Vaterhass

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Eine Tochter sollte ihren Vater verehren. Ihn über alles lieben. Er sollte derjenige sein, der sie hochhebt, um den Weihnachtsstern auf der Spitze des Tannenbaums zu platzieren.

„Pass auf, der hat dich nicht gesehen!"
Ich drückte das Gaspedal weiter durch, ohne auf die Kommentare meines Beifahrers zu achten.
Meine Hand schwitzte und meine Haut war so taub, dass ich das Lenkrad kaum noch spürte. Ich fühlte mich, als würde ich durch einen langen Tunnel fahren, der nur ein Ende besaß:
Die Wahrheit.
Und der Ausgang des Tunnels war so lange versteckt, dass der Tunnel angefangen hatte zu brennen. Selbst Metall hält nur eine bestimmte Gradzahl aus, bevor alles zusammenbricht.
Die Lügen waren eingebrochen.
„Hey, Rose"
Kälte.
Ich zuckte zusammen und ein Schauer fuhr durch meinen ganzen Körper.
Dave hatte seine Hand auf mein Knie gelegt.
Lügen und Manipulation.
Jahre lange hatte ich den falschen Mann für das Monster gehalten.

Vor uns tauchte eine riesige Fabrik auf.
Sie war abgelegen und heruntergekommen.
Mit quietschenden Reifen brachte ich den Wagen zum stehen, wagte es selber nicht, zu atmen, und hoffte allein, dass mich meine Wut, Angst, und gleichzeitig die Enttäuschung die richtigen Entscheidungen treffen ließ.
Ich riss die Tür des Autos auf, zog meine Waffe aus dem Halfter, als wäre die Bewegung nichts anderes, als morgens meine Zahnbürste in die Hand zu nehmen.
Mein Herz klopfte bis zum Anschlag, meine Ohren dröhnten.
Ich hatte das Gefühl, jemand würde mich stundenlang fallen lassen, ohne zu wissen, ob ich überleben würde oder nicht.
Das Swat Team war noch nicht da, wir müssten laut Protokoll auf sie warten, aber wozu musste man noch auf Regeln hören, wenn das ganze Leben eine Lüge gewesen war?
Ich musste nicht rüber zu meinen Partner sehen, um zu wissen, dass er hinter mir stand; wortwörtlich und mental.
Meine Atem wurde ruhiger und meine Schritte vorschnellten sich, der trocknende Sommer wirbelte den Staub der Wege hoch, als würde Asche der Toten wieder auferstehen.

Drinnen war es dunkel, feucht, trotzdem zu warm. Nichts konnte mich aus der Fassung bringen.
Nichts bis ich ihn fand.
Herzstillstand.
So fühlte ich mich - nur dass ich leider nicht starb.
Väter sollten ihre Kinder lieben und Töchter sollten ihre Väter als Helden ansehen.
Ich stand meinem Vater gegenüber und das einzige was ich empfand war: Abschaum.
„Ich hatte schon den Verdacht, dass du es nach so vielen Versuchen schaffen würdest, die Wahrheit herauszufinden."
Bei jedem seiner Worte wäre ich am liebsten aufgesprungen um ihn zu schütteln, bis er wieder aufwachte und zu dem Papa würde, der mich aufgefangen hatte, als ich zu hoch auf den Apfelbaum geklettert war, aber dieser Papa war nur eine Fata Morgana, eine Illusion. Er hat nie existiert.

Meine Augen waren auf das kleine Mädchen gerichtet.
Er hielt ein Messer an ihren Hals.
Sie war höchstens zehn und trug nur Unterwäsche.
„Du tötest keine Kinder." Das war zu meiner Überraschung das Einzige, was ich herausbekam.
Wahrscheinlich sagte ich es, weil ich mich selber davon überzeugen wollte; weil wir bei Bearbeitung des Falls herausgefunden hatten, dass keines seiner Opfer ein Kind gewesen war. Er hatte sie nur als Geisel genommen und würde sie freilassen, wenn es mir gelang, die Situation unter Kontrolle zu behalten.
Kontrolle...
„Stimmt, sie war damals schließlich auch schon über 21." Sie. Raine. Die wichtigste Person in meinem Leben.
Mein Vater lächelte, als wäre er der Wolf aus Rotkäppchen, und wie in dem Märchen hatte ich es viel zu spät erkannt.

Ich schloss meine Augen, wollte diesem Ort entfliehen, mich verstecken, ein unwissendes kleines Kind sein, aber andererseits wollte ich ihm auch gegenübertreten, ihm ins Gesicht spucken, ihm sagen, dass er vielleicht mein Blut besaß, aber nie mein Vater gewesen war, dass er kein Recht auf den Titel hatte!
„Es tut mir leid, dass du das mitbekommen musstest, Rose. Ich werde der Kleinen nichts antun, wenn du bereit bist, das hier vernünftig zu regeln.

Kurzgeschichten 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt