Kapitel 13

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Weihnachten stand vor der Tür. Heute war der letzte Schultag vor den Ferien und im gesamten Gebäude konnte man kaum einen einzigen, wirklich aufmerksamen Schüler im Unterricht auffinden. Sogar ich stand viel zu sehr unter Strom, um mich noch auf das Gerede von Mr. Aspen konzentrieren zu können.

Meine Großeltern flogen heute Nachmittag aus Mississippi hierher und blieben über die Feiertage bei uns. Grandma Nancy und Grandpa Tom waren die mit Abstand coolsten Anfang Siebzigjährigen der Welt. Beide hatten sich jung gehalten, sowohl äußerlich als auch innerlich und hatten von meinem Bruder einiger Begriffe der Jugendsprache gelernt.

Zusätzlich wurde der Truthahn, den meine Grandma machte, jedes Jahr aufs Neue immer besser, auch wenn ich angenommen hatte, dass das überhaupt nicht möglich war.

Lia würde mit ihren Eltern Verwandte in Südkorea besuchen und dort bis zum Ende der Ferien bleiben. Daher würden wir uns weder am Weihnachtsmorgen, noch an den Feiertagen oder Neujahr sehen können.

Wir schenkten uns gegenseitig kleine Dinge zu Weihnachten und gaben diese dann den jeweils anderen Eltern, um sie am Weihnachtsmorgen in unseren Strümpfen zu finden. Es war zwar schade, dass der Zeitunterschied zwischen Korea und Kalifornien sechzehn Stunden betrug, aber dann wünschte mir Lia eben schon um acht Uhr morgens ein frohes, neues Jahr.

Zu guter Letzt gab es da noch Jonah - oder mein fester Freund. Seit unserem ersten Date waren wir noch ein paar Mal ausgegangen, bevor er mir dann die entscheidende Frage gestellt hat. Natürlich ohne Ring, aber mit einem Blumenstrauß. Zu süß für die Welt - und mich.

Anders als erwartet hatte mir Lia kein Schleudertrauma verpasst als ich ihr von Jonahs und meinem ersten Date erzählt hatte. Sie hatte recht gefasst gewirkt und mich so gruselig gelächelt, dass ich mich bis heute noch nicht ganz davon erholt hatte. Sicherlich wusste sie bereits, wo ich mit Jonah leben würde, wenn wir alt und faltig waren und unsere Urenkel im Garten vor dem Haus spielten.

Mit Ausnahme von Lia wusste – zu meinem großen Bedauern – nur eine einzige Person von meiner Beziehung mit Jonah. Dass es sich dabei aber genau um Cole Banks handelte, bereitete mir leichte Bauchschmerzen.

Er ging mir seit der Sache mit der Prügelei aus dem Weg und warf mir lediglich ab und an einen giftigen Blick zu, den ich großzügig ignorierte. Außerdem war ich in den letzten Wochen äußerst friedfertig aufgelegt und nicht wirklich in Rachelaune, weshalb ich ihn auch nicht unnötig provozierte.

Die Klingel läutete und alle, selbst die, die normalerweise Sport als eine Art Foltermethode betrachteten, sprinteten aus dem Kursraum; in die Freiheit der Weihnachtsferien. Lia und ich hatten uns bei meinem Spind verabredet, um uns noch voneinander zu verabschieden. Ihr Flieger würde bereits heute Abend abheben, weshalb uns keine große Zeit blieb, bis sie aufbrechen musste.

Jonah war so großzügig und würde mich noch nach Hause fahren, obwohl ich ihm mindestens zwanzigmal gesagt hatte, dass ich auch das Skateboard nehmen könnte und er nicht extra einen Umweg fahren musste. Aber da hätte ich auch gegen eine Wand reden können, die am Ende eventuell sogar noch kooperativer gewesen wäre.

Langsam packte ich meine Sachen zusammen und wünschte Mr. Aspen schöne Weihnachten, bevor ich mich in das Getümmel an Schülern stürzte und mich in die entgegengesetzte Richtung zu meinem Spind durchkämpfte.

Trotz meiner sechzig Kilo Kampfgewicht war das kein leichtes Spiel, da sich der Ansturm der Schüler zum Ferienbeginn gut mit diesen Stiermärschen in Spanien vergleichen ließ. Einziger Unterschied bestand darin, dass in diesem Fall keine Gefahr bestand, von einem Paar spitzer Hörner aufgespießt zu werden.

Irgendwann ließ der Strom nach und mir kamen nur noch vereinzelt Schüler entgegen, bevor ich schon die schwarzen Haare meiner besten Freundin von weitem sehen konnte. Sie trug ihren Weihnachtspullover, den meine Grandma ihr einmal gestrickt hatte. Sie liebte Lia wie ihr drittes Enkelkind und vermutlich sogar noch mehr als Noah und mich.

RachegöttinWhere stories live. Discover now