Kapitel 15 - Regenwetter

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Jalia Bließmann

Sprachlos starrte ich die Tür an, durch die Linelle eben geflüchtet war.
Ist das gerade wirklich passiert?
Es war mucksmäuschenstill, seit sie den Raum verlassen hatte und mich - wieder einmal - ratlos stehen ließ. Langsam fragte ich mich wirklich, wie oft sie das noch machen wollte. Lief sie immer davon, wenn man sie mit irgendetwas konfrontierte? Und warum ließ ich mir das überhaupt gefallen?

Hatte ich es vielleicht nicht anders verdient?
Waren meine Worte zu harsch gewesen? Hätte ich nicht sagen sollen, sie sei unberechenbar?
Schlag auf Schlag schwirrten diese Fragen in meinem Kopf umher, auf die ich nun vermutlich keine Antwort mehr bekommen würde.
Diesmal hatte ich sie verletzt, das konnte ich an dem mitgenommenen Ausdruck in ihren Augen sehen, den sie tapfer versucht hatte, vor mir versteckt zu halten. Sie so zu reizen, war nie meine Absicht gewesen, aber ich hatte es wohl trotzdem getan. Ohne es zu wissen.
Ich bin so eine dumme Kuh.
Aber wie sollte ich es denn auch wissen, wenn sie nicht mir mir sprach, sondern immer wieder abblockte?
Ich wusste nicht einmal, was von dem, was ich gesagt hatte, der Auslöser für ihre Reaktion war.
Sie kam wieder und wieder auf mich zu, um dann doch wieder zu zurückzuschrecken.
Warum tust du das?

Wollte sie wirklich, dass ich sie nicht mehr beachtete?
Wenn ja, warum war sie dann von sich aus einen Schritt auf mich zugegangen, indem sie sich bei mir bedankte? Wenn ich sie etwas fragte, blieb sie meistens still und zeigte kaum eine Regung.
So konnte das ja nichts werden...
Vermutlich sollte es das auch gar nicht, aber aus irgendeinem Grund weckte sie dennoch meine Neugier auf eine Weise, die es mir nicht möglich machte, sie zu ignorieren. Auch wenn meine Aussagen eben ziemlich direkt und provokant waren, so hatte sie endlich einmal darauf reagiert und wirkte nicht bloß wie eine perfekt gefasste Hülle, die nichts zu bewegen schien.
Trotzdem plagte mich bereits jetzt mein schlechtes Gewissen. Sie hatte mir nicht freiwillig erzählt, was ich nun erfahren hatte.

Sie enttäusche immer alle Menschen und vermassle immer alles - was sie auch damit meinte, es war lediglich durch ihre Aufregung aus ihr herausgesprudelt. Das war eigentlich nicht das, was ich erreichen wollte. Andererseits bekam ich dadurch wieder einmal die Bestätigung, dass mich mein Gefühl nicht täuschte, dass irgendetwas bei ihr nicht stimmte.
Gerade deshalb hätte ich wissen müssen, wie sensibel sie war. Ich Idiot! So sehr sie auch versuchte, ihre Emotionen vor mir verborgen zu halten, ein Blick in ihre Augen genügte und ich konnte sehen, dass meine Worte sie getroffen hatten.
Das wollte ich nicht.

Ein weiteres Mal musste ich feststellen, dass ich ihr Verhalten schlichtweg nicht verstand. Ebenso wenig, warum ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte.
Nein, ich hielt ihr lieber einen Vortrag über Taten und Konsequenzen und vermittelte ihr auch noch den Eindruck, sie lediglich für meine Lehrprobe in Zaum halten zu wollen. Ohne irgendwas von dem, was ich sagte, ernst zu meinen.
Sehr gut, Jalia.
„Verdammt!", fluchte ich und ließ mein Gesicht in meine Hände sinken, während ich noch immer an der Kühltruhe lehnte.
Kein Wunder, dass sie von mir weg wollte. Erst jetzt realisierte ich, wie meine Worte auf sie gewirkt haben mussten. Ich meinte zwar, was ich sagte, aber nicht auf die Weise, auf die Linelle sie wohl aufgefasst hatte.
„So ist es doch gar nicht...", murmelte ich beinahe verzweifelt vor mich hin.
Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Erst stolperte Linelle auf der Treppe, als sie offensichtlich überstürzt versuchte, vor mir wegzulaufen - warum auch immer - dann schauten wir uns sekundenlang in die Augen, als hätten wir noch nie etwas Schöneres gesehen und im nächsten Moment schrie sie mich fast an, als sei ich Satan persönlich. Was soll das denn?
„Warum redet sie nicht einfach mit mir?", fragte ich meine innere Stimme, doch auch sie fand keine Antwort.
Pffft, der Zug ist spätestens jetzt abgefahren.
So, wie ich eben mit ihr gesprochen hatte und wie aufgebracht sie reagiert hatte, glaubte ich nicht, dass sie sich dahingehend demnächst anders entscheiden würde.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf und ging die vergangene halbe Stunde durch. So viele Emotionen in so kurzer Zeit, das war schlimmer als Achterbahn zu fahren. Wir waren beide schlagfertig und ließen uns nicht unterbuttern. Dadurch war es schwer, ein ruhiges Gespräch anzufangen, wenn wir doch beide wussten, dass es genau das zu verhindern galt. Sie wollte sich mir auf keinen Fall öffnen, was mich nur noch mehr anfixte. Nun hatte sie einen winzigen ersten Schritt auf mich zu gemacht und ich wies sie ab, ohne groß nachzudenken. Wir wollten uns gegenseitig davon abhalten, aufeinander zuzugehen, und konnten es doch irgendwie nicht sein lassen.
Was ist das nur mit ihr?!

Das Wunder ihrer AugenWhere stories live. Discover now