23| Rettung

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„Verschwinde!", schrie ich panisch und drehte mich schnell um, sodass ich nicht mehr mit dem Rücken zur Tür stand. Panisch bemühte ich mich, das Zittern meiner Hände zu kontrollieren, um das Türschloss zu verschließen.

„Clarice", vernahm ich leise hauchen, wie sich der Name langsam und schmerzend in meine Seele schlich und mich von innen heraus zerstörte. Es war eine unglaublich dumme Idee überhaupt zu denken, ich sei bereit. So naiv, so dumm. „Lass mich in Ruhe, lass mich in Ruhe! Du hast schon zwei Menschen umgebracht, waren Laura und ich dir nicht genug? Willst du noch mehr unschuldige Menschen zerstören?"

Ich spürte die Tränen, doch fühlte nichts als die blanke Angst. So stark, so intensiv, dass ich nicht bemerkte, wie die Hintertür von der Küche in den Garten aufging. Ich bekam ebenso wenig mit, wie jemand auf mich zugerannt kam, doch insgeheim war ich glücklich darüber, denn wenn ich es gesehen hätte, so wäre ich schreiend in Ohnmacht gefallen.

Zwar hatte ich dennoch aufgeschrien, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, doch eher, weil es unerwartet kam. Weil die Angst mich überströmte, dass Jack – sein falscher Name hatte sich zu sehr in meiner Psyche eingeprägt, als dass ich ihn bei seinem richtigen Namen nennen könnte – vor mir stehe und sich bei mir rächen wollte, indem er das beendete, was er in jener Nacht angefangen hatte. Meinen Tod.

Mein Kreischen jagte mir selbst eine Gänsehaut übe den Körper, als ich die kalte Hand auf meiner nackten Haut auf mir, den Luftzug eines Atems, die frostige Umgebung einer Person, welche seit längerem draußen gewesen sein musste, neben mir spürte.

Ich blendete alles aus, ich traute mich selbst nicht einmal, die Augen zu öffnen aus Angst, seinen leeren Blick zu erblicken, welcher mich mit solch einer hasserfüllten Ausdruckslosigkeit anstarrte, dass mir jegliches Wehren unmöglich sei.

„Claire, verdammt, beruhige dich!", hörte ich erneut, doch mein Wimmern und Schreien ließ nicht nach. Ich befand mich in einem Rausch, in welchem ich keinen einzigen Gedanken verdrängen konnte und die Außenwelt nur begrenzt mitbekam.

„Claire, ich bin es, Nathan", ertönte erneut, doch ich glaubte der Person nicht. Nathan hätte keinen Grund so früh hier aufzutauchen. „Nein, du bist Jack. Du bist hier, um dich zu rächen! Weil genau heute Lauras Todestag war und genau der Todestag deines Vaters. Nicht wahr? Nicht wahr?!"

Die Panik ließ nicht nach, die Angst blieb stetig vorhanden, stetig präsent und stetig einschüchternd. 

  „ Claire, hör mir gut zu, okay? Ich bin Nathan, Nate, Nathi, mir egal wie du mich nennen möchtest. Mag es auch Idiot sein oder Arschloch, es ist mir egal. Wenn ich nicht Nathan wäre, wie sonst könnte ich wissen, dass du immer deine Augenbrauen zusammenziehst, wenn du etwas nicht verstehst, und dein Gewicht dabei immer auf dein linkes Bein legst. Anfangs hatte ich immer Angst, dass du das tust, um mit dem rechten Bein schnell ausholen kannst, falls ich etwas Dummes tue. Oder wie sonst könnte ich wissen, dass du immer zitterst, wenn du müde bist? Ja, du zitterst, obwohl du nicht frierst, und es ist seltsam. Doch ich finde es gut, denn so habe ich einen weiteren Grund, dich an mich zu ziehen. Oder wie sonst könnte ich wissen, dass du - unter anderen Umständen - jetzt angeekelt das Gesicht verzerren würdest, weil ich dir zu kitschig bin, aber dennoch dein rechter Mundwinkel nach oben zucken würde? Prinzessin, ich verspreche es dir, du bist sicher. Ich bin für dich da."

Ich bemerkte, wie sich mein Atem wieder ausglich. 

Seine Worten drangen zu mir durch, unscheinbar und doch offensiv und überwältigend. Es war, als würden seine Lippen sich teilen und mit ihnen auch mein Herz sich öffnen. Seine Worte langsam hineinschwingend, tanzend und sanft, vorsichtig und doch stark überwältigend. Sie verteilten sich in mir, wurden von meinem Herz in jedes Teil meines Körpers gepumpt und verfestigten sich dort. Hinterließen eine angenehme Wärme, die von innen heraus die furchtbare Kälte bekämpfte. 

„Dein Kampf ist jetzt vorbei, Prinzessin. Es ist in Ordnung, ja? Dein Kampf hat geendet, nun fängt meiner an. Nein, nun fängt unser Kampf an."

Und ich glaubte ihm.

Ich spürte seine angespannten Muskeln an mir, wie er mich fest an sich drückte und mir einen sanften Kuss auf die Stirn gab. „Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe." Er entfernte sich von mir, doch ich bemerkte das Zögern, das Zweifeln und die Sorge um mich. Doch er blieb bei seiner Tat, schob sich ein wenig von mir, um mein Gesicht vorsichtig mit seinen Händen zu umfassen und mich zu mustern. 

Innig blickte er mir in meine Augen, sein Blick durchdringend und unglaublich tief. Er wischte meine Tränen weg, schluckte hart und schloss die Augen, als würde er innerlich in Flammen aufgehen, unendliche Leiden ertragen müssen.

„Steig mit mir in diesen scheiß Ring und lass uns die Welt bezwingen. Wir beide, okay?"

Stumm schauten wir uns beide an. Ich war mir sicher, mein Blick strahlte Fürsorglichkeit, Zweifel und Zuneigung aus. Mein Herz pochte laut und stark. Ob wegen des Schocks oder wegen ihm sei dahin gestellt. Seine Nähe überforderte mich und trübte meine Sinne. Es war, als würde ich unfähig sein, zu denken, denn alles, was mich leitete, was mich kontrollierte, war der stumme Schrei nach seiner Nähe.

Seine Worte lösten das Kribbeln in mir aus. Er sprach von einem uns. Von einem „wir".

Ich erinnerte mich an den Moment, an welchem ich ihn gefragt hatte, ob er mir helfen würde, den Täter zu finden. An meine indirekte Aufforderung an ihn, mich nicht alleine zu lassen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, wollte ich schon immer auf eine absurde Art und Weise, dass er bei mir blieb.

Damit wir ein "wir" werden könnten und nun zu hören, dass er mich dies fragte, ließ mein Herz flattern. Mich die Leiden und Ängste vergessen, wenn auch nur für den Moment. Er meinte zwar, dass mein Kampf vorbei sei, doch das war er nicht. Das wussten wir beide.

Die Glücksgefühle machten sich dennoch in mir breit, doch wurden sie augenblicklich zerstört. Meine Gedanken wurden wieder in Gang gesetzt und in einen Wirrwarr voller Zweifel, Selbsthass und Verzweiflung geschmissen, doch alles, was ich heraushörte, war: „Fall nicht drauf rein. Er ist verlobt."

„Es ist gleich drei Uhr, das heißt, ich bin gleich offiziell hier, um dich abzuholen. Darf ich meine Prinzessin ausführen?" Ich erinnerte mich. Er wollte mich um drei Uhr ausführen. Mir einen Ort zeigen. Doch ich hätte nicht damit gerechnet, dass er drei Uhr morgens meinte. 

Etwas in mir wollte ihn einfach nur schlagen, weil er mich so erschreckt hatte. Dass ich seinetwegen nahezu einen Herzinfarkt erlebt hatte. Doch der andere Teil war dankbar. Nathan hatte mir bewiesen, dass ich noch nicht abgeschlossen hatte. Dass ich Zeit bräuchte. Und er hatte mich erneut gerettet, denn ohne ihn wäre ich mit Sicherheit in der Gasse gewesen und hätte einen weiteren Zusammenbruch erlebt. 

Ich wusste, dass er nur das Beste für mich wollte. Dass er mich ablenken wollte. Und ich wusste es sehr wertzuschätzen.  

„Danke, Nathan." Ich liebe dich. 

Blutet euer Herz auch so?

Frohe Weihnachten nachträglich! Was habt ihr so bekommen und wie waren eure Tage? Nächstes Kapitel kommt evtl. erst nächstes Jahr, entschuldigt♥ xT


Please, once againWhere stories live. Discover now