Chapter 23

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Dort, wo eben das Auto stand, liegt ein dicker blauer Handschuh auf dem Parkstreifen.

Nialls Handschuh.

Der Typ hat Niall entführt. Wahrscheinlich war es der Stalker. Ich hatte nie ein gutes Gefühl, wenn er da wahr. War wohl das richtige Gefühl.

So schnell ich kann, sprinte ich zu meinem Auto und achte dabei nicht auf den rollenden Verkehr um mich herum. Ein Auto hupt, als ich schnell vor ihm über die Straße renne, aber es fährt mich nicht an.

Im Auto treffe ich erst beim zweiten Versuch das Loch für den Autoschlüssel, und starte dann so schnell wie möglich das Auto. Mein Fuß stellt sich aufs Gaspedal und ich überhole ein paar Autos vor mir, so gut das in dem normalen Verkehr geht. Ist schließlich keine Autobahn.

Wenn Niall irgendetwas passieren würde, würde ich mir das niemals verzeihen. Ich hätte ihn einfach nicht alleine lassen sollen. Wieso habe ich ihm nicht mit den Schuhen geholfen? Ich bin Schuld, wenn ihm etwas zustößt.

Nach wenigen Minuten kann ich das große, schwarze Auto vor mir erkennen. Ein paar andere Autos sind dazwischen, doch das macht nichts, solange ich das Schwarze sehen kann.

Gestresst versuche ich auf ein paar Straßenschilder zu schauen, um die Namen der Straßen herauszufinden, falls ich die Polizei rufen muss. Ich denke kaum, dass ich sie mir merken kann, denn die Straßen in Irland haben teilweise echt komische Namen. Ich achte nur darauf, dass ich mir immer den letzten Namen merke, falls das Auto gleich anhält, was es aber nicht zu tun scheint.

Hoffentlich geht es Niall gut.

Wir erreichen das Ende der Stadt und fahren nun zwischen ein paar Feldern und riesigen Wiesen und Weideflächen hindurch. Wäre ich in einer anderen Situation würde ich jetzt bestimmt die Schönheit Irlands bewundern, aber das muss auf jedenfall warten.

Das schwarze Auto mit dem irischen Kennzeichen vor mir wird immer schneller, also beschleunige auch ich. Ich lasse mich immer nur ein bisschen zurückfallen, damit es nicht ganz so nach Verfolgungsjagd aussieht. Außerdem wäre ein Unfall wegen zwei Deppen, die testen müssen, wer schneller ist jetzt so ziemlich das letzte, was ich gebrauchen kann.

Unsere rasante Fahrt führt mich in einen Wald. Er ist sehr dicht bewachsen und obwohl die Bäume im Winter keine Blätter haben ist es ziemliich dunkel. Die sich windende Straße wird immer schmaler und ich glaube nicht wirklich an eine Kreuzung. Also lasse ich mich zurückfallen, denn ich möchte auch nicht direkt gefangen, oder verprügelt werden, wenn wir am Ziel ankommen. Man weiß ja nie.

Nach einiger Zeit sehe ich, dass der Wagen am Wegesrand abgestellt wurde. Inzwischen kann man wirklich nicht mehr von einer Straße sprechen. Auch ich halte mein Auto an und stelle es halb hinter zwei buschigen Tannen versteckt hin.

Soll ich aussteigen?

Hab ich überhaupt eine Wahl?

Entweder ich fahre um, oder bleibe hier sitzen und sehe Niall vielleicht nie wieder, oder ich steige aus und gucke, ob er noch im Auto, oder wo anders ist und riskiere dabei selbst entführt zu werden. Also bleibt mir nicht wirklich eine Wahl. Ich brauche Niall mehr als alles Andere.

Langsam ziehe ich den Schlüssel aus den Auto und öffne die Tür. Neben meinem Auto hebe ich einen relativ dicken Stock, oder Ast auf. Er wird mir nicht das Meiste bringen, aber ich fühle mich schonmal etwas besser.

Ich nähere mich dem Auto und spähe vorsichtig durch die Fensterscheiben.

Es ist leer. Dann müssen sie Niall weggebracht haben.

Langsam, den Stock wie einen Baseballschläger haltend gehe ich weiter den Weg entlang. Nach der nächsten Biegung endet er, doch was ich dort sehe stockt mir den Atem.

Es ist ein großes, graues Haus. Genau so, wie Niall es nach seinem Schock gestern morgen beschrieben hat. Es ist von Pflanzen bewuchert und sieht meiner Meinung nach fast wie ein Bunker aus. Es hat ein große dunkelgraue Stahltür als Eingang, ein Flachdach und so gut wie keine Fenster.

Wenn das das gleiche Haus ist, wie das, von dem Niall mir erzählt hat, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich das, was sich darin abgespielt hat wiederholt. Vielleicht wird er gerade vergewaltigt.

So schnell ich kann renne ich die letzten Schritte bis zur Tür und rüttele an der Klinke. Nichts geschieht. Hätte ich mir denken können.

Leider müsste der Typ oder die Typen spätestens jetzt wissen, dass ich hier bin. Wenn ich auch gewollt bin, müsste ich wahrscheinlich jetzt rennen, um zu entkommen.

Aber ich renne nicht.

Ich kann Niall nicht im Stich lassen.

Niall.

Ich begreife erst jetzt so langsam, was gerade passiert ist.

Riesige Leere scheint sich in mir auszubreiten und macht mich taub. Taub am ganzen Körper. Alles was ich empfinde ist tiefer Schmerz und Sehnsucht.

Sehnsucht nach der Liebe.

Wenn ich Niall jetzt für immer verloren habe, hat die schönste Zeit meines Lebens gerade mal ein paar Wochen, vielleicht höchstens zwei Monate angedauert.

Jeder wünscht sich seine große Liebe zu treffen. Ich habe es mir auch immer gewünscht. Aber die Liebe macht süchtig. Man wünscht sich ein ganzes Leben mit ihr.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt die Polizei anzurufen. Ich hätte es schon viel eher machen müssen. Ich bin ein schlechter Freund. Ich habe alles falsch gemacht.

Schnell krame ich in meiner Hosentasche, ziehe mein Handy heraus und will gerade die Notrufnummer wählen, als ich die vier Balken am oberen Rand meines Handys betrachte, die jetzt nicht ausgefüllt sind. Kein Empfang. Shit.

Nichtmal Harry kann ich anrufen. Ich lasse mein Handy zurück in meine Hosentasche gleiten und suche nach anderen Möglichkeiten, Niall zu helfen.

Durch Fenster komme ich nicht rein. Die wenigen Fenster, die ich während ich neben der Betonmauer herlaufe, entdecke sind klein und vergittert. Keine Chance.

Ein Türschloss aufbrechen habe ich noch nicht versucht und esist bestimmt auch nicht so einfach, wie in den Filmen. Dazu habe ich leider keine Haarspange oder Kreditkarte. Die liegt im Hotelzimmer. Wieso eigentlich? Man bin ich blöd.

Während ich weiter nachdenke rutsche ich an der rauen Wand runter und setze mich auf den weichen Waldboden. Wieso Niall? Er hat nichts von dem allen verdient.

Ich kann gerade nichts tun, außer warten. Warten auf eine Idee, warten auf eine Lösung.

Ich steige zurück in mein Auto, lege mich auf die Rückbank und versuche in der Kälte und mit meinen nicht enden wollenden Gedanken zu schlafen. Nach einer gefühlten Ewigkeit holt mich der Schlaf ein und ich finde wenigstens ein bisschen Erholung.

Reset My MindWhere stories live. Discover now