Kapitel 12: Lagerfeuer Gespräche

128 9 0
                                    

Lagerfeuer Gespräche  

Scheiße. Was mach ich jetzt? Das konnte es doch nicht gewesen sein? 
Der ekelhafte Typ bekommt mich nicht in die Finger auf gar keinen Fall.
Ich hob eilig das Tagebuch auf und sah mich um. 
Ein lautes Rumpeln kam von der Tür, anscheinend warfen sich die Männer dagegen. 
„Wir kriegen das schon noch hin, komm her Süße. Wir tun dir nichts!“, lachte einer der Männer schmutzig auf und warf sich weiter gegen die Tür.
Ich atmete erneut tief durch und beschloss, aus dem Fenster zu klettern. 
Mein Fieber war mir egal. Ich musste hier raus. 
Ich drehte mich hektisch zu einem der Fenster um und öffnete es zittrig. 
Sofort kam mir frische Luft, angenehme frische Luft entgegen. 
Ich setzte einen Fuß auf das Fensterbrett, zog mich am Fensterrahmen hoch und rutschte ab.
Mein Fuß fing an zu bluten. 
Ich musste mich zusammen reißen, nicht anfangen zu heulen. Der Schmerz war so stark.
Ich setzte den Fuß erneut auf das Fensterbrett und war nun so weit, dass ich auf das Dach steigen konnte. 
„Das wird jetzt was.“, murmelte ich ganz leise und schaute noch mal zur Tür, als ich ein Knacken vernahm. 
Vorsichtig setzte ich meinen gesunden Fuß auf das Dach und stieg hockend aus dem Fenster. 
Hinter mir schloss ich leise das Fenster. 
Von drinnen war ein lautes Brechen zu hören. 
So schnell wie es ging kroch ich auf dem Dach voran um mich so zu verstecken, dass man mich durchs Fenster nicht sah. 
Ich fand eine kleine Nische, in die ich mich hineinsetzte und betrachtete meinen Fuß. 
Das Blut floss an meinem Knöchel runter und wurde von meinen Socken aufgesaugt. 
Dann wurde plötzlich das Fenster geöffnet, durch das ich eben gekommen war.
Ich machte mich so klein wie Möglich und hielt ängstlich die Luft an.
Nur keinen Laut von sich geben. 
„Verdammt! Die Kleine ist geflohen! Ist bestimmt vom Dach gesprungen und hüpft verletzt einem dieser Viecher in die Arme. Wenn sie es lieber so will! Soll sie doch!“ 
Ein lautes Geräusch war von drinnen zu hören. 
„Sie war nicht allein, Jack.“, sagte einer der anderen Männer und freute sich.
Oh nein, Toby. Bitte nicht. 
„Gute Idee! Alleine kommt sie da draußen noch schlechter zu recht!“ 
Die Männer grölten und jubelten.
Diese Arschlöcher. Wenn sie Toby etwas antaten, dann…
Mir wurde auf einmal schwindelig.
Mein Atem wurde heftig und unregelmäßig. 
Ich muss hier weg. Der Rest der Gruppe wird mich hier niemals finden…
Von drinnen waren dumpfe Schläge zu hören. Oh Gott, bitte nicht Toby, bitte nicht.
Ich kniete mich wieder hin und schaute an den Rändern des Daches runter und entdeckte vielleicht meine einzige Chance. 
Einen Wasserkanister und genau so groß, dass man perfekt drauf klettern konnte. 
Ich atmete erleichtert auf und versuchte mich vorsichtig an der Regenrinne runter zu hangeln. 
Mein Zustand ließ das fast gar nicht zu doch irgendwie war ich unten angekommen und spürte unglaubliche Schmerzen in meinem verletzten Fuß. Ich setzte mich auf den Boden und hielt mir meinen Fuß. 
Ich kann nicht weiter machen. Nicht allein. Ich brauche Toby.
Mit einem Stöhnen bewegte ich mich vorwärts auf die Straße zu. 
Ich war hinter dem Haus gelandet und hatte zur Straße einen langen Weg. 
Es war gefährlich, das wusste ich. Ich habe keine Waffe um mich zu verteidigen und war erst recht viel zu schwach um mich zu verteidigen, wenn jetzt ein Beißer ankam, hatte ganz klar ich den großen Nachteil.
Langsam kriechend bewegte ich mich vorwärts und robbte auf dem Boden herum.
Ich war so nah an der Straße. Es war wie in einem Traum.
Ich krallte mich an dem weichen Gras fest und zog mich vorwärts. 
Es war so knapp. 
Waren das da hinten meine Leute?
Meine Gruppe?
Dann wurde es schwarz und alles um mich herum wurde Still.

