in seinem Rucksack kramt und mir kurz darauf eine Wasserflasche entgegenstreckt, die ich dankbar annehme. Nachdem ich mehrere große Schlucke daraus mir genehmigt habe, reiche ich sie ihm wieder zurück und er lässt sich neben mir auf dem Boden nieder und leert sie.

Eine Weile sagt keiner ein Wort und ich lasse geistesabwesend den Blick wandern. Noch immer hat mein Kopf die Geschehnisse nicht geschafft zu verarbeiten und in mir steigen Zweifel auf, ob ich nicht möglicherweise doch noch im Fieberwahn bin - nach all der Zeit erscheint das alles so unreal, so unmöglich.

Gedankenverloren streifen meine Fingerkuppen das Laub neben mir, einige Äste und den feuchten Untergrund darunter. Sie wandern weiter, bis sie Zayns Hand erreichen, mit der er sich am Boden abstützt, während sein Oberkörper sich gegen den dicken Baumstamm lehnt, den Kopf in den Nacken gelegt. Erst jetzt bemerke ich, dass er die Augen geschlossen hat und sein Brustkorb sich unruhig auf- und absenkt; auch er scheint erschöpfter zu sein als er es sich zuvor hat anmerken lassen. Vorsichtig fahren meine Fingerspitzen über seine Hand, zeichnen vorsichtig deren Linien nach. Wieder sehe ich zu ihm hoch und dieses Mal treffen sich unsere Blicke.

Es fällt mir schwer zu glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben. Dass wir es geschafft haben zu entkommen, diesem Ort zu entfliehen, von dem ich dachte, dass es das letzte sein wird, das ich je sehen werde.

„Woran denkst du?"

Aus meiner Gedankenwelt gezogen presse ich die Lippen aufeinander und schüttele den Kopf. „An nichts."

Obwohl ich den Blick abgewandt habe, spüre ich noch immer das dunkle Augenpaar mich fixieren und seine warme Hand greift nach meiner.

„Sag es mir."

Seine Stimme ist sanft und doch eindringlich. Zunächst zögere ich noch, doch dann gebe ich schließlich doch nach.

„Es ist nur...", beginne ich und bemühe mich die richtigen Worte zu finden. „Ich war der festen Überzeugung, ich würde dort sterben."

Bewusst spreche ich das Wort nicht aus, als könne es das ungeschehen machen.

„Das hätte ich nicht zugelassen."

Wieder setzt Schweigen ein.

Es war zu einfach, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Es hätte nicht so einfach sein dürfen, wenn es real gewesen wäre.

Mit jeder Sekunde werde ich mir sicherer, dass es sich hierbei nicht um die Realität handeln kann. Nach all der Zeit kann es das nicht gewesen sein; keiner von ihnen hätte es uns je so einfach gemacht.

Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke nach oben, wo die Kronen der Bäume, welche noch nicht ihre Blätter verloren haben, den Himmel verdecken. Eine Träne rollt mir die Wange hinunter und ich schluchze leise. Behutsam legt Zayn seine Hand auf meine Wange und ich drehe mich ihm zu. Die Berührung fühlt sich beinahe echt an, als sei er tatsächlich hier, bei mir.

„Ich wünschte, es wäre real", wispere ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihm, und spüre dabei weitere Tränen meine Wange hinunterlaufen.

Zayns Brauen ziehen sich besorgt zusammen und er sieht mich fragend an. „Was meinst du?"

Ich schniefe und wische mit dem Handrücken über meine Wange, allerdings ziehen sich zur selben Zeit meine Mundwinkel spöttisch höher.

„Wir wissen beide, dass es niemals so einfach hätte sein können."

Er schüttelt den Kopf.

„Es war nicht einfach."

Wieder lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. „Doch, das war es. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich aufwache und dich wieder verliere."

„Du hast mich nicht verloren, Zoe. Ich bin hier, bei dir." Sein heißer Atem streift meine Wange und ich öffne langsam die Augen. „Es war nicht einfach, weil es noch gar nicht vorbei ist. Es ist erst vorbei, wenn wir es geschafft haben es endgültig hinter uns zu lassen, mit so vielen Meilen dazwischen wie überhaupt möglich."

Langsam lasse ich die Augen über sein Gesicht schweifen. Es fühlt sich an wie Ewigkeiten, seit ich ihn das letzte Mal wirklich gesehen habe. Nicht nur gesehen, sondern mich nur auf ihn konzentriert habe – die dunklen Augen, welche mich eindringlich betrachten, die dunklen, zerzausten Strähnen, die ihm ins Gesicht fallen, die Bartstoppeln, welche seine Wangen immer dichter bewachsen.

