Kapitel 38 - Strahl für mich

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Linelle Mahner

,,Wenn der Hass die Wut berührt
Die Wahrheit auf einem Seil nur balanciert
Dann lass uns nicht stumm sein
Lass es uns nicht egal sein
Denn diese Welt ist wunderschön
Wenn ein Wort für nichts mehr steht
Und der Wind sich so schnell dreht
Dann lass uns zusammen gehen
Gegen den Sturm stehen
Ich seh' weiße Fahnen wehen
Denn immer, wenn ich in deine Augen seh'
Weiß ich: Liebe kann uns retten
Uns befreien von allen Ketten
Und immer, wenn ich die Welt nicht mehr versteh'
Weiß ich: Liebe muss uns retten
Denn ohne Liebe sind wir nichts."

Langsam öffnete ich meine Augen, als das Erste, was ich hörte, während ich zu mir kam, Musik war, die typischerweise meine Großmutter hörte. Aus dieser Erkenntnis schloss ich, dass ich bei ihr sein musste, wieso ich allerdings bei ihr war und wie lange ich seitdem geschlafen hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht zusammenreimen. Hatte ich überhaupt geschlafen? Wie war ich eigentlich hier hin gekommen?
Konfus versuchte ich, mich aufzurichten, um mich umsehen zu können. Im Sitzen erkannte ich schnell, wo genau ich mich befand. Ich lag im Bett des mir gut bekannten Gästezimmers meiner Großmutter, zugedeckt, wie sie es immer getan hatte, als ich noch ein kleines Mädchen war.
Stundenlang hatte sie damals bei mir gesessen und mir Geschichten vorgelesen, bis ich eingeschlafen war. Sie war einer der Gründe, weshalb ich das Lesen so liebte.
Dann mummelte sie mich in meine Decke ein und wünschte mir friedliche Träume. Frieden. Träume. Die Orte, an denen man sein konnte, wer man wollte, in denen passierte, was man sich sehnlichst wünschte.
Oder auch, was man bodenlos fürchtete. So, wie ich meinen Vater fürchtete. Kurz bevor ich wieder einschlafen konnte, schreckte ich mit diesem Gedanken hoch, weil ich mich an jenen Abend erinnerte, an dem mein Vater wieder einmal auf mich losgegangen war und wie ein Versprechen drohte, sich nun Frau Bließmann vorzunehmen.
Frau Bließmann... Sie war die Erste, die meinen Kopf einnahm, als mein geordnetes Denken zurückkehrte. Wo war sie? Was war mit ihr passiert? Wie ging es ihr? Ich wusste es nicht. Sicherlich waren seit meinem Flehen an meinen Vater, sie nicht zu verletzen, mehrere Tage vergangen, in denen er sich nicht ein einziges Mal hatte blicken lassen. Ich aß die letzten Reste, des Vorrats in seiner Heimwerkstatt, bis sie irgendwann aufgebraucht waren und ich nach einer gefühlten Ewigkeit ohnmächtig wurde. Tja... und dann wurde alles schwarz in meiner Erinnerung.

,,Ah, du bist wach, sehr gut! Wie geht es dir? Tut dir etwas weh?", einfühlsam lächelnd betrat meine Großmutter den kleinen, fast quadratischen, gemütlich eingerichteten Raum und setzte sich wie früher auf meine Bettkante.
,,J-...Ja..", ich räusperte mich, da meine Stimme wortwörtlich eingerostet schien.
,,Ja, ich...bin wach. Ich habe nur ein bisschen Kopfschmerzen, aber sonst ist alles gut."
,,Hier, ich hab dir einen Tee gemacht. Hilft vielleicht auch der Stimme etwas. Apfel ist doch immer noch richtig, oder?", fragte sie mit sanfter Tonlage.
,,Awww, danke Oma. Ja, Apfel ist super.", dankbar nahm ich ihr die warme Tasse ab. Wieder einmal wurde mir klar, was für ein Glück ich hatte, zumindest sie als lieben Menschen in meinem Leben zu haben. Schon als Kind verbrachte ich gerne Zeit mit ihr und das hatte sich bis heute nicht geändert. Auch wenn ich meine Besuche merklich reduziert hatte, um ihr keine Sorgen zu bereiten, wenn es mir wieder einmal nicht gut ging. Damit sollte sie sich nicht rumschlagen müssen. Niemand sollte das. Und doch tat ich es und nun gewissermaßen auch Frau Bließmann. Wenn ich nur gewusst hätte, wie es ihr ging. Hatte Richard seine Drohungen wirklich realisiert?

,,Na Lili, an was denkst du?", wollte meine Großmutter mit einem Lächeln wissen, die wie früher schon ein Gespür dafür hatte, wenn irgendetwas nicht stimmte. Wie sollte es auch? Ich musste ja aus irgendeinem Grund bei ihr gelandet sein.
,,Ach, ich hab nur gerade versucht, mich daran zu erinnern, wie ich überhaupt zu dir gekommen bin, aber ich komme nicht drauf. Mein verwirrtes Gedächtnis ist noch nicht so ganz auf der Höhe, strukturiert zu schalten.", versuchte ich wage zu scherzen, doch meine Großmutter machte keine Anstalten, zu schmunzeln. Das war wohl nicht witzig.
,,Wundert mich nicht. Richard hat dich ganz schön zugerichtet. Zum Glück bist du endlich raus aus diesem Irrenhaus. Jetzt bleibst du bei mir.", erklärte sie knapp und es war offensichtlich, dass das nicht zur Diskussion stand. Trotzdem wollte ich einhaken.

Das Wunder ihrer AugenWhere stories live. Discover now