Kapitel Drei - Sherlocks Blut

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John P.O.V

Der Rest dieses Tages war ziemlich unangenehm. Sherlock und ich schienen uns gegenseitig zu meiden. Ich war mir nicht sicher, was genau nicht stimmte, aber mit Sherlock konnte man nicht über seine ‚nicht existierenden’ Gefühle sprechen, also belästigte ich ihn nicht weiter mit diesem Thema. Es schien, als würde ihn etwas beunruhigen. Er wirkte so verloren und... verwirrt. Sherlock komponierte weiter an einem seiner Stück und spielte nahezu den ganzen restlichen Tag Geige. Er sah erschöpft, aber entschlossen aus. Ich war davon überzeugt, dass er etwas essen musste. Ich musste wenigstens versuchen ihn dazu zu kriegen, etwas zu essen.

„Sherlock,“, begann ich, während ich die Treppen von meinem Zimmer hinunter zum Wohnzimmer lief. Es war dunkel geworden, die Uhr zeigte etwa zwanzig vor Acht an. Draußen waren mindestens dreißig Zentimeter Neuschnee gefallen, seit ich aufgewacht war. Sherlock stand am Fenster und starrte gebannt hinaus in die Dunkelheit. „Sherlock, du musst etwas essen.“, sagte ich vorsichtig. „Du hast den ganzen Tag gespielt... Du brauchst eine Pause.“ Sherlocks Bogen stoppte, er drehte sich langsam zu mir um, musterte mich von oben bis unten und spielte dann weiter auf seiner Geige. „Du bist nett angezogen.“, bemerkte er. „Wo ist dein Date?“, fragte er, immernoch mit dem Rücken zu mir. Ich fühlte, wie sich Hitze auf meinen Wangen ausbreitete. Verdammt, Holmes. „Ich habe kein Date. A-aber ich dachte – ich dachte vielleicht könnten wir-“ „Doch, du hast eins.“, unterbrach Sherlock mich. „Du würdest dich nicht für irgendjemanden so anziehen. Es muss also jemand Besonderes sein. Jemand, dem du offenbar gefallen willst.“. Ich schaute ihn verwirrt und leicht beschämt an. Er verdrehte nur die Augen und wandte seinen Blick von mir ab. „Der Menge an Haargel, die du verwendet hast, nach zu urteilen muss es ein Date sein. Nicht zu vergessen dein fein säuberlich gebügeltes Hemd und natürlich deine Schuhe! Gescheuert, damit sie aussehen, als seien sie neu, aber die Laschen sind ausgeleihert und die Schnürsenkel ausgfranzt. Deutliche Gebrauchsspuren. Ich schätze sie auf vier Monate. Oft getragen. Also wahrscheinlich Lieblingsschuhe. Und dem Duft deines Rasierwassers nach zu urteilen... Kein Billiges, mhhh, sechzig Euro? Du trägst es selten. Nur für sehr besondere Anlässe, zum Beispiel zu einem Date. Du willst sie beeindrucken - sehr wahrscheinlich, dass du darauf hoffst, sie zu vögeln. Liege ich richtig?“, endlich drehte sich Sherlock zu mir um und sah mir direkt in die Augen. Meine Wangen gingen von leichtem rot zu knallrot über. Sherlocks verwirrtem Blick nach zu urteilen, hatte er es – trotz der Dunkelheit – bereits bemerkt. „... Ich dachte nur – vielleicht... könnten wir zusammen was essen gehen.“, stammelte ich und versuchte Sherlocks Blick auszuweichen. „Oh...“, Sherlock blinzelte schnell und schaute bestürzt auf den Boden. Ich könnte schwören ich hätte ein Leuchten in seinen Augen und leichte Röte auf seinen Wangen gesehen, aber vielleicht war das bloß meine hoffnungsvolle Einbildung. Er schwieg einige Sekunden. „Alles klar, ich werde einfach... – ich werde einfach etwas bestellen.“, sagte ich hastig, drehte mich um und ging hoch auf mein Zimmer. „John...“ Ich schloss die Tür hinter mir, bevor er seinen Satz beenden konnte. Verdammt, was zum Teufel hatte ich mich bloß gedacht?! Wie idiotisch von mir. Er weiß es jetzt. Er weiß von meinen Gefühlen für ihn. Scheiße! Oh Gott. Was soll ich jetzt tun? Ich werde ihn nie wieder ansehen können. Ich bin so ein verfluchter Idiot! Ich drehte den Schlüssel im Schloss, setzte mich auf mein Bett und starrte aus dem Fenster. Es schneite in dichten Flocken. Es war unmöglich das Haus zu verlassen, der Schnee war zu hoch.

Was für eine aussichtslose Situation. 

