Arbeitslandschaft

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Seufzend fuhr ich den Waldweg entlang. Die Gegen war das totale Gegenteil von New York; überall nur Bäume und hässlichen Häfen.
Nach ein paar weiteren Minuten Fahrt lichtete sich der Wald und vor mir bauten sich riesige, in 70er Jahre Architektur erbaute Gebäude auf. Die hässlichen grauen Platten sahen ganz anders aus als das Lincoln Center, mit seinen großen abgerundeten Säulen und dem vielen beleuchten Glas. Der Gedanke wirkte wie eine schmerzende Erinnerung daran, dass das hier die Realität war, meine neue Zukunft - die Zukunft, die immer nur als Plan B geplant gewesen war.
Ich hielt vor einer Schranke, drückte auf den Knopf, damit das Fenster runterging und ließ gräßlich heiße August Luft in meinen Land Rover. Es fühlte sich an, als würde mir jemand einen Föhn ins Gesicht halten.
Hinter einem Glas, was aussah wie das in meinem Badezimmer (verdreckt und undurchsichtig) stand eine schmale Frau mit Blazer, die von der gnadenlosen Sonne im Gegenlicht angestrahlt wurde.

„Sind Sie Besucher oder Mitarbeiter?" fragte sie monoton und ich zweifelte einen Moment an meiner Outfit Wahl, denn wenn selbst sie schon ein Blazer trug, waren meine schwarze Lederjacke, die dunkelroten Dr. Martens und die enge schwarze Jeans, die sogar immerhin ohne Loch war vielleicht doch zu leger für den Anlass.
„Neue Mitarbeiterin", antwortete ich und hielt ihr die Einstellungs Kopie hin, die sie mir zweimal geschickt hatten. Ohne weitere Wörter drückte sie auf einem Knopf und ließ die knatschende Schranke öffnen.

Ohne das Fenster wieder hochzufahren fuhr ich hindurch und brauchte nicht lange, bis ich einen Parkplatz auf dem grauen Gelände fand. Selbst das weiche Sonnenlicht, das allem den Anschein gab, als ob es durch einen bernsteinfarbenen Filter gefilmt würde, könnte an dem tristen Dasein nichts ändern.
Seufzend schaltete ich den Motor ab und beobachtete einen Schmetterling, der mit Leichtigkeit an meinem Fenster vorbei flog. Er passte nicht hier hin, genauso wenig wie ich, und doch hatte er eine Veränderung von der Raube zur fliegenden Schönheit hinter sich. Und ich? Ich war von einer Balletttänzerin durch einen Unfall, der mich über den harten Asphalt fliegen lassen hatte auf eine dumme Idee gekommen, die mich jetzt verpflichtete, mein handbesticktes hellblaues Tütü hinter mir zu lassen, aus dem Auto zu steigen und meiner Zukunft in einer düstern Welt entgegen zu treten.

Ich hoffte, dass die BAU wenigstens eine Klimaanlage besaß, denn wenn ich einerseits zu unprofessionell angezogen war, so war ich andererseits zu warm angezogen.
Mit einem tiefen Atemzug betrat ich das Gebäude und konnte wenigstens in Bezug auf die Temperatur beruhigt sein: es waren ca. 20 Grad und damit angenehm.
„Ausweis?" Ein gelangweilt aussehender Mann, ebenfalls in einem gläsernen Büro wie man sie von den Ticketverkäufern am Bahnhof kennt sah mich erwartend an.
Ich gab ihm mein höflichstes Lächeln und zeigte erneut den Zettel vor, welchen er sich ein paar Sekunden lang mit gerunzelter Stirn durchlas, bevor er mich durch eine Magnetschranke passieren ließ.
Immerhin hatte ich nichts metallisches dabei, sonst hätte ich mir vermutlich noch mehr Verspätung eingehandelt als die 12 Minuten, die ich sowieso schon zu spät war. Einen guten Eindruck machte das vielleicht nicht, aber pünktlicher hatte ich es nicht geschafft.

Ich entschied mich also für den Aufzug statt der Treppe um keine Zeit mehr unnötig zu verlieren und drückte den Knopf für die zweite Etage. Der Fahrstuhl bestand abgesehen von einem großen Spiegel aus dunklem Holz und passte damit zur längst aus der Mode gekommenen Ästhetik des Gebäudes.
Ein sanftes „Ping" suggeriere mir, dass ich angekommen war, und die Türen geleiteten zur Seite und offenbarten mir damit meine neue Welt.