Sanft lege ich die Hände auf sein Gesicht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass es echt ist, dass er echt ist und in diesem Augenblick bei mir sitzt – dass ich es nach all der Zeit es geschafft habe, dass ich noch lebe, dass wir hier sind. Doch das Gefühl seiner Haut, den piksenden Stoppeln und seiner Körperwärme unter meinen Fingerkuppen fühlt sich so real an, und ich brauche mehr davon – als Bestätigung, als Beruhigung, als ein Gefühl von Schutz.

Auch ohne es laut auszusprechen scheint er es zu wissen, denn sein Gesicht beugt sich zu mir hinunter, und seine Lippen legen sich schließlich auf meine. Ich spüre seine Körperwärme, die Bartstoppeln, die meine Haut kitzeln und mich nur umso lebendiger fühlen lassen, und ich ziehe ihn noch näher an mich und genieße dieses Gefühl von Geborgenheit.

...

Mittlerweile sind wir, zumindest gefühlt, bereits mehrere Stunden unterwegs und mein Kopf lehnt schläfrig an Zayns Schulter, es kostet mich große Anstrengung überhaupt noch die Augen offen zu halten.

„Können wir...", nuschele ich müde und vergesse einen Moment lang was ich sagen wollte, doch dann fällt es mir wieder ein. „...wir nicht noch eine Pause machen..."

Der Wind raschelt nach wie vor durch die Blätter der Bäume, das Zirpen der Grillen hat sich vermehrt und in der Ferne heult eine Eule.

„Wenn wir jetzt Halt machen, werden wir einschlafen."

Ich gähne. „Klingt doch nach einem guten Plan."

Ein kleiner Teil des Mondlichts dringt durch die Baumkronen, gerade genug um schemenhafte Umrisse wahrnehmen zu können, doch die Bäume werfen selbst weitere, große Schatten. In der Dunkelheit sehen einige von ihnen selbst aus wie Monster und lassen mich gelegentlich aufschrecken.

„Nicht hier draußen", entgegnet er und zieht mich weiter entschlossen mit sich mit.

Der Wald scheint gar kein Ende mehr zu nehmen wollen. Allmählich beginne ich an Zayns Führungskünsten zu zweifeln. Wer weiß, ob wir nicht seit Stunden uns im Kreis drehen. So oder so sieht, alles für mich gleich aus, soweit ich in dieser Schwärze überhaupt etwas erkennen kann.

Für einen kleinen Moment fallen mir die Augen zu und meine Beine folgen blind Zayn, doch ein leises Rascheln, dicht gefolgt von einem weiteren Knacken lässt mich aufschrecken.

„Was war das?"

„Nur ein Tier", antwortet Zayn ohne sich umzusehen. „Wie all die anderen Male auch."

Ich presse die Lippen aufeinander und schweige, doch zwinge mich nun wieder dazu die Augen offen zu halten. Meine Lider werden immer schwerer und meine Augen brennen vor Müdigkeit, doch ich muss wach bleiben. Zayn hat Recht, wir können nicht mitten in der Nacht im Wald schlafen.

Schweigend laufen wir weiter, doch die Stille lässt mich nur noch müder werden. Nach einer Weile greife ich wieder das Gespräch auf um mich darauf zu fokussieren und somit hoffentlich wach zu bleiben.

„Das heute-"

„Ich habe den Brand gelegt" antwortet er ehe ich die Fragen überhaupt stellen kann, als wäe es mir nicht längst bewusst gewesen.

„Ich weiß. Du riechst noch immer nach Benzin." Mein Blick streift durch die Dunkelheit und ich klammere mich fester an seinen Arm, als ich fast über eine Wurzel stolpere.

„Aber das war nicht deine Frage, richtig?"

„Nein", bestätige ich. Er wartet darauf, dass ich weiterspreche, doch ich ringe noch immer mit dem Drang der Erschöpfung nachzugeben und einfach meine Augen zu schließen.

„Ich habe Baghira zwischen den Wagen gesehen-"

„Weil ich seinen Käfig geöffnet habe."

Die Müdigkeit droht meine Augenlider zu erdrücken und ich unterdrücke mir ein weiteres Gähnen.

„Glaubst du, er hat es überlebt?", frage ich nach einer Weile.

Er zögert deutlich. „Ich weiß es nicht."

