Kapitel 34 - Nächtliche Beruhigung

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Jalia Bließmann

"Here comes the rain again.
Falling from the stars.
Drenched in my pain again.
Becoming who we are.
As my memory rests
But never forgets what I lost.
Wake me up when September ends."
Dudelnd weckte mich Green Days ,,When September ends'' und ließ mich langsam die Augen öffnen. Heute war der erste richtige Tag, an dem ich die Q3 in Biologie unterrichten würde. Manuel Großholz war wie besprochen vergangenen Freitag in Elternzeit gegangen und überließ mich nun meinem Schicksal mit einem Abiturjahrgang. Der Druck, diesen ordentlich vorzubereiten, beschäftigte mich schon seit ich zugestimmt hatte, ihn zu übernehmen. Mein Examen lag gerade einmal knapp fünf Monate hinter mir und schon wurde ich mit Aufgaben herausgefordert, die ich erst in ein paar Jahren erwartet hatte. Verantwortung war an sich nie ein Problem für mich gewesen, da man sie zumeist mithilfe von anständiger Organisation und Zeitplanung gehändelt bekam, aber das hier war etwas komplett anderes. Ich arbeitete nicht mehr nur für mich und meine eigenen Ziele, sondern vor allem, damit junge Menschen möglichst den Weg einschlagen konnten, den sie wollten. Das allein brachte mich bereits ordentlich ins Grübeln, doch hinzu kam ja noch die Tatsache, dass dieser Kurs ausgerechnet der war, in dem meine Lieblingsschülerin Linelle saß. Die Schülerin, zu der ich von Anfang an einen ausgeprägteren Hang verspürte, als üblich war und als ich es von mir kannte.
Christian hatte mit seiner These tatsächlich Recht behalten, dass ich sie wieder unterrichten würde, wenn ich an ihr Gymnasium zurückkehrte. Zugegeben, vielleicht war es auch etwas naiv gewesen, zu glauben, ich könnte ihr als Abiturientin wirklich aus dem Weg gehen. Immerhin kam ich frisch in den Beruf - mit zwei Fächern, die sowieso eher dürftig zu finden waren. Da war es rational betrachtet eigentlich sogar ziemlich wahrscheinlich, sie zumindest in einem Fach zu bekommen. Somit kam es, wie es kommen musste und ich stand schon heute vor ihrem Kurs. Unter ihrem prüfenden, taxierenden Blick. Das kann ja was werden...

Der folgende Vormittag verging sogar überraschend zügig, sodass ich mich schon bald auf meine Mittagspause freute. Niemand konnte ahnen, wie angenehm es war, nach stundenlangem Stehen wieder zu sitzen. Erleichtert ließ ich mich auf meinen Stuhl im Lehrerzimmer fallen.
,,Ohhh, meine Güte, was waren die Fünfer heute wieder laut! Ich höre immer noch ihr Geschrei im Ohr!'', sprach ich meine Kollegin Katrin an, die sich zeitgleich neben mich gesetzt hatte. Sie rieb sich bestätigend die Schläfen.
,,Wem sagst du das? Die Sechser sind genauso.'',
,,Jaaa! Dauernd geht es ,,Frau Bließmann'' hier, ,,Frau Bließmann''da. Ich antworte ja gerne, aber manchmal fällt es mir schwer, nicht zu sagen, dass ich meinen Namen durchaus selbst kenne, wenn sie so gar nicht aufhören wollen, mich zu rufen. Man kommt ja, wenn man Zeit hat.''
Verstehend nickte Katrin und erzählte dann von ihrem bisherigen Tag. Auch während des Mittagessens unterhielten wir uns mit ein paar anderen Kollegen und gingen kurz die folgenden Wochen im Schnelldurchlauf durch, als es auch schon zu achten Stunde klingelte.
,,Da ist unsere kurze Ruhe schon wieder vorbei...'', murrte Angela, eine tolle Kunstkollegin.
,,Mhm...Welche Klasse hast du jetzt? Bei mir geht's wahrscheinlich sogar. Es sind nur die Q3er. Aber erste Stunde, also mal schauen.''
,,Ahhh! Stimmt, Manuel schwebt ja bald im Vaterglück.'', lachte Katrin, die sich zu uns gesellt hatte.
,,Genau. Hoffentlich geht alles gut."
,,Bestimmt! Und das wird sicher ein echt hübsches Baby bei den Eltern. Hast du mal Antonia, seine Freundin, gesehen?"
Verhalten schüttelte ich den Kopf.
,,Nein, nicht, dass ich wüsste..."
,,Och, die ganzen Familien lernst du auch noch früh genug kennen. Du sitzt ja jetzt bei uns fest.", witzelte Angela.
,,Jaaa, so gesehen schon. Aber ich freue mich auf die Zeit. Unterrichten macht ja schon Spaß", ich lachte kurz, ,,Apropos, ich muss noch schnell was kopieren.... Wir sehen uns, ja?"
,,Bis dann!", verabschiedeten sich Katrin und Angela, während sie selbst ihre Sachen packten.
,,Bis dann!'', erwiderte ich und huschte noch beim Reden zur anderen Seite des Lehrerzimmers.

Das Wunder ihrer AugenWhere stories live. Discover now