Ich erwachte erst wieder als ich in einem Lastwagen lag. 
Ich war nicht tot? Wie viel Glück hatte ich eigentlich?
„Oh gut, du bist wach. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht.“ Es war nicht die Stimme einer Person die ich kannte. 
Ich blinzelte und blickte in das Gesicht eines Mädchens. Sie strahlte mich an und sprach weiter: „Du warst kurz davor zu sterben. Wir waren deine letzte Rettung. Wir haben die Antibiotika gegeben und deinen Fuß behandelt.“ 
„Danke.“, stammelte ich und sah mich um. In dem Lastwagen waren viele Rucksäcke und mehrere Menschen.
„Wo ist meine Gruppe?“, fragte ich etwas verwirrt als ich niemanden aus meiner Gruppe entdecken konnte. 
„Wir haben nur dich und einen Jungen gefunden.“
„Einen Jungen?!“, fragte ich aufgeregt und setzte mich ruckartig auf. 
„Bleib liegen. Wir sind bald da.“, sagte sie und legte sanft eine Hand auf meinen Kopf.
„Wohin fahren wir?“
Ich hatte so viele Fragen. Doch am meisten beschäftigt mich eine.
Wo sind die anderen?
„In ein sicheres Camp.“
Ich schloss meine Augen und hoffte, dass es den anderen gut geht.
Ich stellte mir vor wie sie in das Haus kamen und sahen wie wir weg waren. Das Haus verwüstet.
Bevor sich die Vorstellung einbrennen konnte öffnete ich wieder meine Augen und fragte:
„Wo ist er?“ 
„Du meinst sicher den Jungen.“ „Er heißt Toby.“ „Toby ist im anderen Lieferwagen. Wir sind eine relativ kleine Gruppe. Aber haben zwei Laster, weil es praktischer und bequemer ist.“
Sie lachte auf.
„Wie heißt du?“ 
„Harper.“, sagte sie und starrte nach vorne in das Fahrerabteil.
„Schlaf noch ein bisschen. Wir sind bald da.“
Ich folgte ihrem Rat und schloss meine Augen erneut.
Irgendwie schaffte ich es einzuschlafen. In meinem Kopf machte sich die grauenhafte Vorstellung breit, dass sie tot waren. Dass sie von den Männern getötet wurden.

„Jay! Wir sind da!“, freute sich Harper plötzlich und riss mich aus meinem leichten Schlaf.
Der Lieferwagen hielt und ich setzte mich auf.
Als ich aufstehen wollte, half mir Harper da ich wegen meiner Verletzung nicht richtig stehen konnte.
Mir ging es so viel besser. Das Fieber wurde viel besser und ich fühlte mich um einiges lebendiger und gesünder.
Das Tor des Lieferwagens wurde geöffnet und ich wurde vom hellen Licht der Sonne geblendet.
Ich hielt eine Hand gegen meine Stirn um meine Augen zu schützen und entdeckte den zweiten Lieferwagen.
Alle gingen um den Lieferwagen herum und setzten sich vor ein Lager aus Zelten.
Harper half mir den Weg dort hin zu gehen und ließ mich auf einer der Decken nieder.
Dann kam die andere Gruppe des zweiten Lieferwagens. Ich wartete gespannt und sah wie eine Gruppe aus Jungen eine Decke mit einer Person schleppten. 
Ich erwartete eigentlich, dass Toby wie die anderen einfach angeschlendert kam, doch ich irrte mich. Er war die Person auf der Decke. 
Ich wollte aufstehen, hatte nicht an meine Verletzung gedacht und knickte um.
„Pass auf.“, meinte Harper die sich zu mir gesellte und fragte: „Wie heißt du eigentlich?“
„Mel.“, sagte ich kurz angebunden und schaute weiter hin gebannt auf die Trage.
Was war mit ihm geschehen?

Toby wurde in einem der Zelte abgelegt und kam den Rest des Tages nicht raus.
„Was hat er?“, fragte ich Harper am Abend, als wir alle am Lagerfeuer saßen und Dosen Ravioli aßen.
„Er hat starke Prellungen am ganzen Körper. Sein Gesicht ist stark zugerichtet. Ich glaube er wurde zusammengeschlagen.“ 
Ich hielt mir vor Schreck die Hand vor den Mund.
Die dumpfen Schläge.. sie haben Toby zusammengeschlagen.
Mir stiegen Tränen in die Augen.
Es war meine Schuld gewesen, dass er zusammengeschlagen wurde. Nur weil ich geflohen bin. 
„Was ist?“, fragte mich Harper besorgt und stellte ihren Teller mit Ravioli ab.
„Die Typen, die ihn zusammengeschlagen haben. Wollten auch mich haben, ich konnte mich rechtzeitig retten aber er…“
Harper nahm mich in den Arm und sagte: „Red nicht so ein Mist. Sei froh, dass es dich nicht erwischt hat. Diese Typen kennen wir. Viele von uns sind ebenfalls Opfer von diesen Typen. Sie machen mit Frauen beziehungsweise Mädchen schlimmere Sachen als mit Jungen. Die Jungen schlagen sie nur zusammen. Nur.“ 
Das nur betonte sie stark und schaute zu Boden.
„Aber, weg von dem Scheiß. Ich stell dich mal allen vor…“, sagte sie zu mir und fügte laut hinzu: „Leute, das ist Mel.“
Alle murmelten ein leises Hallo zurück und widmeten sich dann wieder ihren Ravioli.
„Ja, die Gruppe ist nicht so gesprächig am Abend. Viele sind müde vom Plündern.“
Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Wir gehen regelmäßig Plündern. Sobald du wieder genug Kraft im Fuß hast, musst du auch mit kommen.“
Sie zwinkerte mir zu erhob sich und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite zu einem Jungen, der sie sofort in den Arm nahm, ihr etwas ins Ohr flüsterte und dann laut sagte: „Wir gehen schlafen.“ 
Die ganze Gruppe lachte. „Ja genau. Schlafen.“, sagte eines der Mädchen und zwinkerte den beiden zu.
Ich fand die Situation witzig. Trotz der Scheiße auf dieser Welt wurde immer noch Witze über so ein Thema gemacht, naja von irgendwas muss man sich ja am Leben erhalten, wenn es auch nur solche schlechten Späße sind.

Dead DiaryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt