Finale.

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Stöhnen, Keuchen, Schreie ... Bitte wer soll denn bei diesem Krach schlafen können? Ich jedenfalls nicht ... Und das nach dem Finale einer Weltmeisterschaft. Da kann man doch gar nicht mehr so viel Energie haben.
Ich hatte mit 23 Jahren den größten Vertrauensbeweis des Trainers bekommen. Startelf nach Verletzung von Sami. Zum Ersten Mal bei der WM. Im Finale. Der Tag, der alles entschieden hatte. Die Möglichkeit, ein ganzes Land stolz zu machen. Und ich durfte spielen. Mit Adler auf der Brust, mit der Möglichkeit, 80 Millionen Menschen den Traum vom vierten Stern zu erfüllen.
Und genau das war Brasilien für mich, ein Traum. Der Traum meiner Kindheit, der eines jeden Fußballers. Und er wurde wahr. Ich fuhr mir mit der Hand durch die kurzen blonden Haare, seufzte schwer und blickte vom Balkon hinunter auf den Pool des Campo Bahia.
Das Wasser leuchtete in zartem Türkis, völlig verlassen, ebenso wie die Sonnenliegen auf der angrenzenden Holzterasse. Klar, nachts um -ein kurzer Blick auf das viel zu helle Display meines Smartphones- 4:56 nach einer Weltmeisterfeier schläft ja auch jeder. Jeder, außer mir, Basti und Lukas. Gut, genau genommen schlafen die beiden ja auch. Eben zusammen in einem Bett. Und zwar miteinander.
"Oh Basti du Hengst, gib's mir!", schallte es heiser zu mir herüber. Das Gesicht in den Händen vergraben und auf dem Stuhl, den ich bis eben noch geflissentlich ignoriert hatte, zusammengesunken und immer noch mir dröhnendem Kopf, bemerkte ich meinen Mitbewohner erst, als er mir einer seine überdimensional großen Pranken auf die Schulter legte.
"Na kleiner, was bringt dich um den Schlaf?", brummte unser Torwart Nummer eins offensichtlich verschlafen. "Sperr mal deine Ohren in Richtung der Herren Schweinsteiger und Podolski auf. Wundert mich ja, dass du überhaupt einschlafen konntest!" War er wirklich so betrunken? Manu ließ ein leises Lachen vernehmen. "Man gewöhnt sich dran, Chris. Ich habe die beiden seit 5 Jahren nebenan, irgendwann überhört man es einfach."
Wieder konnte ich mir ein verzweifeltes Seufzen nicht verkneifen, als ein weiterer animalischer Schrei die nächtliche Stille durchbrach. Himmel, in meinem angeschlagenen Kopf hallt jeder Laut wie eine Kirchenglocke. "Mich würde ja mal interessieren, wie die es finden, wenn man sowas mit ihnen machen würde." Wieder lachte Manu. "Hey, war das ein Angebot?" "Ach halt die Klappe Neuer!", knurrte ich ihn an "wenn du auch mal wieder ne Runde brauchst, dann geh doch rüber und frag, ob sie noch einen Torwart für ihr kleines Spielchen brauchen".
Ich sprang von meinem Stuhl auf und lehnte mich wieder an das Geländer unseres Balkons. Wenn er nur wüsste, was er mit solchen Bemerkungen anrichtete. Verstanden hatten wir uns schon immer gut. Er, der große erfolgreiche Bayernstar und ich, der kleine Gladbacher, der mit seinen Bemerkungen zu eventuellen Wechseln oder eben auch Verbleiben bei seiner geliebten Borussia regelmäßig in der Bild landete.
Er, Manuel Neuer und ich, Christoph Kramer. Nummer 1 und Nummer 23. Doch irgendwann fing es an in meinem Bauch zu kribbeln. Bei jeder Umarmung zur Begrüßung, bei jeden Mal Nebeneinanderstehen bei der Hymne, bei jedem Torjubel, wenn er mich durch die Luft wirbelte. Aber er ... Sah in mir nur ein kleines, unerfahrendes Küken, auf das er aufpasste, weil Jogi ihn darum gebeten hatte. Weil man es so machte, um den Neuen die Eingewöhnung beim DFB zu erleichtern.
So in meine Gedanken an die kurzen dunkelblonden Haare, die stechend blauen Augen und diesen Traumkörper versunken vergaß ich meine Umwelt komplett und zuckte zusammen, wie ein angestochenes Kaninchen, als sich plötzlich zwei starke Arme um meine Hüften schlangen und er seinen Kopf auf meinen stützte. Warum muss er auch so ein Riese sein?
"Hey, warum plötzlich so aggressiv, hab ich was falsches gesagt?", brummte mir die Stimme, die genauso gut zu Papa- Bär gehören könnte, ins Ohr. Und wieder rieselte es mir eiskalt den Rücken runter. "Hmmm" gab ich sehr aussagekräftig von mir und lehnte mich an ihn, wenn er schon so einladend hinter mir stand. "Na, doch noch anders überlegt?". Und schon wieder erschauderte ich bei seinen Worten. Ich riss mich aus seinen Armen und machte drei Schritte von ihm weg. "Chris? Was wird das?". Shit, jetzt hatte ich sein Misstrauen geweckt. "Ich ... Ich.. Weiße du ..", stammelte er vor sich hin. Nanu? Wo war denn der sonst so selbstsichere Keeper auf einmal? Wieder klappte er den Mund auf. "Das sollte doch nur ein Scherz sein! Gott, was musst du jetzt von mir denken?" Täuschte ich mich oder wurde er tatsächlich hysterisch, während er versuchte sich aus der Situation herauszureden?
Ich versuchte krampfhaft mich zu erinnern, wieviel Manu an diesem Abend getrunken hatte. Doch meine Erinnerung war aus bekannten Gründen nicht die beste.
Wieder setzte er zu einer Erklärung an, doch ich sprintete förmlich in mein Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Meine Schlafklamotten hatte ich ja zum Glück schon an. Mit voller Kraft biss ich mein Kopfkissen, um nicht aufzuschluchzen. Dann würde ich Manu nämlich gar nicht mehr loswerden. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Es fühlte sich an, als wenn jemand in meinem Kopf eine U- Bahn baute. Nur den Streckenplan hatte man mir nicht zukommen lassen.
Hatte er grade gesagt, dass er Sex mit mir will? Er? Manuel Neuer? Deutschlands Nummer Eins? Meine Nummer Eins? Der Mann meiner Träume. Ich verstand nichts mehr. Was hatte ich verpasst? Oder war es zu auffällig? Hatte er etwas bemerkt und wollte mich für eine schnelle Nummer ins Bett zerren, weil er mal wieder Erleichterung brauchte?
Ein trockenes, leider sehr lautes Schluchzen entwich meiner Kehle. Ich war am Ende. Um das Chaos zu perfektionieren hörte ich eilige Schritte vom Balkon. Jetzt würde ich nicht mehr um eine Erklärung herumkommen.
Denk nach, Chris. Denk nach, denk nach, denk nach, verdammt!

Battlefield. ABGESCHLOSSEN.Donde viven las historias. Descúbrelo ahora