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Jimin

Er kam mit kleinen Schritten auf mich zu, schien fast schon unsicher und das machte mich etwas stutzig. Was hatte er für einen Grund Unsicherheit zu zeigen, wenn ich doch derjenige war, der allen etwas verheimlichte? Nicht nur mein Familiengeheimnis, sondern auch dieses seltsame aufgeregte Kribbeln in meiner Magengegend, das genau in diesem Moment wieder einsetzte und mich komisch fühlen ließ.

„Ich hab mir Sorgen gemacht als ich heute morgen aufgewacht bin und du nicht mehr da warst. Warum bist du nicht einfach geblieben?" Er setzte sich, wie Tae ihn angewiesen hatte, neben mich auf die Couch und sofort wurde ich an gestern erinnert. An seine warme schützende Umarmung, seinen süßen Geruch und das Herzklopfen, welches mit dem von jetzt locker mithalten konnte. Bei dem Gedanken lief ich leicht rot an und schnell wich ich seinem Blick aus, der mich schon wieder förmlich zu durchschauen vermochte.

Ich wusste nicht ganz woran es lag, aber schon seit unserer ersten Begegnung hatte ich mich vor diesem eindringlichen Blick gefürchtet. Für manche schien es vielleicht nicht ungewöhnlich zu sein, aber jedes Mal wenn er mich mit diesen hell leuchtenden, aufmerksamen Augen betrachtete, hatte ich das Gefühl er würde mich in und auswendig kennen, ich könnte nichts vor ihm verbergen und grade das fürchtete ich am meisten.

Also lenkte ich schnell meinen Blick ab und kratzte mir etwas unbeholfen den Nacken, während ich verzweifelt versuchte seine Frage zu beantworten ohne ihn zu verletzen oder anzulügen, denn das konnte ich heute nicht noch einmal. „Ich... ähhh... ich wollte nicht, dass meine Mom sich Sorgen macht, also bin ich gegangen, sobald ich aufgewacht bin." Ich riskierte einen kurzen Blick zu ihm und sah gleich darauf wieder weg, da es mich erneut beinahe durchbohrte. Langsam wurde ich nervös, da ich immer noch nicht ganz wusste, wie ich mich jetzt verhalten sollte und fragte mich, was Tae eigentlich machte, dass er so lange dafür bräuchte. 

„Das muss aber ziemlich früh gewesen sein, sonst hätte ich dich bestimmt gehört. Du hättest mich aber auch wecken können, dann hätte ich dich gefahren." Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke und konnte mich grade noch davon abhalten ihn nicht mit handtellergroßen Augen anzustarren. Einerseits rührte mich ja dieses Angebot, aber ich würde einen Teufel tun und ihn um 3 Uhr morgens wecken, nur weil ich nicht bei der Kälte laufen wollte. Bei dem Gedanken sträubte sich mein komplettes Inneres und wieder musste ich mich davon abhalten dies äußerlich zu zeigen.

„Das ähhh ist lieb, aber nein. Ich bin gelaufen und wie du siehst, bin ich auch heile wieder bei mir angekommen." Er nickte, wie mir schien jedoch ein wenig widerstrebend, als wäre er nicht ganz zufrieden mit meiner Antwort. Aber was sollte ich bitte sonst sagen? Ja, ok beim nächsten Mal? Ganz sicher nicht. Ich fühlte mich ja schon ein wenig schlecht, dass ich bei Yoongi eingeschlafen war und sogar bei ihm gebadet hatte. Ich mochte es einfach nicht, wenn man so viel auf sich nahm, nur wegen mir. 

„Hör mal Jimin, ich weiß ich hab dir gestern gesagt, dass du jederzeit mit mir reden kannst und ich respektiere auch deine Entscheidung zu schweigen, aber ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht." Er legte seine Hand langsam auf meine, was scheinbar besänftigend gemeint sein sollte, aber genau jetzt erzielte er bei mir damit den gegenteiligen Effekt. Die Berührung durchfuhr mich wie eine Art Elektroschock und so schnell wie noch nie zuckte meine Hand zurück, während mich wieder diese unbändige Angst befiel. Diese, doch scheinbar so irrationale Angst er könnte mich durchschauen, die eigentlich so unbegründet war, aber für mich grade mehr als realistisch.

„D-das geht dich nichts an.", stotterte ich mir als Selbstschutz vor meinen über mir einbrechenden Gefühlen, als das es der Wahrheit entsprach. Er weitete kurz erschrocken die Augen, rief sich aber anscheinend schnell wieder zur Vernunft und strahlte wie sonst auch diese ruhige Aura aus, die mich jetzt jedoch nicht erreichte, dafür war meine Angst einfach zu groß. 

„Ich weiß es ist dein Leben, aber ich sehe es dir deutlich an. Die dunklen Schatten unter deinen Augen, deine blasse Haut und die geröteten Augen... ich mache mir Sorgen um dich, Sorgen, dass du etwas in dich hineinfrisst, ohne jemals darüber zu sprech-" Weiter kam er nicht, da hatte die Panik schon Besitz von mir ergriffen und mich aufspringen lassen. „Wa-" Auch diesmal unterbrach er sich selbst, aber nur weil ich auf dem Absatz kehrt machte und überstürzt die Flucht ergriff. 

