36| Skepsis

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„Es besteht der Verdacht, dass Milow ermordet wurde, Miss Sonroe." Wie auch am Tag zuvor befanden wir uns auch jetzt wieder in dem Haus einer weiteren Verdächtigen. Dieses Mal war es aber die Mutter eines unschuldigen verstorbenen Mädchens, dessen Stiefvater sie umgebracht hatte. Und das aufgrund des psychotischen Einflusses seines Sohnes; Milow. Dieser wiederum war es dieses Mal, welcher ermordet wurde unter dem trügenden Schein eines Suizids.

Wie auch am Tag zuvor hatte Christian das Wort ergriffen und die Situation dargelegt. Wie auch am Tag zuvor wurde haargenau darauf geachtet, wie die Angesprochene sich verhielt, um zu prüfen, ob etwas daran nach faulen Eiern stank.

Doch was im kompletten Gegensatz zum Tag zuvor stand, war die Reaktion der alleinlebenden Frau, welche ihr Muttersein durch die vielen Bilder ihrer Tochter in ihrem Haus symbolisierte. Nur zu sehr hatte sich das strahlende Grinsen der kleinen Laura, wie sie im gelben Sommerkleid passend zu dem ihrer Mutter in deren Armen saß und erfreut die Arme in die Luft gestreckt hatte, in meine Gedanken gebrannt. Sie wirkten so glücklich, wären es sicherlich noch gewesen, wenn das Grauen nicht vorbeigekommen wäre. Wie zwei unschuldige Wesen, die keiner Fliege Schaden anzutun gedachten. Doch die Wahrheit schien sich von dem Schein kontrastieren zu wollen.

Denn nachdem Christian auch nur ansetzte, sie nach ihrem Standort an dem Tag des Mordes zu fragen, unterbrach sie ihn verzweifelt lachend und schaute mir erschreckend wahnsinnig in die Augen.

Und dann gestand sie den Mord.

„Er hat es verdient. Ich war gnädig, habe es schnell und lieblich gemacht, so fürsorglich wie eine Mutter es tun könnte. Ich will ja nur das Beste für meinen Sohn."

Ein eiskalter Schauer überkam mich, welcher die Übelkeit in mir antrieb. Diese monotone Kälte wirkte wie von einem Roboter, so gefühlslos und gleichgültig, dass sie uns alle aus der Fassung brachte. Keiner von uns wagte sich zu bewegen, keiner von uns wagte sich das Wort zu ergreifen. Wir wussten auch nicht wie, denn nahm dieser Mittag eine unerwartete sprachlosmachende Wende, mit der wir nicht genau umzugehen wussten. Oder zumindest ich tat dies nicht.

Sie schien dies als Aufforderung zu sehen, weiterzusprechen, weil sie sich nun ein wenig überheblich und dennoch leblos zurücklehnte und fortführte. „Es war ein leichtes gewesen, ihn im Besucherpark zu finden. Er hat mich angestarrt als sei ich ein Geist, hat gelacht und wollte auf mich losgehen mit dummen Blumen in seiner Hand, mit Hass und Wut in seinem Blick, aber ich meinte, sein Vater habe mich geschickt und siehe da, ein Schoßhündchen. Dann habe ich ihn umarmt und ihm dann Schlafmittel gegeben, die von seinem Vater seien. Natürlich fragt er dann nicht nach und nimmt sie einfach als seien es Süßigkeiten. Der Junge ist so viel naiver als der Wahn es preiszugeben scheint. Nun, die Schizophrenie. So ist das Leben nunmal. Lässt einen denken, was man denken will. Er sieht die Welt nur so wie es ihm passt. Und das war gut, denn als wir spazieren gingen gab er preis, dass er müde wurde und wir gingen weiter hinters Haus, wo er meinte, dass es dort ruhig ist. Und dann schlief er ein. Ich habe in meinem ganzen Leben nie etwas Schöneres gesehen als seine Haut, die unter der Schärfe der Klinge nachgegeben hatte und wie das Blut aus seinem Körper gedrungen war, um in angenehmster Ruhe auf seiner Haut mit der Schwerkraft zu tänzeln und die grasige Oberfläche zu küssen."

Sie schluckte schwer und mit ihr auch ich. Doch es schien beinahe als schien auch ihr das Frühstück bei dem Gedanken wieder hochzukommen, auch wenn ihr Lächeln etwas anderes aussagte. Ein Blick zu den Männern verriet mir aber, dass sie von dem nichts merkten, keinerlei Skepsis verspürten. Der Mimik glaubten.

„Miss, haben sie Milow umgebracht?", hakte Nathan ernst nach und zog dabei konzentriert die Augenbrauen zusammen. Ohne Zögern bejahte die Angesprochene.

„Aber warum?", warf ich nun ein und beobachtete dabei, wie sie augenblicklich zu einem Bild von ihr und Laura blickte. In diesem Moment brach mein Herz ein weiteres Mal, als ich diese endlos tiefe Trauer und Verzweiflung erkannte.

„Weil er sie hat sterben lassen. Und weil du ihn hast entkommen lassen." Ihre Worte waren so leise, so unscheinbar, dass ich mir augenblicklich unsicher war, ob sie wirklich in diesem Raum geäußert wurden oder ob ich es mir eingebildet hatte. Niemand reagierte, es wirkte so, als hätte ich ihre Worte als einzige wahrgenommen. Vielleicht, weil sie nur an mich gerichtet waren.

