Kapitel 33

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»Wenn du dieses Kleid nicht gleich ausziehst, rufe ich die Modepolizei«, rief Lia, verdeckte mit einer Hand ihre Augen und forderte mich dem Schütteln ihrer anderen Hand dazu auf, den violetten Albtraum so schnell wie möglich von meiner Haut zu entfernen.

»Ist ja gut«, murmelte ich und schlüpfte zurück in die Umkleidekabine. Wenn man es genau nahm, dann entsprach dieses Ungetüm aus Tüll auch nicht wirklich meinem Geschmack – es hat lediglich an der Schaufensterpuppe gut ausgesehen und sich an mir als Desaster entpuppt.

Mit dem Kleid über meinem Arm zog ich den Vorhang wieder zur Seite und bemerkte sofort Lias stechenden Blick, der förmlich versuchte, das violette Stück Stoff in meinen Armen zu verbrennen.

»Es wird sich nicht in Luft auflösen, egal wie finster du es anschaust«, bemerkte ich trocken und schnappte mit meinen kleinen Rucksack, der neben Lias überkreuzten Beinen gestanden hatte.

»Einen Versuch ist es wert. Ich dachte, ich werde blind bei dem Anblick«, schüttelte angewidert mit dem Kopf. »Und auch wenn ich nicht besonders viel ohne die hier erkennen kann, ist mir mein Augenlicht doch ganz lieb«, ließ sie sich einen letzten Kommentar nicht nehmen und deutete dabei auf ihre Brille, die auf ihrer Nase thronte.

Mit einem Augenrollen hing ich das Kleid zurück an seinen ursprünglichen Platz und verließ gemeinsam mit Lia – bevor uns eine der Verkäuferinnen ein weiteres Kleid andrehen konnte – den Laden. Prompt wurde die ruhige und sanfte Musik, die im Inneren der Boutique gespielt hatte, durch den Lärm zahlreicher Menschen ersetzt, die wie wir ihren Nachmittag in der Mall verbrachten.

In genau drei Wochen würde der Ball stattfinden und weder Lia noch ich hatten sich bisher um ein Kleid gekümmert. Wir hatten jedes Mal aufs Neue eine Ausrede gefunden, um uns nicht mit diesem Problem auseinandersetzen zu müssen und hatten daher diese Woche überraschend festgestellt, dass uns allmählich die Zeit davonlief.

»So langsam fände ich ein Erfolgserlebnis nicht so schlecht. Wir suchen jetzt seit geschlagenen drei Stunden und bei mir geht allmählich die Luft raus«, stöhnte ich und fuhr mir mit einer Hand durch die zerzausten  Haare.

Das ständige An- und Auszeihen hatte mein Haar so elektrisch aufgeladen, dass es strohig von meinem  Kopf abstand und vermutlich am nächsten Luftballon kleben bleiben würde.

»Jetzt beschwere dich nicht so. Wer von uns beiden ist die Sportliche?«, sagte sie in einem anklagenden Ton. »Ich gebe dir einen Tipp: Ich bin es nicht.« Ich verdrehte amüsiert die Augen und hatte Schwierigkeiten, mit meiner  besten Freundin Schritt zu halten.

Lia gehörte zu den unsportlichsten Menschen, die ich je in meinem Leben kennengelernt hatte, jedoch verwandelte sie sich zu einer Besessenen, wenn es um Shopping ging.

Vermutlich hätte sie Usain Bolt schlagen  können, wenn man auf die andere Seite der Laufbahn ein Kleid von Coco Chanel oder Schuhe von Saint Laurent als Prämie positioniert hätte.

»Ich bin sportlich, aber das hier hat nichts mit Sport zu tun, sondern mit Wahnsinn«, erwiderte ich und stürzte förmlich hinter ihr her. Wie sie in ihrem Tempo noch Zeit hatte, Läden nach den Kategorien ›Besuchswürdig‹ und ›Nein‹ zu sortieren, war mir ein Rätsel.

»Ich bin eher für Onlineshopping zu haben. Schön gemütlich von zuhause aus und ohne stundenlange Verausgabung für ein Paar Socken.«

Lia schenkte mir einen Blick, der mich verstummen ließ und visierte zugleich das nächste Geschäft an, das in die erste Kategorie ihrer  Auswahl gerutscht war.

»Aber du hast schon recht«, sagte Lia nach einiger Zeit, während ihre Finger akribisch einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite schoben.

»Womit? Das Shopping Wahnsinn ist oder das wir langsam fündig werden wollten?«, hakte ich über die Reihen an Kleiderstangen hinweg nach, zwischen denen ich ebenfalls Ausschau nach meinem Kleid hielt, welches im besten Fall nicht aussah wie eine Explosion aus Rüschen und Farbe.

RachegöttinWhere stories live. Discover now