Kaum war ich aus der Tür, lief ich prompt Tae über den Weg, der grade mit Popcorn und Chipstüten beladen aus der Küche stapfte. In meiner Aufregung verschwamm mein Umfeld zu einer schmierigen Masse aus formlosen Schemen und so war es kein Wunder, dass ich mit meiner Schulter gegen Tae prallte und ihn damit aus dem Gleichgewicht brachte. Ich stauchelte kurz, hielt mich aber auf den Beinen und rannte einfach kopflos aus der Wohnung, ignorierte dabei Taes fragende Ausrufe, bis noch eine weitere Stimme zu mir durchdrang.

„Jimin warte!" Es war Yoongi und er folgte mir anscheinend, was mich nur weiter dazu anspornte die Füße in die Hand zu nehmen und zu rennen. Aus Zeitgründen verzichtete ich sogar auf den Fahrstuhl und rannte einfach die Treppen nach unten, immer weiter, nur gefolgt von Yoongis Rufen, die anscheinend nicht abzubrechen schienen. 

Ich sprang die letzten paar Stufen nach unten und schob dann einfach die großen gläsernen Eingangstüren auf, musste dann aber jedoch unvermittelt stehenbleiben, da die Sonne genau in mein Gesicht schien und somit die gesamte Welt für mich kurzzeitig in ein grelles Dunkel verwandelte. Ich blinzelte verzweifelt, konnte die lästigen schwarzen Punkte jedoch nicht aus meiner Sicht entfernen, was es Yoongi dann ermöglichte mich einzuholen. 

Noch während ich geblendet versuchte mir eine Orientierung zu verschaffen, griffen lange schlanke Finger nach meinem Handgelenk und hielten mich davon ab erneut überstürzt die Flucht zu ergreifen. Er war merklich außer Atem, ließ allerdings nicht von meinem Handgelenk ab und drehte mich daran zu sich. 

Ich sah die winzigen Schweißtröpfchen auf seiner Stirn im Sonnenlicht glitzern, doch nicht mal eine Sekunde später überkam mich wieder diese irrationale Panik und ich versuchte mich verzweifelt aus seinem Griff zu lösen, was mir aber nicht gelang. In meinem Kopf spielten sich hunderte Szenarien ab, die eine schlimmer und unrealistischer als die andere, doch die Furcht regierte mich und so dauerte es nicht lange, bis sich Tränen der Verzweiflung in meinen Augen sammelten und meine Umwelt sich wieder zu diesen verschwommenen Schemen wandelte.

„Hey Jimin, sieh mich an!", forderte Yoongi mit besorgter Stimme und griff kurzerhand mit seinen Fingern nach meinem Kinn, als ich nicht reagierte. Zu meinem Pech verflüchtigten sich die dicken Tränen wieder und so war ich seinem eindringlichen Blick hilflos ausgeliefert. „Es gibt keinen Grund vor mir wegzurennen. Ich möchte dir wirklich nur helfen und falls das grade eben zu aufdringlich war, tut mir das leid. Ich will wirklich, dass es dir gutgeht und es macht mich verrückt, dass du das anscheinend nicht zulässt. Aber wenn du mich lässt, kann ich dir helfen. Lass einfach los und ergib dich deinen Gefühlen, lass sie einfach frei."

Ich wusste nicht was für einen Zauber er auf mich hatte, aber es war erschreckend, wie wohltuend seine Stimme, seine Worte für mich waren. Auf einmal kam es mir wie der dümmste Fehler meines Lebens vor die ganze Sache mit meiner Familie zu verheimlichen und meine Gedanken und Empfindungen in mir einzusperren. Vielleicht hatte ich gedacht, dass die dicken Stäbe des Käfigs in meinem Inneren ausreichen würden und bis jetzt hatten sie es auch getan, nur Yoongi schien auf magische Weise einen Schlüssel zu besitzen und das Schloss damit einfach aufzulösen. Denn genau so fühlte es sich grade an, als ob alle Gefühle der letzten Jahre wellenartig über mir zusammenkrachen würden und ich wäre ein winziges hölzernes Ruderboot, das unter all der Kraft zusammenbrechen würde, verschluckt vom tiefen Ozean meiner eigenen Gefühle.

Doch Yoongi schien anscheinend Macht über mich zu haben und so gab ich meinen Kampf tatsächlich auf und brach in Tränen aus. Mir war in dem Moment egal, dass ich auf einer offenen Straße stand und mich wahrscheinlich die Leute anstarrten als wäre ich ein Alien, der grade mit einer Katze kommunizierte, denn genau in dem Moment schlossen sich seine Arme schützend um mich und so ließ ich mich einfach fallen und weinte, weinte so hemmungslos wie noch nie zuvor.

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon