Eltern

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Das Treffen mit meinen Eltern ist anstrengend.
Immer wieder fängt meine Mutter an zu weinen und drückt mich in ihre Arme.
Sie fragen mich nicht, was passiert ist, aber ich denke, sie wissen genug von der Polizei um es sich denken zu können.
Ehrlich gesagt, möchte ich es ihnen auch ersparen, es aus meinem Mund zu hören.
Mein Vater hat die meiste Zeit einen Gesichtsausdruck, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Ob ich ihm nur leid tue, oder er die Familienehre in Gefahr sieht, erkenne ich nicht.
Doch so ein Mann ist mein Vater eigentlich nicht, er liebt mich und wollte mir immer, trotz der eher bescheidenen Verhältnisse meiner Jugend, das Beste ermöglichen.
In diesem Moment sieht er älter aus und der graue Ton seiner Haut lässt ihn kränklich wirken.
Das ist so ein Schwachsinn.
Wut steigt leise brodelnd in mir auf, aber ich atme tief durch. Ich muss ihnen die Möglichkeit geben, Abschied zu nehmen.
Auch wenn sie nicht wissen, dass sie es tun.
Ich habe den Plan schon während meiner Flucht gefasst.
Ich mache meine Aussage bei der Polizei, so detailgetreu wie möglich und mindestens genauso schnell und verschwinde dann. Ich kann diese Stadt nicht mehr ertragen, die Leute um mich herum und sowieso alles.
Außerdem wäre der Aufwand mich im Ausland oder selbst am anderen Ende des Landes zu suchen, selbst für Sam zu hoch. Ich habe zwar nicht viel Geld angespart, aber ich kann bestimmt für ein paar Tage bei einer Freundin übernachten und Jobs im Einzelhandel findet man schnell. Okay, so genau habe ich meinen Plan noch nicht ausgearbeitet und ich werde auch finanziell noch nicht sofort selbstständig leben können, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen werde. Aber die Hauptsache ist doch, dass ich weg bin. In meinem Leben auf Neustart drücken und mich optimieren.
Ist das nicht sowieso oft das, was einem von den ganzen Hobbypsychologen in den sozialen Netzwerken empfohlen wird?
Erfinde dich jeden Tag neu. Sei dein bestes Ich. You only live once.
Und all die anderen Kalendersprüche.
Meine Mutter umarmt mich wieder. Sie erzählt von den Nachbarn und deren Kindern, davon, dass sie jetzt schon kleine Erdbeeren im Garten hätten, und ich ja gerne welche mitnehmen könnte. Oder ich ganz bei ihnen bleiben könnte, bis ich mich wieder akklimatisiert hätte.
Auch länger, falls ich das wolle.
Sie streicht mir über die Haare und erzählt mir wie toll ich bin.
Wie stark ich bin, weil ich das Ganze durchgestanden habe.
Wie stolz sie auf mich ist.
Sie will mir damit helfen. Doch jedes Wort macht mich ungeduldiger, wütender und auch nervöser.
Was durchgestanden?
Was meint sie damit?
Hatte ich eine andere Wahl?
 Nein.
Ich wurde nicht gefragt.
Sam hat nicht überprüft, ob ich mit dem, was er getan hat, klar komme.
Ich fühle mich immer mehr unter Druck gesetzt.
Sie wollen nicht, dass ihre Tochter, ihr kleines Mädchen, zeigt, wie es ihr wirklich geht. Sie wollen, dass ich immer noch die Frau bin, die ich vor der Entführung war.
Das will jeder.
Aber so ist es nun mal nicht. Ich habe mir das nicht ausgesucht und jetzt müssen wir damit leben.
Eigentlich nur ich, denn sie können ihr normales Leben einfach so weiterführen, sie sehen Sam nicht hinter jeder Ecke stehen.
Sie werden nicht von jedem wie das arme Opfer angesehen.


Sie sind nicht ich.

Ich verabschiede mich von meinen Eltern.
Erzähle ihnen, dass ich wieder ins Präsidium muss, um meine Aussage zu machen.
Das stimmt auch, aber weder Samuelen noch Mäkinen erwarten mich so früh zurück.
Ich drücke sie zu fest und zu lange.
Aber sie schieben das wahrscheinlich auf die Erlebnisse.
Ob sie sich denken können, dass es ein Abschied ist?
Es ist besser für sie.
Hier erinnert mich alles an die letzten Wochen und ich kann wirklich nicht mehr die liebe Tochter sein.
Was aus meiner Zukunft wird?
Wer weiß das schon. 

Aber ein Leben in dieser Stadt, ist das letzte was ich jetzt will.
Fast das Letzte.

Dingo (Teil 1)Where stories live. Discover now