Um ehrlich zu sein, ich hätte es mir alles ein bisschen schicker vorgestellt.
Der große Raum war gefüllt mit Schreibtischen, von denen, soweit ich das erkennen konnte, nicht mehr als zwei einen auch nur ansatzweise aufgeräumten Eindruck machten, und die Seiten des Raumes waren mit ähnlichen großen White Boards versehen, wie meine Mutter sie beim NYPD benutzte.
Durch die Fenster, die sich an den Längs-Seiten des Raumes befanden, strahlte das Sonnenlicht gefiltert von Vorhängen (diese Art von Vorhängen, die eher Stoffstreifen sind) zerstückelt herein und zwischen den zwei Aufzügen befand sich neben der amerikanischen Flagge und der von Virginia eine eher schwächelnd aussehende Topfpflanze.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hätte, aber irgendwie hatte ich mir die Arbeit für das FBI schicker vorgestellt. Naja, aber besser als Knast war es wohl.

„Sorry!", eine kleine Frau in bunten Klamotten hastete aus dem zweiten Fahrstuhl an mir vorbei, wobei sie mich fast umgerannt hätte.
„Schon wieder eine Viertelstunde zu spät, ach, hoffentlich meckert Hyde nicht wieder mit mir", murmelte sie zu sich selbst.
„Da sind wir schon zwei", antwortete ich. Agent David Hyde war der Leiter des Teams an der BAU und damit wenn alles glatt lief bald mein neuer Vorgesetzter.
Die Frau rückte ihre violette Brille zurecht und sah mich dann verwirrt an.
„Claireina DeVilliers", stellte ich mich vor, „man könnte sagen, dass ich zu einer Art Vorstellungsgespräch eingeladen bin."
Sie runzelte die Stirn für einen Moment, bis ihr die Angelegenheit wieder einzufallen schien.
Entgegen meiner Erwartungen lächelte sie breit.
„Paloma Yanez" sie streckte ihre Hand zur Vorstellung aus und ich schüttelte diese, während sie schon begann, weiterzureden.
„Na dann komm, Hyde will dich bestimmt direkt sprechen."
Sie öffnete mir auf der rechten Seite eine Tür, die ich bei meinem ersten Blick für eine Klotüre gehalten hatte, die sich aber nun als die Türe zu einem Büro herausstellte.
„Claireina ist hier", erklärte sie fröhlich, während ich in das strenge Gesicht eines großen dunkelhaarigen Mannes sah, welcher mit größter Wahrscheinlichkeit Agent David Hyde war. Neben ihm stand eine dunkelhaarige Frau, die auch irgendwie strenger und professioneller wirkte als Paloma Yanez.
Das Büro selbst war ähnlich langweilig gehalten wie der restliche Komplex und die Leute sahen auch langweilig aus und diese ganze FBI Idee war vermutlich sowieso Schwachsinn.

Ich hatte mein Leben auf der Bühne verbringen wollen und nicht in einem stickigen alten Gebäude, aber diese Träume waren mit meiner Verletzung am Rücken gestorben wie die verwelkte Pflanze neben dem Aufzug.
„Claireina, ich bin Special Agent David Hyde, das ist Special Agent Emelie Penrose", er deutete auf die dunkelhaarige Frau.
„Sie sollten sich besser um Ihre Topfpflanzen kümmern", war das erste, was ich zu ihm sagte, woraufhin er eine Augenbraue hochzog.
„Sie denken, der Job ist zu wichtig, um Zeit dazu zu haben; Sie denken, er gibt Ihnen keine Zeit für solche Dinge, oder auch für andere Dinge. Sie wollen immer alles richtig machen, alles perfekt machen, aber trotzdem denken sie am Ende des Tages, dass immer irgendetwas - oder jemand zu kurz kommt."
Ich sah zu, wie die beiden Agents einen Blick austauschten und konzentrierte mich gespielt gelangweilt auf die verstreuten Papiere auf dem hölzernen Schreibtisch, auf den Ledersessel dahinter, auf die Staubteilchen, die in der Luft vor dem Fenster tanzten.
„Ich hatte dich nicht nach einer Demonstration deiner Fähigkeiten als Profiler gefragt." Agent Hyde sah mich streng an, aber ich glaubte, ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielen zu sehen.
„Gefragt? Was erwarten Sie von dem Mädchen, das sich in die FBI Software eingehackt hat? Dass sie wartet, bis man sie fragt?"
Auch ich begann zu lächeln, während ich antwortete. Ganz langsam, ganz leicht.

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