Kapitel 10

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Ich stehe an einer Klippe. Weit und breit ist nichts zu sehen und vor mir der Abhang. Ich sehe hinunter. Das Wasser prallt auf den Fels. Immer und immer wieder. Ich sehe mich noch einmal um. Da sehe ich sie. Rechts von mir der eine und links der andere. Die beiden die ich liebe, oder zumindest glaube sie zu lieben. Sie stehen einfach nur da. Sie bewegen sich nicht und sie sagen auch nichts. Jemand tippt mir auf die Schulter und ich drehe mich um. Da stehe ich. Oder jemand der genauso aussieht wie ich.

"Wähle!" befiehlt sie mir.

Ich sehe sie verwirrt an, "Wählen? Was denn?" kaum habe ich es ausgesprochen wird mir auch klar was sie meint.

"Wähle! Einen kannst du haben der andere wird sterben. Also wähle!"

"Was? Ich kann nicht zwischen ihnen wählen! Ich werde keinen sterben lassen." das scheint sie nicht zu beeindrucken.

"Wähle! Du musst wählen. Rette einen, oder keinen!"

Ich sehe die beiden abwechselnd an. Sie sehen aus wie immer. Wie soll ich das entscheiden? Das geht nicht. Ich kann keinen der beiden verlieren. Wie entscheidet man über Leben und Tod? Wie kann man jemanden leben lassen in dem Wissen, dass ein anderer sterben wird? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht und das macht mich fertig. Das ist nicht fair.

"Wähle!" ruft mir mein anderes, und definitiv gefühlloses Ich, zu.

"Ich kann nicht!" mir laufen tropfen über die Wangen und mein Blick verschwimmt, "Ich liebe sie beide."

"Nimm den, den du mehr liebst." sie sagt das, als wäre es das normalste was man einem Menschen sagen kann.

"Okay." ich muss darüber Nachdenken. Ich konzentriere mich auf einen nach dem anderen. Meine Gefühle sind bei ihm stärker, "Ich wähle ihn." Mein Finger zeigt nach rechts.

"Gute Wahl." sagt mein anderes Ich.

"Aria!" höre ich ihn rufen. Ich drehe mich um, doch da stürzt er schon die Klippen runter.

"Nein!" ich renne zu ihm, doch ich bin nicht schnell genug. Ich sehe nach unten und da liegt er. Mitten auf den Felsen. Rund um ihn herum ist Wasser. Ich schlage mir die Hand vor den Mund und weine nur noch mehr. Seine Augen sind noch offen und sie starren mich an.

Ruckartig wache ich auf und sitze Kerzengerade im Bett.

***

Mir brummt der Schädel. Ich kann nicht klar denken. Die ganze Zeit muss ich an meinen Traum denken. Diese ganze Charly Caleb Sache macht mach mich verrückt. Ich hab versucht das Bild des toten Jungen auf dem Felsen zu verdrängen, doch immer wieder schleicht es sich in meine Gedanken.

"Ist alles Okay? Du siehst so blass aus." Lucy beugt sich zu mir rüber.

Ich sehe sie an, "Nein nicht wirklich. Mir ist total schlecht."

"Alles klar. Du musst sofort nach Hause." sie meldet sich, doch mein Magen kann es gar nicht mehr erwarten seinen Inhalt wieder loszuwerden.

Mir kommt es hoch und sofort renne ich aus dem Klassenraum auf die nächstgelegene Mädchentoilette.

Lucy ist mir offensichtlich hinterher gelaufen denn jetzt höre ich wie sie sich hinter mir ekelt und so tut als müsste sie auch kotzen. Ich versuche aufzuhören, doch es geht nicht. Ich muss an ihn denken. Denke er wäre tot, dabei weiß ich, dass es ihm gut geht. Und trotzdem kann ich nicht aufhören.

***

Es klingelt. Ich war kurz davor einzuschlafen. Oh man. Fast hätte ich es geschafft und jetzt bin ich wieder hellwach. Unfreiwillig verlasse ich mein schönes, gemütliches, warmes Bett und gehe nach unten und öffne die Tür. Es ist Charly.

"Hey." er kommt rein, worüber ich ganz froh bin, denn so bleibt die kalte Luft draußen, "Wie geht's Dir? Ich hab gehört was in der Schule passiert ist. Was war denn los?"

Ich gehe ins Wohnzimmer und er folgt mir, "Ich weiß auch nicht." Lüge, "Mir war auf einmal ganz schlecht," Wahrheit, "und dann sprudelte alles einfach nur so aus mir raus." okay Wahrheit aber vermutlich viel zu viel Information für Charly. "Tut mir leid. Das war eklig." ich lasse mich auf die Couch fallen "Ich bin abstoßend."

"Hey du bist nicht abstoßend. Du toll." er macht sich auf den Weg in die Küche, "Stell dir vor ich habe auch schon einmal gekotzt und es dann meinen Freunden erzählt. Die müssen sich auch gedacht habe, dass ich abstoßend bin." Die Mikrowelle gibt ein Signal von sich und Charly kommt zurück.

Er setzt sich neben mich und gibt mir einen Löffel und eine Schüssel. Der Inhalt dampft. Es ist Hühnersuppe. Er ist so süß. Er hat mir eine Suppe mitgebracht und sitzt hier neben mir auf der Couch bei der Gefahr auch Krank zu werden, naja das glaubt er zumindest, obwohl am Samstag ein wichtiges Spiel ist. Ja ich weiß er denkt ich bin krank, aber bin ich krank? Aber schließlich habe ich nur gekotzt, weil ich an etwas extrem ekliges denken musste. Ich fühle mich nicht krank.

"Ehrlich du musst nicht hier bleiben und auf mich aufpassen. Ich komm schon klar."

"Ja ich weiß. Du bist ein großes Mädchen, aber ich will gerade hier sein. Genau hier und nirgendwo anders." er beugt sich zu mir rüber und gibt mir einen Kuss.

Ich lächle ihn an und kuschle mich an ihn. Ich liege mit dem Kopf auf seiner Brust. Es fühlt sich schön an. Er ist so warm. So schön warm, wie eine Wärmflasche. Ich könnte ihn glatt als Kissen benutzen, als Kissen mit eingebauter Heizung. Noch dazu streichelt er meinen Rücken. Ich glaube ich schlafe gleich ein.

Zwei Stunden später wache ich in meinem Bett auf. Charly ist weg und meine Suppe wurde anscheinend auch gegessen. Schade ich hätte sie wirklich gerne gegessen. Warte, hab ich sie gegessen oder war das Charly? Und hat Charly mich von der Couch ins Bett getragen, dann die Suppe gegessen und mir beim schlafen zugesehen? Gruselig.

"Hey meine süße." meine Mom kommt ins Zimmer, "Wie geht's dir denn? Schon etwas besser oder immer noch so schlimm?"

"Hi Mom. Ja mir geht es besser. Ich glaube ich musste mich nicht mehr übergeben. Das sind doch tolle Neuigkeiten."

Sie lächelt mich an und setzt sich auf meine Bettkante, "Schön, das klingt wirklich gut. Aber trotzdem bleibst du Morgen zuhause. Klar."

"Klar Chef." erwidere ich. Um ehrlich zu sein bin ich ganz froh. So kann ich Caleb nicht begegnen. Klar das klingt gemein, aber ich habe Angst, dass wenn ich ihn sehe ich ihn sofort küssen werde. Das Verlangen danach ist da, es ist definitiv da. Ich muss mich auch schon stark davon abhalten ihm nicht eine Nachricht zu schreiben, bis mir wieder einfällt, dass ich seine Nummer gar nicht habe. Und er hat weder Instagram, Snapchat, Twitter oder Facebook. Und ja ich habe mir extra Facebook runtergeladen nur um ihn dort zu suchen. Ich glaube ich mutiere zu einer Stalkerin, auf gutem Weg dahin bin ich schon.

RooftopWhere stories live. Discover now