Und nun habe ich unsere Freundschaft ruiniert. Für nichts. Absolut nichts.

Nach etwa zwanzig Minuten, hörte ich ihn wieder leise spielen. Ich rieb meine Augen, ließ mich aufs Bett fallen und starrte die Decke an. Genau in diesem Moment begannen die Lampen zu flackern und alles wurde dunkel. Großartig, genau das konnte ich jetzt gebrauchen.  Sherlock hörte auf zu spielen. Ich hörte Schritte auf der Treppe. Sherlock? Nein... Warum sollte er... Ich stand vom Bett auf, öffnete meine Tür und starrte hinaus auf den Flur. Wenigstens war es dunkel und er konnte mein Gesicht nicht sehen.

Es herrschte Totenstille. 

Das Kaminfeuer war nur noch eine schwache Glut. Sherlock war nirgends zu sehen. „Sherlock?“, ich versuchte die Treppen hinunter zu gehen, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, wo ich hintrat. Ich stolperte und fiel – aber ich landete nicht auf dem Boden. Ich spürte etwas Weicheres, Wärmeres unter mir. Ein lautes Stöhnen durchbrach die Stille als ich aufkam. Ich spürte seinen heißen Atem auf meinen Wangen und seine zarten Locken an meiner Stirn. Es war Sherlock! „Oh-ähm... Tut mir Leid, Kumpel...?“ Warum zur Hölle hatte ich ihn „Kumpel“ genannt? Ich versuchte nervös mich von ihm zu lösen. Meine Hand berührte etwas feuchtes, aber ich wusste nicht, was es war. Wahrscheinlich bloß Wasser von geschmolzenem Schnee, dachte ich. Er hatte die Arme um mich geschlungen. Oh Gott. Ich lief knallrot an und war heilfroh, dass er es in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Mein Herz begann von innen gegen meine Brust zu hämmern. Er hielt mich tatsächlich. Warum ließ er mich nicht los? Hatte er Angst? Nein, Sherlock Holmes kannte ein Gefühl wie Angst nicht, da war ich mir sicher. Aber warum sagte er nichts? Ich hörte Schritte im Treppenhaus und sah das flackernde Licht einer Kerze. Ist wohl Mrs Hudson, die nach uns sehen will, dachte ich.

„Jungs?“, sie stockte. Sie schien entsetzt zu sein. Oh Scheiße. Ich bemerkte wie komisch das hier für sie aussehen musste. „Nein, ni-nichts war...“ Sie kicherte und kam näher. „Ich bin auf ihn gefallen, als das Li-“ „Ach du meine Güte!“, schrie sie, als sie mit der Kerze zu uns hinüber kam. Endlich konnte ich es sehen. Als ich auf Sherlock gefallen war, musste sein Kopf gegen die Wand geschlagen sein. Überall war Blut. Seine Augen waren geschlossen und sein Atmen unregelmäßig. Seine Arme waren eng um mich gelegt... was?! Ich fühlte mich schuldig. Das an meiner Hand eben – war Sherlocks Blut! ICH hatte ihm DAS angetan. Oh Gott!  „Verdammte Scheiße, Sherlock!“ Ich täschelte seine Wange, schüttelte ihn leicht - in der Hoffnung, er würde die Augen öffnen. Er rührte sich nicht, aber ich war erleichtert, dass er atmete. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?!“, rief Mrs Hudson panisch. „Es würde Stunden dauern bis die hier wären, bei diesem Schneesturm da draußen!“ Ich befreite mich aus Sherlock Armen und untersuchte seinen Kopf. Er hatte eine Platzwunde am Hinterkopf. Es war zum Glück nicht dramatisch, aber er brauchte auf alle Fälle einen Arzt. (Wo er den wohl findet?) „Das muss passiert sein, als ich auf ihn gefallen bin...“, bestürzt senkte ich meine Stimme. Mrs Hudson machte sich sichtlich Sorgen um das Wohlergehen Sherlocks. Als ich auf ihn hinab blickte fiel mir auf, dass er einen seiner Lieblingsanzüge trug. Eigentlich einer meiner Lieblingsanzüge an ihm. Ich wurde leicht rot. Hatte er sich tatsächlich fertig gemacht, um mit mir essen zu gehen? Aber warum sollte er sich so sehr bemühen? Auf einmal verspürte ich unerträgliche Schmerzen in meiner linken Brust. „Alles in Ordnung Mrs Hudson. Ich werde die Nacht wach bleiben und mich um ihn kümmern. Immerhin bin ich Arzt.“, sagte ich, während ich Sherlock vorsichtig vom Boden nahm und ihn in sein Schlafzimmer trug.

(GERMAN) The Little Things *A Johnlock story* originally by Lokie-pokie-okieWhere stories live. Discover now