Einen weiteren Moment lang herrscht Schweigen zwischen uns. Gerade als ich diese mit einer weiteren Fragen durchdringen will, knackt es hinter uns erneut, dieses Mal deutlich näher als zuvor, und das Flattern von aufgeschreckten Vögeln raschelt durch die Baumkronen.

„Hast du das auch gehört?"

Beunruhigt sehe ich über die Schulter, doch hinter uns sind die Schatten der Bäume noch dunkler und bedrohlicher.

„Was gehört?", fragt er, als es ein weiteres Mal knackt.

„Immer noch nur die Tiere", murmelt er, doch wirft nun ebenfalls einen Blick zurück. Seine Augen suchen ebenso wie meine die Dunkelheit ab nach der Ursache des Geräuschs. Zwischen zwei Bäumen glaube ich schattenhaft eine Bewegung ausmachen zu können und drücke Zayns Hand vor Schreck fester.

„Lügst du nur, damit ich mich besser fühle?"

„Ja", wispert er leise und beschleunigt unser Tempo, doch sieht wieder nach vorne.

Nervös sehe ich immer wieder zurück, doch kann nichts erkennen. Erst jetzt registriere ich, dass das Grillenzirpen aufgehört hat.

„Zayn-", setze ich im gleichen Moment an wie Zayn meinen Namen flüstert, doch er ist schneller und deutet nach vorne.

„Siehst du das da vorne, zwischen den Ästen?"

Skeptisch folge ich seinem Blick, doch dann sehe ich es ebenfalls und nicke langsam.

Licht.

Wie hypnotisiert folgen wir den grellen Lichtstrahlen und ich vergesse was ich vor wenigen Sekunden noch geglaubt habe zu sehen. Wie in Trance liegt mein Fokus allein auf dem Licht, dem wir mit jedem Schritt näher kommen und mein Puls wird schneller.

Zayn drückt das letzte Geäst beiseite, sodass wir uns durch die Sträucher durchquetschen können und wir haben endlich freies Sichtfeld auf die Quelle des Lichts – eine Straßenlaterne, mitten auf einem Parkplatz, der zu einer Raststätte gehören zu scheint. Erst jetzt nehme ich bewusst das Rauschen der Autobahn wahr, welches vermutlich bereits seit längerem leise im Hintergrund zu hören war. Vermutlich war es das, wonach Zayn sich die ganze Zeit gerichtet hat.

Auf einigen Plätzen parken Autos, in einer Ecke stehen zwei LKWs, doch die meisten Parkplätze sind leer und in keinem der Wagen scheinen sich Menschen zu befinden. In mehreren Metern Entfernung stehen weitere Laternen, allerdings ist trotz ihnen der Großteil des Platzes noch immer in Dunkelheit gehüllt. Noch ein Stück weiter befindet sich ein kleines Gebäude, das noch geöffnet zu sein, und während wir uns ihm nähern wird angesichts der Zapfsäulen davor klar, dass es sich um eine Tankstelle handelt, dessen Türen automatisch öffnen als wir davorstehen.

Innen befinden sich in einer Ecke mehrere Tische mit Stühlen drum herum, von denen einige besetzt sind, meist mit älteren Herren, vermutlich LKW Fahrern. Hinter der Theke steht eine stark geschminkte Frau mit roten Haaren, die von ihrem Magazin aufsieht und uns kritisch mustert.

„Kann ich helfen?"

Das Kaugummi in ihrem rechten Mundwinkel ist beim Sprechen deutlich zu sehen, auf dem sie auch dabei noch weiter mit offenem Mund herumkaut.

„Dürften wir Ihre Toiletten benutzen?"

Die Frau, welche sich schätzungsweise in ihren Enddreißigern befindet, schenkt uns einen weiteren abfälligen Blick und zieht skeptisch die Brauen hoch.

„Um die Toiletten benutzen zu dürfen, müssen Sie etwas kaufen", schmatzt sie.

„Kommen Sie schon-"

„Keine Chance."

Flehend sehe ich sie an und will ein weiteres Mal ansetzen, doch Zayn hält mich zurück, nimmt den Rucksack von seinen Schultern und reicht ihn mir.

„Sieh mal nach, ob du da drin noch was Kleingeld finden kannst", bittet er mich und beginnt selbst seine Hosen- und Jackentaschen nach Kleingeld abzuklappern.

Ich beginne mit den Seitenfächern, wo ich neben drei weiteren Wasserflaschen einige Pennys finde. Als ich jedoch das Hauptfach öffne ragen mir nur Schichten von Kleidung entgegen, zwischen der ich unmöglich nach weiteren Münzen suchen kann ohne den gesamten Tascheninhalt auszuräumen und ziehe den Reißverschluss schnell wieder zu.

„Siebzig", streckt er mir seine Beute entgegen und ich zähle sie mit meiner zusammen.

„Knapp über einen Pfund."

Unsere Blicke wandern über das Angebot von völlig überteuerten Süßigkeiten und Kaugummisorten, bis wir einen Schokoriegel finden, der gerade noch in unserem Budget liegt. Zayn greift danach und ich lege der unsympathischen Kassiererin das Geld auf die Theke.

„Die Toiletten befinden sich da hinten", erklärt sie emotionslos und deutet mit dem Daumen in eine unbestimmte Richtung im hinteren Bereich des Ladens und fügt hinzu, „wir bieten außerdem auch frischen Kaffee an" und deutet mit einem Kopfnicken auf die Kaffeemaschine hinter sich, an der auf einem Schild weitere Wucherpreise aufgelistet sind, als wenn sie nicht längst wüsste, dass wir kein Geld hätten. Genervt presse ich die Lippen aufeinander und folge Zayn in den hinteren Ladenteil.

„Geh schon mal vor", flüstert Zayn mir zu und ehe ich nachhaken kann was er vorhat, läuft er bereits in Richtung der Tische. Gerade als ich die Türe des laut Aufschrift Unisex WC hinter mir schließen will, höre ich ein lautes Poltern. Aus dem Augenwinkel kann ich Zayn sehen, der scheinbar gegen die Kante einer der Tische gelaufen ist und sich nun bückt um die heruntergefallenen Sachen aufzuheben.

In dem Raum selbst stinkt es nach Urin und strengen Putzmitteln, und ich weiß nicht welcher Geruch von beiden der schlimmere ist. Von den beiden LED Lampen leuchtet nur eine, doch auch diese flackert zwischendurch immer wieder kurz.

Ich drehe den Wasserhahn des einzigen Waschbeckens auf und forme mit meinen Händen eine Kuhle, in der ich das kalte Wasser laufen lasse und damit dann mein Gesicht zu waschen und es mit den Papiertüchern aus dem Spender an der Wand trocken zu tupfen. Obwohl ich mich gleich etwas wacher fühle, zeigt mein Spiegelbild jedoch das Gegenteil. Die dunklen Ringe unter meinen roten, stark angeschwollenen Augen lassen mich in Kombination mit der fahlen Blässe meiner Haut und den völlig zerzausten Haaren wie einen Zombie aussehen, was die Blicke erklärt.

Um den Anblick nicht länger ertragen zu müssen drehe ich mich schnell wieder um und verschwinde in eine der beiden Kabinen. Gerade als ich abziehen will höre ich, dass die schwere Türe sich ein weiteres Mal öffnet und vernehme hinter meiner Kabinentür Schritte. Für eine Sekunde halte ich sie für Zayns, bemerke allerdings schnell wie schwer und schleppend sie klingen. Sie bleiben stehen und unter den Spalt meiner Kabinentüre fällt ein dunkler Schatten. Verängstigt halte ich die Luft an und presse den Handrücken vor meinen Mund, dabei merke ich, wie stark ich zittere. Die Angst steigert sich binnen Sekunden ins Unermessliche und Tränen laufen mir die Wangen hinunter, fühlen sich dabei wie Säure an.

Natürlich würden sie dich finden.

Natürlich würde er dich finden.

Die Schritte laufen weiter und die Türe der anderen Kabine neben mir wird geschlossen und verriegelt, Sekunden später kann ich die andere Person urinieren hören. So absurd es klingt, es löst eine Art Erleichterung in mir aus und ich entriegele vorsichtig meine Türe, nachdem ich abgezogen habe.

Während ich mir die Hände wasche ist mein Blick auf den Spiegel fixiert, genauer gesagt auf das Spiegelbild der anderen Kabine. Kurz bevor sie entriegelt wird greife ich ruckartig in meine Hosentasche, in der sich noch immer das Taschenmesser befindet, ziehe es blitzschnell heraus und klappe es auf, um es dann wieder in meinem Ärmel zu verstecken. Mit bebenden Fingern umklammere ich es, während ich darauf warte sehen zu können, wer die Kabine verlässt.

Mein Blick trifft auf ein Paar grauer Augen, welche einem älteren Herrn gehören, vermutlich Ende 50, mit einem grauen Bart, lichtem Haar und bereits etwas schmutzigerer Kleidung. Er bemerkt meinen inspizierenden Blick und beginnt mich ebenfalls näher zu mustern, dabei bildet sich ein Grinsen auf seinen schmalen Lippen, die gelbe Zähne entblößen.

Ich schlucke schwer und greife fester um den Griff des kleinen Messers, bereit es bei der nächsten Bewegung ihm in den Hals zu rammen, so wie ich es bei dem Braunäugigen – Liam, verbessere ich mich – gesehen habe. Die Erinnerung an ihn schmerzt, doch ehe ich weiter darüber nachdenken kann, öffnet sich die Türe links von mir ein weiteres Mal. Erleichtert atme ich auf ohne überhaupt bewusst bemerkt zu haben, dass ich sie zuvor angehalten habe.

„Ist hier alles in Ordnung?"

Obwohl die Frage eindeutig an mich gerichtet ist, liegt Zayns Blick allein auf dem älteren Mann wenige Schritte entfernt von mir und ich kann sehen, wie sich sein Kiefer anspannt. Nervös blicke ich kurz zu dem Fremden und wieder zurück zu Zayn, der meinen Blick bemerkt zu haben scheint.

„Alles bestens", beantwortet der Mann die Frage und schreitet langsam durch die Tür vorbei an Zayn, nicht ohne ihn dabei mit der Schulter anzurempeln. Mit angespannten Gesichtsausdruck und zusammengeballten Fäusten sieht Zayn ihm hinterher, wendet sich aber wieder mir zu, sobald sich die Türe hinter ihm geschlossen hat.

„Ist auch wirklich alles klar bei dir?", wiederholt er die Frage und betrachtet mich besorgt. Mein Körper entspannt sich ein wenig und ich nicke schnell, doch Zayn greift nach meinem Ärmel und entdeckt sein Taschenmesser, welches ich noch immer fest umklammere, und runzelt die Stirn.

„Hat er- hat er dir etwas antun wollen?!" Wut spiegelt sich in seinem Blick, doch ich schüttele erneut den Kopf.

„Nein, ich... ich war nur... ich...", gerate ich ins Stottern. Unwillentlich bilden sich wieder Tränen in meinen Augenwinkeln und so sehr ich versuche sie zurückzuhalten, ich schaffe es nicht. Ich fühle mich hilflos und klein, und hasse mich dafür.

Ich hasse es, wie sehr die kleinsten Geräusche und Bewegungen mir solch eine Heidenangst bereiten können, ich hasse es, wie schwach ich doch bin. Ich hasse mein Spiegelbild, dass mehr an eine Tote erinnert und mir das Gefühl gibt, als gehöre ich längst nicht mehr ins Reich der Lebenden, ich hasse jede einzelne Faser meines Körpers, ich hasse es, wie ich immer wieder die Kontrolle über mich selbst verliere.

Ich hasse es, dass ich nicht einmal Freude darüber empfinden kann diesen Ort endlich hinter mir gelassen zu haben, denn das habe ich nicht – ich spüre ihn immer noch in mir, in jeder Zelle meines Körpers, in jedem meiner Gedanken, meinen Handlungen, und jedes Mal, wenn ich Zayn in die Augen sehe.

Seine Arme schlingen sich an meinen Körper und drücken mich vorsichtig an seinen, während er in einem beruhigenden Rhythmus über meine Haare streicht, doch das macht es nur noch schlimmer. So sehr er mir einerseits das Gefühl von Sicherheit gibt, so führt er mir doch auch jedes Mal die Geschehnisse vor Augen, die ich am liebsten komplett aus meiner Erinnerung ausradieren würde. Und es schmerzt, dass der Mensch, der das einzige ist, was mich noch zusammenhält, im selben Moment auch das ist, das mich innerlich zerstört.

Er drückt mich enger an sich, doch je länger ich weine, desto mehr habe ich das Gefühl daran zu ersticken. Ich erinnere mich an die Worte aus einem Leben, welches mir Ewigkeiten her scheint, ein Leben, dass sich längst nicht mehr wie mein eigenes anfühlt. „Was dich nicht tötet, macht dich nur stärker." Doch manchmal macht was dich nicht tötet auch nicht stärker, und es bildet auch nicht den Charakter.

Es tut nur weh.

...

A/N: bis zum ende von captured sind es nur noch wenige kapitel, nach momentaner schätzung max. 3 (ich bin furchtbar im abschätzen, also lasst euch nicht auf diese zahl festlegen - es können auch mehr oder weniger noch werden lol). ich bin sehr gespannt auf eure reaktionen über die kapitel und freue mich wie immer über jeden kommentar und vote xx

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