7 Jahre

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Roses Sicht:
7 Jahre waren eine lange Zeit.
Vermutlich hätte ich nicht kommen sollen, schließlich hatte sie sich längst ein neues Leben ohne mich aufgebaut und ich war froh darüber. Es ging ihr endlich wieder gut. Was, wenn ich alles nur wieder zerstören würde?
Wie könnte ich nach einer Ewigkeit in einem anderen Leben einfach wieder in mein altes zurückkehren?

Mein Rücken tat weh, sollten amerikanische Geheimdienste nicht eigentlich gemütliche Privatjets haben?
Ich sah aus dem Fenster.
Es gab nur Wolken unter mir, und kleine Regentropfen hatten sich am Rand des Fensters gebildet.
In Washington war im Herbst kein gutes Wetter.
An die Kälte müsste ich mich auch erstmal wieder gewöhnen.
Nervös nahm ich einen Schluck von meinem Tee.
"In 10 Minuten landen wir", hörte ich Marys Stimme. Sie ließ sich gegenüber von mir nieder und mir fielen die Fältchen auf, die sich um ihre blauen Augen gebildet hatten, und der graue Haaransatz. Sie sah immer noch gut aus, genau wie bei Mum waren ihre Augen immer wach und aufmerksam, aber sie war eben nicht mehr in ihren 40ern.
Und meine Mutter war mittlerweile noch älter.
Und Rain.
Rain war fast 30. Ich war fast 30.
Ihr 21. Geburtstag, der letzte, den ich mitbekommen hatte, lag nun schon so weit zurück, dass er in einem anderen Zeitalter passiert sein könnte.
Vielleicht war es verrückt, wiederzukommen.
Vielleicht war einfach zu viel passiert.

Es war fast Dämmerung, als ich an den Klippen angekommen war.
Den ganzen Tag hatte ich mit Mum verbracht, die mir kaum erlaubt hatte zu gehen, nachdem wir den Tag zusammen verbracht hatten. Sie hatte mir in jedem Detail erzählt, was ich über die Jahre alles verpasst hatte, was sie mir noch nicht am Telefon erzählt hatte, und obwohl wir Kontakt gehabt hatten, hatte ich gemerkt, wie sehr ich sie vermisst hatte.

Mum war es auch, die Rain gesagt hatte, sie solle zu den Klippen kommen.
Die Klippen waren der Ort, wo wir als Kinder immer gespielt hatten, und auch später oft hingekommen waren, einfach weil es so viele Erinnerungen an diesem Ort gab, und weil man sich dort ungestört unterhalten konnte.

Was, wenn sie gar nicht kommen würde?
Und falls doch, könnte ich verstehen, wenn sie nicht vorhatte, mir zu verzeihen.
Ich schlang meinen schwarzen Mantel enger um mich.
Vielleicht sollte ich einfach gehen. Den Dingen ihren Lauf lassen, jetzt, wo sie endlich mal gut für Rain liefen.
Jetzt, wo sie endlich mit der Vergangenheit leben konnte.
Vielleicht hatten die ganzen Tränen und die Lügen und die Zeit selbst uns mittlerweile alles genommen.
In diesem Moment sah ich eine schmale Figur am Waldrand.
Rain war gekommen.

Rains Sicht: Es regnete und ich war mir nicht sicher,ob das hier richtig war, ob das hier überhaupt die Wirklichkeit war oder einer der vielen Träume, die mich all die Jahre verfolgt hatten, die so echt wirkten und die mich beim Aufwachen zurück in die kalte schwarz weiße Realität zurück zogen.

Die Regentropfen prasselten  auf mein Autodach und ich konnte es nicht unterdrücken kurz meine Lider zu schließen, dass Lenkrad zu umgreifen und daran zu denken, wie wir zum ersten Mal mit dem Auto an den See gefahren waren.
Den kleinen See, von dem Rosen sich immer gefürchtet hatte, ich aber wunderschön fand.
Auf der Autofahrt hatten wir diese abgedrehte 60er Musik gehört und sie hat in den schlimmsten und schiefsten Tönen mit gesungen.

Aber das war Jahre, über ein Jahrzehnt her... ich öffnete meine Augen  und sah unaufhaltsam in die orange, gelb gefärbten dichten Bäume, die nur darauf wartenden, dass ich durch sie hindurch gehen würde.
Hin durch zu unseren Ort.
Die Klippen.
Von dort aus hatte man ganz Quantico im Blick.
Quantico, eine Kleinstadt am Rande von Virginia, die nur bekannt, war durch die FBI Academy.

Die FBI Academy, die unsere Steine zum Rollen gebracht hatte.

Ich raffte mich auf, drückte mich von meinem Sitz hoch,öffnete die Fahrertür und trat in den Regen hinaus, in den Regen ohne Schirm.
Ich wollte spüren, dass es kein Traum war.
Ließ das kalte  Wasser über meine Haare ins Gesicht laufen.

Der Boden gab leicht unter mir nach und ich wusste, dass meine Chelsea Boots nach diesen Ausflug nicht mehr zu retten war, aber es war mir egal.

Ich wendete mich den in Herbstfarben getränkten Bäumen zu und bekam nur abwesend mit, wie ich mich voran bewegte.
Mit meinen Gedanken war ich woanders.
Immer wieder, bei jeden weiteren Schritt musste ich daran denken, wie meine beste Freundin in jeden alter hinter den Bäumen hervor kam um mich zu erschrecken.
Das letzte mal das wir gemeinsam hier waren war im Sommer 2009.
Ich weiss  noch, wie Rose dieses schwarze Kleid mit Sonnenblumen trug und am Ende, doch meinen Pullover haben wollte,weil sie mir mal wieder nicht glaubte,dass es zu kalt für ein Kleid draußen war.

An meinen Sohlen hing immer mehr Schlamm und auf einmal, ohne das ich es wollte, ohne das ich es aufhalten konnte.
Hörte ich die Schrei, drehte mich um, es waren ihre Schreie, die Schreie die sie damals geschrien hatte.
Ich musste mich an einem Baum abstützen.
Spürte wie sich meine Finger um die feuchte Rinde bohrten.
Das Blut, ihr Atem, die Augen... ich hatte sie noch nie mit so viel Angst gesehen und dann dachte ich sie wäre Tod.

Es sind nur Erinnerungen!
Erinnerungen, die nichts auszusagen hatten.

Ich richtete mich auf, ließ meine kalten Hände in meine  Manteltasche wanderern und stieg den Berg weiter hinauf.
Mit jeden Schritt wurde mir klarer, dass so viele Jahre zwischen uns standen.

Vielleicht würde sie mich gar nicht mehr wieder erkennen, vielleicht würden wir nie wieder so eine Beziehung haben wie früher und am meisten Angst hatte ich, dass wir so fremd geworden waren, dass wir uns nichts mehr zu sagen hatte.

Am Oberen Ende angekommen, konnte ich die Umrisse einer kleinen lächelnden Frau mit hell blonden Haar und Kamel farbenden Mantel wahrnehmen. 
Mein Herz klopfte so doll das ich Angst hatte meine Brust würde zu tausend Teile zerspringen.

Auf einmal hatte ich das Gefühl,dass all diese Träume, nichts gehen die Realität waren. Rose sah aus wie früher nur anders.
Anders.
Ich war anders... und trotzdem war sie das kleine Mädchen mit der Zahnlücke, die mir am ersten Tag im Kindergarten ihren Stift geliehen hatte und damit den ersten Satz unser Freundschaft zu Papier brachte.

Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, warum die eine Schrift so merkwürdig ist 😂💕

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