„Wie bitte?" bat Christian um eine akustische Wiederholung.

Sie zuckte mit den Schultern und legte den Kopf schief, während sie ohne Ausdruck wieder zu mir blickte und sich laut rechtfertigte:

„Gleiches löst sich in Gleichem. Nicht im Chemieunterricht aufgepasst?"

Das war unsinnig. Und doch so berechenbar gewesen, dass Mord den Mord an ihrer Tochter gleichstellen sollte. Rache als Vergeltung, als Selbstjustiz, weil die Strafe einem nicht gerecht genug erschien. Aber war das alles hier nicht viel zu berechenbar? Viel zu einfach? Ich schüttelte innerlich mit dem Kopf. Das konnte nicht stimmen. Hier fehlte irgendein entscheidendes Puzzleteil.

Ich entfernte meinen Blick von ihr, als der Hass ihrer Seele sich in meinen Körper schlich und seine Krallen um meine Kehle schlang, um quälend langsam zuzudrücken. Vielleicht hatte ich mir das davor nur eingebildet und Stimmen gehört. Aber andererseits war etwas falsch an dieser Situation, an diesem Trugbild dieses Verhörs.

Ich hatte nicht in Betracht gezogen, dass sie einen Hass auf mich haben könnte. Aber jetzt, wo es einmal in meinem Gedankenkreislauf war, stellte ich fest, dass es logisch war. Denn schließlich war ich in der Nacht davongekommen, während ihre Tochter es nicht geschafft hatte. Wie würde ich in so einer Situation reagieren?

Und auch noch sieben Stunden später, spät in der Nacht und einen erschöpften und müden Nathan in meinen Armen liegend, dachte ich noch an diese Frage und meine ungeordneten Zweifeln bezüglich Nathalie.

„Nathan... Ich glaube, irgendwas stimmt an der ganzen Sache mit Nathalies Geständnis nicht."

„Hm", murmelte er nur als Antwort, woraufhin ich in seine Wange piekte. „Ich meine es ernst", hakte ich nach und betonte meine Worte mehr. Dies bewirkte, dass er eines seiner Augen öffnete und mich schlafgetrunken anblickte. „Claire, Prinzessin... Mach dir nicht so viele Gedanken. Wir haben den Fall gelöst, haben die Person exposed, die sich als Milow ausgegeben hat. Sie hat wortwörtlich alles gestanden, uns sogar die Autoschlüssel gegeben."

Mit diesen Worten schloss er sein Auge wieder und drehte sich in meinen Armen so, dass sein Kopf nicht mehr zu mir gerichtet war. Kopfschüttelnd seufzte ich und setzte erneut an: „Und was, wenn wir an der Nase rumgeführt werden?"

Genervt blies Nathan die Luft aus, ehe er sich abrupt aufsetzte und mir fest in die Augen blickte. „Claire, ich liebe dich. Aber du musst aufhören, so krampfhaft und krank an deiner Vergangenheit festzuhalten. Nathalie hat gestanden, hat uns Beweise geliefert, alles ergibt doch Sinn! Ihr Motiv, ihr Handeln, ihr Verhalten. Was möchtest du denn noch? Ein Video, in welchem sie ihn umbringt? Ich verstehe absolut, dass du diesem Fall gegenüber skeptisch bist, weil du schon viel durchmachen musstest und vielleicht nicht realisieren magst, dass es nun vorbei ist, aber das solltest du."

„Ich halte krank an meiner Vergangenheit fest? Entschuldige, wenn ich denke, dass die Puzzleteile nicht zusammenpassen und ich dich nur darauf hinweisen wollte, ein wenig skeptischer zu sein!" – „Ich bin skeptisch bei jeder Kleinigkeit dieses Falles gewesen, aber man muss doch an einem Punkt aufhören, so unglaublich stur zu sein und einfach die stumpfe Realität akzeptieren!"

Wütend über seinen lauteren Tonfall erhob ich mich und blickte nun auf ihn herab. Als er ebenfalls aufstand und nach meiner Hand greifen wollte, blickte ich ihn einfach nur stumm an und sprach nicht weiter.

„Claire, was hast du für Beweise? Womit kannst du deine Skepsis begründen?"

„Ich... Habe keine Beweise. Aber wirkt auf dich nichts seltsam?"

„Verdammt, natürlich! An diesem Fall ist alles seltsam, aber was erwartest du denn? Bitte mach uns nicht noch mehr Probleme und hör auf, ein riesiges Durcheinander voller komplexen Verstrickungen als Lösung dieses Falles zu erwarten. Du kannst von niemandem erwarten, so lange nach dem Täter zu suchen, bis du kein seltsames Gefühl mehr hast."

„Ist das dein Ernst?"

Verletzt über seine Worte blickte ich ihm in die in diesem Moment so distanzierten Augen. „Nicht noch mehr Probleme? Tut mir furchtbar leid, ich wusste ja nicht, dass ich neuerdings in deinen Augen auch eine problemschaffende Katastrophe bin. Ich sollte wohl besser gehen."

Und er hielt mich nicht auf. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 26, 2019 ⏰

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