Kapitel 40 - Vielleicht

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Linelle Mahner

,,When I feel my heart go dark inside
She knows how to bring it back to light
When even the good parts don't feel right
She keeps out the monsters in my mind
Say my prayers and wait for the sunrise
You show up in all of the worst times
Always close, my demons in disguise
By my side since I can remember
You and love always go together
Tried it all but the drugs don't work tonight
So I close my eyes
And I count to ten
And I hope the feeling's gone
When I open them again
And I stop the clocks
And I take a breath
And the water's rising, I'm in over my head."

Wie schon so oft in der Vergangenheit suchte ich auch an dem Tag, an dem mich Frau Bließmann  überdeutlich zurückgewiesen hatte und damit jegliche noch bestehende Hoffnung auf Zuneigung ihrerseits zerstörte, Verständnis in der Musik und ihren lyrischen Texten. Mads Langers Song ,,Monsters in my mind" traf ziemlich genau die Gedanken, die meinen Kopf ständig beschäftigten. Worte verstanden mich oft besser als Menschen. Worten musste man nicht antworten oder ihnen Rechenschaft ablegen. Sie wussten auch so, wie sehr die Liebe manchmal quälte, was auch immer diese überhaupt genau sein sollte. Sie war gleichzeitig das Schönste und das Grausamste im Leben und war doch das Einzige, das einen in letzter Konsequenz antrieb, das einem elementare Hoffnung gab und der Grund für die meisten unserer Taten war.

Nachdenklich saß ich im Gästezimmer meiner Großmutter auf der Innenfensterbank, schaute spürbar verloren aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach. Es war bereits dunkel geworden, die Laternen erhellten spärlich das schleierhafte Dunkel der Straße. Der Himmel zeigte sich inzwischen wolkenverhangen, obwohl es den ganzen Tag über recht schön gewesen war. Zur Nacht wurde sogar die Natur etwas trübselig. Mein Blick verfolgte die fetzenartigen Wolkenstreifen, die aufgrund der großen Entfernung von ihren Begutachtern fälschlicherweise ganz leicht und fein aussahen. Täuschten jeden, der nur das in ihnen sah, was er sehen wollte und ermöglichten es, sich fernab der Realität eine wolkig-leichte Welt zu erschaffen. Eine Welt zum Träumen, zum Entfliehen.
Vieles, das man nicht genau betrachtete, verleitete auch in der Realität zur Täuschung, vor allem, wenn man eigentlich überzeugt war, etwas oder jemand würde nicht täuschen. Dann lag die höchste Täuschung in einem selbst. Weil man die Wahrheit nicht hören oder sehen, das Unvermeidbare nicht akzeptieren wollte...
Je weiter ich dachte, desto stärker erinnerte mich dieser Gedankengang an Frau Bließmann. Wieder einmal. Die Hoffnung, die Flucht, die erwünschte Glückseligkeit - alles, an das ich dachte, mündete früher oder später in ihr, als wäre sie der Fixpunkt meines Lebens, auf den alle Fluchtlinien zusammenliefen. Selbst in den schlimmsten Momenten.
Ich weiß nicht, wie lange ich noch dort saß und ein ums andere Mal über die Frau nachgrübelte, die seit fast zwei Jahren mein Denken und Fühlen bestimmte, doch irgendwann musste ich wohl am Fenster eingeschlafen sein, weil ich gehofft hatte, sie würde vielleicht bei einem Spaziergang durch unsere Straße laufen. Den Aspekt, sie könnte diese Straße absichtlich meiden, da sie wusste, dass ich nun bei meiner Großmutter wohnte, ließ ich bewusst außer Acht. Zu präsent war meine Sehnsucht, sie wiederzusehen. Zu groß die Hoffnung, sie könnte womöglich dennoch hier vorbeigehen. Rückblickend war mir klar, wie sie meine Vernunft ad absurdum setzte und ich mich in diese Hoffnung hineinsteigerte, ihr zufällig in unserem Dorf zu begegnen, weil ich einfach nicht akzeptieren wollte und konnte, sie faktisch nur noch zweimal zu sehen, nur noch zweimal mit ihr zu reden und sie bestaunen zu dürfen, bevor sie vollends aus meinem Leben verschwand...

Gefühlt vergingen die Tage des diesjährigen April und Mais bedeutend langsamer als alle langsam vergangenen Tage der Vergangenheit. Innerlich konnte ich es kaum abwarten, Frau Bließmann wiederzusehen, selbst wenn sie mich mit ihren Abweisungen nicht zu knapp getroffen hatte. Meiner unbegründbaren Zuneigung und Bewunderung für sie tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil, je länger ich sie nicht sah, desto mehr vermisste ich sie.
Inzwischen hatte ich mehr oder minder akzeptiert, dass ich sie nicht haben konnte, obwohl sie schon ganz bald nicht mehr meine Lehrerin war. Sie hatte ihren Freund. Zwar drehte sich mir bei seiner Erwähnung und dass er hatte, was ich nicht haben konnte, der Magen um, aber im Endeffekt war das Einzige, was mir wirklich wichtig war, Frau Bließmanns Wohlergehen. Ihr Glück. Wenn sie mit ihm glücklich war, war es gut, dass es ihn in ihrem Leben gab.
Ich würde lügen, würde ich sagen, ich hätte nicht der Grund für ihr Glück sein wollen, aber da sie mich nicht wollte und in mir alles andere als ihr Glück sah, musste ich hinnehmen, dass ich es eben nicht war. Irgendwann, irgendwann in der Zukunft, würde ich schon an den Punkt kommen, an dem ich nichts mehr für sie fühlte. An den Punkt, an dem diese Gefühle ebenso wie sie selbst der Vergangenheit angehörten und zu einer schmerzhaften, wunderschönen, prägenden Erinnerung werden würden - so zumindest glaubte ich.

Das Wunder ihrer AugenWhere stories live. Discover now