Spaziergang

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Es war wie der Eintritt in eine fremde Welt, als Michael die Wohnungstür vor mir aufschloss.
Ich zitterte vor Nervosität.
Die Situation war so surreal für mich, als wir die Treppen des Hauses hinunter gingen,
die mich Sam vor einigen Wochen noch hinaufgezogen hatte und als mir draußen der erste Windhauch ins Gesicht strich, musste ich stehen bleiben.
Ich schloss die Augen und genoss die Brise, versuchte die Sonnenstrahlen aufzusaugen und schaffte es für einen Moment die völlig verquere Situation auszublenden.

„Und das war bevor Sie fliehen konnten?", Samuelen wippt so schnell mit seinem Fuß, dass ich es von der anderen Seite des Tisches sehen kann. Verständnislos sehe ich ihn an. „Das war vor ein paar Wochen." Sein Bein erstarrt. „Sie haben es nicht versucht?"
„Das habe ich nicht gesagt."

Luke und Michael alberten während dem Spaziergang miteinander rum.
Ich hatte erwartet, dass sie wie ein Rudel Wölfe um mich herumlaufen würden, doch nur Sam lief neben mir her, aber auch in einer relativ normalen Entfernung.
Michael und Luke schubsten sich immer wieder, machten Witze und wirkten wie ganz normale Männer. Nicht wie welche, die Frauen in ihren Wohnungen gefangen hielten.
Wir gingen durch die Straßen, an mehreren Mehrfamilienhäusern vorbei zu einem Park.
Die erste Person, die ich sah, war eine ältere Frau, die mit ihrem kleinen West Highland Terrier an der Leine an uns vorbei lief.
Mein Atem wurde schneller und Schweiß trat mir aus jeder Pore.
Mir war klar, dass ich diese Frau niemals ansprechen würde, da ich nicht für ihren Tod verantwortlich sein wollte, aber alleine die Möglichkeit ihr auf irgendeine Art Signale geben zu können, ließ meinen Puls steigen.
Ich starrte sie an und tausende Gedankenflogen durch meinen Kopf.
„Na, schon einen Plan ausgeheckt?", Sam legte mir den Arm um die Schulter und neigte seine Stirn an meine Schläfe.
Ich schüttelte den Kopf.
„Gut so."
Mein Blickflitzte wieder zu der Frau, aber sie war bereits in einem der Hauseingänge verschwunden. Er lachte leise.

Ein Mann, etwa in meinem Alter, bog auf unseren Weg ein und sah unsere Gruppe mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
Er sah mir in die Augen und mein erster Impuls war es meine aufzureißen.
Er verlangsamte seinen Schritt.
Meine Hand, die fest in Sams lag, wurde schwitzig.
Als wir nur noch wenige Meter entfernt waren, ging mein Atem immer schneller und ich konnte meinen Blick nicht von seinen Augen lösen.
Sams Hand drückte fester zu und riss mich aus meinem Starren.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Michaels Hand hinter seinem Rücken über der Waffe schwebte.
Nur Luke schien die Situation anders einzuschätzen und drehte sich gerade zu mir um.
„Dingo und die Bodyguards wäre aber auch kein schlechter Titel, oder?", er lachte und boxte Michael gegen die Schulter.
„Hey, sorry."
Eine Hand tippte mir auf den Rücken.
Ich erstarrte und fuhrherum.
 Der Mann stand hinter mir und lächelte mich an.
„Kann es sein, dass wir uns kennen?"
Sam schnalzte mit der Zunge, doch mein Gegenüber ignorierte ihn.
Er warf seinen Kopf zur Seite um sein überlanges Pony aus seinem Gesicht zu bekommen.
„Ich hab das Gefühl dich schon mal gesehen zu haben."
„Und, Dingo, kennt ihr euch?", Sams Stimme brodelte.
„Nein, ich glaube nicht. Sorry."
Ich erkannte meine eigene Stimme nicht.
Sie klang höher als sonst und die Panik war nicht zu überhören.
„Ist alles okay bei dir?"
Er trat näher und sah Sam von oben bis unten an.
Sollte ich?
Sollte ich was sagen oder ihm irgendwie zu bedeuten geben, dass nichts stimmte?
Dass ich Hilfe brauchte?
Hinter mir hörte ich ein lautes Klicken und obwohl ich damit gar keine Erfahrung hatte, war ich mir sicher, dass Michael gerade eben seine Waffe entsichert hatte.
Auch Luke machte keine Witze mehr und ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken.
Mein vermeintlicher Retter stand immer noch mit zusammengezogenen Augenbrauen vor mir und ich konnte nicht umhin um zu merken, dass er selbst im Nahkampf niemals eine Chance gegen einen der drei gehabt hätte.
Ich würde verantwortlich sein, wenn ihm jetzt etwas passieren würde.

Meine Verantwortung. 

„Ja, klar. Wir haben uns grade gestritten. Männer eben."
Ich lächelte ihn breit an und ließ ein kleines Kichern folgen.
Woher kam das?
Seit wann konnte ich so gut lügen?
„Ach so, du sahst so fertig aus und bei deinen Freunden" er lachte,
„Sorry, Jungs, ihr seht aus wie Gangster."
Hinter mir lachte Luke.
„Also ich nehme das als Kompliment. Was sagst du?"
Michael brummte.
„Dingo ist ja ein cooler Spitzname."
Er lachte.
„Wünsche euch noch einen schönen Abend."
„Danke, werden wir haben."
Luke grinste ihn an und drehte sich um.
Als der Mann weg war, stieß ich meinen angehaltenen Atem aus.
Sie hatten ihm nicht weh getan.
Er hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr er gewesen war und trotzdem tat es mir furchtbar weh, es nicht einmal wirklich versucht zu haben.
Es fühlte sich an, als hätte ich mein Schicksal akzeptiert.

„Gut gemacht, Dingo." 


Dingo (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt