Kapitel 9

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Immer noch stehen wir in dem menschenlehren Gang und küssen uns. Es ist wie ein Feuerwerk. Wie Raketen die über unseren Köpfen explodieren und immer wieder als schöne Farben und Formen erscheinen. Als würde unser Kuss den ganzen Himmel erleuchten. Komisch so etwas habe ich bei Charly nicht gefühlt. Unsere Lippen lösen sich wieder und sofort habe ich das Verlagen den Abstand zwischen uns wieder zu verkleinern.

"Ah. tut mir leid." fängt Caleb an und macht ein paar Schritte zurück

"Wieso?" frage ich

Er sieht mich an "Ich weiß auch nicht. Vermutlich weil du einen Freund hast und ich das nicht hätte machen sollen."

"Oh ja." bis zu diesem Moment kam mir Charly gar nicht in den Sinn, "Ist schon okay, wirklich." So langsam habe ich das Gefühl, dass ich die schlechteste Freundin aller Zeiten bin.

"Nein es ist nicht okay. Das war falsch und wenn du willst kann ich die ganze Schuld auf mich nehmen. Charly kann glauben, dass ich dich geküsst habe und du dich gewehrt hast, oder so."

"Wie kommst du denn auf so etwas?" ich sehe ihn verdutzt an.

Die Ader auf seiner Stirn scheint fast zu platzen, dass ist immer so wenn er angespannt ist, "Ich weiß auch nicht. Läuft das nicht immer in filmen so?"

"Naja also ich weiß ja nicht was du so für Filme schaust, aber egal." ich muss tief durchatmen. Ich weiß nicht ob ich es ihm sagen werde. Mir ist klar, dass ich es sollte, aber ich will ihm nicht wehtun und vor allem will ich ihn nicht verlieren. Aber Caleb genauso wenig. "Ist schon okay, Caleb. Ich muss erst darüber nachdenken, was ich ihn sagen werde, aber ich werde dich da raus halten, okay. Das ist eine Sache zwischen Charly und mir und ich will nicht, dass du Probleme bekommst oder so."

Ist es möglich zwei Menschen gleichzeitig zu lieben? Ist lieben überhaupt das richtige Wort dafür? Ach keine Ahnung. Irgendwie habe ich das Gefühl, als würde mir mein ganzes Leben über den Kopf wachsen. Früher wenn ich festhing und nicht mehr weiter wusste, bin ich immer an meinen Lieblingsplatz gegangen und habe einfach angefangen zu tanzen. Ich kann nicht gut tanzen aber ich tue es trotzdem gerne. Irgendwann hat mich mein Dad gefunden und mich einfach nur in den Arm genommen. Ich habe ihm alles erklärt und er hat versucht mich zu verstehen und meistens hatte er die perfekte Lösung für meine Probleme. Seit er gestorben ist habe ich nicht mehr getanzt. Ich denke ich habe Angst davor, dass er nicht kommen und mich verstehen wird. Dass er mir nicht helfen wird. Aber ich denke genau das sollte ich jetzt machen. Einfach nur um den Kopf frei zu bekommen.

***

Nach der Schule bringt mich Lucy nach Hause. Ich habe tatsächlich den restlichen Tag überlebt ohne Charly noch einmal begegnen zu müssen. Caleb ist mir ein zwei mal über den weg gelaufen, aber wir haben nicht miteinander gesprochen. Und das ist auch gut so, denn ich wüsste nicht, was ich sagen sollte. Ich renne die Treppe hoch und ziehe mir eine bequeme Hose und einen warmen Pullover an. Ich renne die Treppe wieder runter und schnappe mir mein Handy und die Kopfhörer aus dem Rucksack und verlasse das Haus. Ich starte meinen Lieblingssong und renne los. Bis zu meinem geheimen Tanzplatz sind es zu fuß ungefähr zwanzig Minuten, ich erreiche ihn in elf. Es ist der perfekte Platz um alleine zu sein. Weit und breit ist nichts. Es ist ein wenig so wie auf dem Berg, Charlys Lieblingsort. Es ist sehr Nebelig, also kann ich nicht weit sehen, maximal zwanzig Meter. Ich bin alleine und genau das wollte ich. Mein Handy vibriert, aber ich ignoriere es.

Ich fange einfach an. Egal was ich mache es fühlt sich gut an. Komplett ohne Struktur oder Choreographie, es ist egal. Ich fühle mich einfach nur frei. Und das ist ein Gefühl, dass ich lange nicht hatte. Hin und wieder laufen Leute vorbei aber ich bemerke sie nicht wirklich. Was die sich wohl denken? Vielleicht so etwas wie 'alles klar, was geht denn bei der schief?' Aber es stört mich rein gar nicht, ich bin in meiner eigenen Welt und bekomme nichts mehr mit. Meine Augen halte ich die gesamte Zeit geschlossen und ein paar mal hätte ich deswegen schon das Gleichgewicht verloren aber trotzdem mache ich weiter. Ich kann und will einfach nicht aufhören. Denn wenn ich das tue trifft mich die Realität. Ich würde die Kälte spüren. Ich würde immer und immer wieder über meinen Kuss mit Caleb nachdenken. Charly würde sich wieder, mit der schlimmsten Aktion die er jemals gebracht hat, in meine Gedanken schleichen. Und irgendwann würde mir auch auffallen, dass mein Dad nicht hier ist. Und dazu bin ich noch nicht bereit. Wirklich nicht.

Das Lied ist zu ende und ich mache eine kurze Pause um wieder zu Atem zu kommen. Eine Gestalt am Waldrand zieht meinen Blick auf sich. Sie kommt auf mich zu und sofort bekomme ich das Gefühl wegrennen zu müssen, aus Angst sie könnte mir etwas antun. Ich schnappe mir meine Jacke die neben mir auf dem Boden liegt und drehe mich um, bereit zu gehen.

"Aria, warte bitte."

Ich kenne diese Stimme, kann sie aber nicht richtig einordnen. Dann fällt es mir ein: Caleb. Mein Herz macht einen Satz und ich muss lächeln und drehe mich um. Doch es ist Charly der auf mich zu kommt. Nicht Caleb. Als ich ihn erkenne schwindet mein Lächeln immer mehr. Ich versuche meine Enttäuschung darüber, dass er es ist zu verbergen, bin mir aber nicht sicher ob es funktioniert. Mein erster Impuls ist es meinen Weg nach hause vorzusetzen entscheide mich aber dann doch dagegen und bleibe mit verschränkten Armen stehen.

Herrgott, Charly! Wieso lauerst du mir auf? Ich dachte du wärst ein Serienmörder oder Vergewaltiger."

"Tut mir leid ich wollte dich nicht erschrecken"

"Ach nein." ich drehe mich um und setze mich in Bewegung, "Wieso verfolgst du mich?"

Er läuft mir hinterher, "Ich habe dich nicht verfolgt. Ich war bei dir Zuhause und deine Mom meinte, dass du vermutlich hier bist, also bin ich her gefahren. Ich wollte..." er packt mich am Arm und hält mich zurück. Unfreiwillig bleibe ich stehen, "Ich wollte mit dir reden."

Ich löse mich aus seinem Griff und möchte meinen Weg fortsetzen, doch er hält mich wieder zurück.

"Könntest du bitte stehen bleiben. Ich will das wirklich nicht im gehen besprechen."

Ich bin wütend und kann nicht genau sagen wieso. "Was genau willst du denn besprechen? Die Tatsache, dass du dich wie der größte Arsch au Erden benommen hast?"

"Ja ganz genau darüber will ich reden. Es tut mir leid, Aria. Ehrlich. Ich weiß selber nicht genau was mit mir los war." er holt tief Luft, "An dem Tag beim Training haben mich ein paar Leute aufgezogen deswegen und da wollte ich es ihnen einfach beweisen. Mir ist klar, dass das keine Entschuldigung für mein verhalten ist, aber du sollst wissen, dass ich so etwas niemals tun würde."

"Das hast du aber!" ich schreie fast schon.

"Ich weiß. Und es tut mir wirklich sehr leid." wieder atmet er tief durch. Immer wieder öffnet er den Mund und schließt ihn wieder, als wollte er etwas sagen überlegt es sich aber anders.

"Och. Nun sag es doch endlich!" ich sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Ähm. Was denn?"

"Na das was du sagen willst und es einfach nicht tust. Ich sehe, dass dir etwas auf der Zunge liegt."

"Na schön." ein letztes mal holt er Luft, "Ich liebe dich. Ich habe dich schon immer geliebt, also zumindest seit ich weiß was liebe ist. Ich wollte schon immer mit dir zusammen sein und niemals mit jemand anderem. Nicht einmal mit Jenny, meiner Freundin in der achten. Ich habe sie nie geliebt, so wie dich. Als ich mit ihr zusammen war gingst du mir einfach nicht aus dem Kopf. Das war übrigens der wahre Grund für unsere Trennung. Sie wusste, dass ich auf dich stehe."

Mein Gesicht und meine Muskeln entspannen sich. Ich sehe ihn mit offenem Mund an. Er hat es gesagt. Er sagte, dass er mich liebt. Ich weiß nicht was ich sagen soll. In meinem Kopf herrscht absolute lehre. Ich lege meine Hände an Charlys Wangen und gebe ihm einen Kuss. Ich küsse ihn einfach.

"W Warte. Soll das heißen, dass du mir verzeihst mir?"

"Ja. Ja genau das heißt es."

Er hebt mich hoch und wirbelt mich herum. Wir fangen an zu lachen. Charly setzt mich wieder ab, aber ich lasse ihn nicht los. Nach einer weile nimmt er meine Hand und wir laufen zusammen nach Hause. Es war wohl doch eine gute Entscheidung hierher zu kommen. Ich denke ich bin ein Stück weiter gekommen. Ich habe das Problem mit Charly aus der Welt geschafft. Aber mir ist immer noch unklar ob ich ihn oder Caleb liebe. Das ist alles so verwirrend. Ich frage mich ob ich das jemals wissen werde oder ich auf ewig zwischen den beiden wählen muss.

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