Kapitel 31

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Mittlerweile war es kurz vor ein Uhr morgens und die Nächte, in denen ich wachgelegen hatte, machten sich allmählich bemerkbar. Mit einem lauten Gähnen ließ ich mich nach vorn gegen die Lehne des Stuhles vor mir fallen und schloss die Augen.

»Hätten wir so eine Reise nicht auch am Tag machen können?«, murmelte ich und presste meine Stirn fester gegen das Plastik, damit mein Kopf nicht bei jeder Erhebung der Straße schmerzhaft damit kollidierte.

»Nein. Nachts ist es außerdem viel eindrucksvoller«, erwiderte Lia und verbrachte ihre Zeit wieder damit, stur geradeaus zu schauen. Ich runzelte die Stirn und seufzte.

»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als das hier«, gab ich mit einem sarkastischen Unterton von mir.

»Ach hör auf zu heulen. Zuhause hättest du sowieso nur in deinem Bett gelegen und an die Decke gestarrt, in der Hoffnung, eine Nacht keine Albträume zu haben«, sprach sie die Wahrheit aus und brachte mich so dazu, kurz zusammenzuzucken.

»Trotzdem«, murmelte ich und spürte, wie der Bus anhielt.

»Wir müssen aussteigen«, erhob sich Lia und wartete darauf, dass ich es ihr gleich tat. Mit hängendem Kopf stieg ich aus dem Bus und ließ mich sofort auf die nächstbeste Bank fallen.

Ich war müde - totmüde, wenn man es genau nahm - und wollte einfach nur ins Bett. Selbst wenn mich die Albträume wieder heimsuchen würden, dann hätte ich wenigstens die Chance auf eine oder zwei Stunden Schlaf, bevor ich wieder schreiend aufwachen würde.

»Wie eine alte Frau«, kommentierte Lia mein Verhalten und brachte mich mit einem Ruck wieder auf die Beine. In der Ferne hörte ich das Wummern von Bässen, was bedeutete, dass hier in der Nähe vermutlich eine Hausparty stattfand.

Wie ein Hund trottete ich meiner besten Freundin hinterher, die eine Nachricht auf ihrem Handy verschickte und ich stellte mir vor, wie ich gerade in meinem Bett liegen könnte und nicht mitten in der Nacht irgendwo herumlief.

Mit der Zeit wurde der Bass immer lauter und auch einige Stimmen drangen durch die Dunkelheit zu uns, die nicht gerade nüchtern klangen.

Erst als wir vor einem kleinen Zaun standen, der einen pickfeinen Vorgarten hinter sich abgrenzte, wurde mir klar, dass wir vor dem Haus standen, in dem die Party stattfand. In meiner Kehle bildete sich ein Kloß, den ich nur schwer herunterschlucken konnte und mein Bedürfnis, so schnell wie möglich zurück nach Hause zu kommen, wuchs.

Ich vermied große Menschenansammlungen, weil mich solche zu stark reizen könnten. Meine Mum sprach von einer posttraumatischen Belastungsstörung, die mich ziemlich impulsiv und reizbar und unkontrollierbar machte. Dadurch war es auch zu meinem Streit mit Jonah in der Cafeteria gekommen.

»Ich will ja nichts sagen, aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, versuchte ich, mich herauszureden. Ich beobachtete kritisch einen Jungen, den ich aus der High School kannte, wie er über das Geländer der Veranda in einen der penibel gestutzten Büsche fiel und dort bewegungslos liegen blieb.

Wer auch immer in diesem Haus wohnte, würde sicher nicht ungeschoren mit dieser Party davonkommen.

Lia ging gar nicht erst auf meinen Einwurf ein und öffnete bereits das Gartentor. Danach stellte sie sich hinter mich und schob mich bestimmend den Kieselweg entlang auf die Veranda zu. Ich stemmte zwar nicht meine Fersen in den Boden, jedoch machte ich ihr ihr Vorhaben nicht gerade einfach. Die Haustür stand offen und der Bass war unerträglich laut geworden.

»Lia«, wimmerte ich beinahe, als sie mich eiskalt ins Innere des Hauses schob. Überall blitzten bunte Lichter auf, es stank nach Schweiß und Alkohol und es waren so viele Leute hier drinnen, dass man kaum atmen konnte.

RachegöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt