Kapitel 32

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Mechanisch fuhr die Mauer in mir wieder Hoch, blockierte die aufflackernden Gefühle, bevor sie mich zerreißen konnten. Stumm betrachtete ich meine leibliche Mutter, die ihre Hände vor ihren schmalen Körper zusammengefaltet hatte und abwechselnd zu mir und Uriel blickte. Wer hätte gedacht, dass das ein Familientreffen sein würde. In meinen Ohren rasselte es. Ich nahm alles irgendwie langsamer wahr. Emotionslos sah ich von ihr zu Luzifer, der mich ebenfalls kalt musterte. Unmittelbar erkannte ich, dass das was meine biologischen Eltern erzählten stimmte. Anstatt sich selbst zu Wort zu melden und eine Erklärung abzuliefern, starrte er mich abwartend an. Meinen Kopf schüttelnd richtete ich mich an Foras, welcher meine Mimik richtig las und mir ohne etwas zusagen eine Antwort auf die Frage, welche fett in meinem Gesicht geschrieben stand, gab. Sein verzogener Mund und die zur Fäusten geballten Hände reichten völlig aus, um mir zusagen, dass er davon wusste. Das kommt davon, wenn man naiv, wie ich, alles verratet, woran man glaubte. Enttäuscht wandte ich mich von ihm ab. Ich könnte all meinen aufgestauten Kummer und unterdrückte Wut hervorrufen und sie in Form einer Energiewelle auf Luzifer abschießen, doch dass würde verlangen, dass ich meine Gefühle zulasse und ich wusste nicht, ob ich mich davon erholen konnte. Immerhin hatte er mich nicht nur belogen, sondern benutzt. Für ihn war ich nicht mehr als Mittel zum Zweck. Letzte Nacht und heute Morgen waren einfach nur ein Bonus.
„Ich werde die Menschen nicht zerstören," sprach ich schließlich mit fester Stimme und entschlossen zu Uriel. Ich musste endlich damit aufhören, eine Spielfigur zu sein und mein Schicksal in meine eigenen Hände legen.
„Tochter, ich befürchte dazu ist es schon zu spät." gab er neutral von sich.
„Nein!" bellte ich. „Es ist nie zu spät. Ich werde nicht nur die Menschen und was weiß ich noch nicht zerstören. Ich werde auch euch aufhalten."
„Ich hatte dich gewarnt. Sagte dir, dass du niemanden trauen solltest und doch hast du nicht gehört. Jetzt sind mir meine Hände gebunden und ich kann nur abwartend, ob sich das Blatt noch wenden wird. Doch sehe ich in dir nicht mehr das Licht, welches bei unserer ersten Begegnung noch glimmerte. Es war damals schwach, jedoch genug um dein Herz zu schützen. Nun ist es erloschen, damit jede Hoffnung." Mich nervte, dass er kryptisch sprach. Wieso konnte er nicht klar und deutlich sagen, was er verdammt noch mal meinte. Noch bevor ich ihn genau das vor die Ohren werfen konnte, war er verschwunden. Hektisch drehte ich mich um und stellte erleichtert fest, dass Inanna noch dastand. Wieso ich Erleichterung verspürte wusste ich nicht, vielleicht lag es daran, dass ich mich nach einer Mutter sehnte. Einer wie sie in Büchern und Filmen beschrieben wird, wobei ich kaum glauben konnte, dass dies auf sie zutreffen würde.
„Fia..." es war Foras der zum Sprechen ansetzt und von einen tödlichen Blick meinerseits zu schweigen gebracht wurde. Die Stimme in meinem Kopf war zurückgekehrt, bettelte mich an, sie alle den Erdboden gleich zu machen. Wer weiß, vielleicht würde ich das noch tun. Ich sah wieder zu Luzifer, welcher mich immer noch schweigend betrachtete. Ich hatte mit ihm geschlafen, fand mich sogar damit ab, dass ich meine Freunde damit verraten hatte. Halleluja, wo bleibt mein Preis für die beste Freundin des Jahres?
„Du hast mich belogen," gab ich geistreich von mir und sah ihn argwöhnisch an. Mir war bewusst, dass sobald meine Mauer brach, ich mich vor Schmerzen winden würde. Es war einfach nur erniedrigend.
„Sag, was war dein Plan? Wäre das Eingetroffen und ich hätte die Menschen nicht retten können, glaubst du dann nicht, dass ich dich eigenhändig umbringen würde?"
„Nein, wahrscheinlich hättest du dich wie gestern unter meinem Körper gewandt und meinen Namen geschrien." Er lachte emotionslos auf, ehe er fortsetzte: „Du bist schwach, mir regelrecht Verfallen. Gestern starben höchstwahrscheinlich deine Freunde, der Mann, den du so verzweifelt retten wolltest und trotzdem hast du nach meinen Berührungen gebettelt." Ich könnte wetten, dass ich den riss in meiner Mauer hören konnte. Das Echo hallte gewaltig in meinen Kopf und bevor ich meine Fassung erlangen konnte, verkrampfte mein Inneres. Wie konnte ich glauben, dass irgendetwas echt war? Schlimmer noch, was sollte ich jetzt machen? Inanna berührte meinen Arm, riss mich aus meiner Starre und sah mich dringlich an.
„Wir sollten gehen," sprach sie. Ich konnte nicht sagen, was ich in diesem Moment dachte, so benommen war ich, denn alles in mir schrie danach ein für alle Mal zu brechen. Es kostete mich meine ganze Kraft meine Gefühle zu unterdrücken.
„Gehen?" Luzifer lachte amüsiert, dennoch alles andere als warm. „Sie geht nirgendwo hin." schnauzte er regelrecht.
„Ach, das hast du zu bestimmen?" bellte ich erzürnt.
„Unser Pakt."
„Ist nichtig." ertönte Foras Stimme und zog die Aufmerksamkeit aller somit auf sich.
„Ihr Sein löst sie von jeglicher Art von Pakt aber das weißt du." erinnerte er unbekümmert Luzifer. Team-Fia, schoss es mir erneut durch den Kopf. Ja, er wusste von Luzifers echten Plan, wusste welche Rolle ich darin spielte, dennoch brachte er sein eigenes Leben für mich in Gefahr. Foras war mein Freund. Er hatte einen Fehler gemacht, welchen er deutlich bereute.
„Inanna du glaubst doch nicht wirklich, dass du mit ihr einfach heraus spazieren könntest."
„Nein, deshalb bin ich nicht alleine. Wer glaubst du hat mich befreit?" In diesem Moment betrat eine große, gertenschlanke weibliche Dämonin den Raum. Sie hatte langes goldblondes Haar, eine leicht gebräunte Haut und gelbe Augen. Ihr voller kirschroter Mund war zu einem grausamen Lächeln verzogen, während sie elegant neben Inanna stehen blieb und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Sie sah verdammt gut aus, spitzes ebenmäßiges Gesicht, hohe Wangenknochen und große Auge.
„Lilith." Luzifer begann vor Wut zu beben.
„Ein nettes Ding hast du dir da ausgesucht." sprach sie aus heller Stimme und sah mich neugierig an. Wie konnte jemand, der so aussah, mit Satan zusammen sein? Er war nun wirklich nicht attraktiv.
„Wir gehen." sagte sie, nahm meine Hand und begann leichtfüßig wie eine Ballerina zum Ausgang zu schreiten. Ich drehte mich ein letztes Mal um. Luzifer war vor Wut rot angelaufen, sein Körper vibrierte und seine Augen waren strahlend weiß. Er war aber nicht der Grund wieso ich mich umgesehen hatte.
„Foras," sagte ich und streckte meine freie Hand nach ihm aus. Überrascht riss er die Augen auf, lächelte kurz und drückte sich anschließend von der Wand ab.
Plötzlich brüllte Luzifer die Dämonin, welche meine Hand umschlossen hatte bestialisch an.
„Ich enthaupte dich Lilith." spuckte er von Hass verzehrt, meine Nackenhaare standen sofort zu Berge. Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern.
„Tu dir keinen zwang an," provozierte sie ihn schnurrend wie eine Katze. Ach du scheiße, die war verrückt. Inanna schüttelte ihren Kopf, ließ mich mit den Spinnern zurück, da sie einfach aus dem Raum geschritten war. Ich sah es in seinen Augen. Er meinte es todernst, als er Lilith gedroht hatte. Die Nase gestrichen voll, riss ich mich von ihrem Arm los und stellte mich gerade rechtzeitig vor sie hin. Erschrocken schoss Luzifer seinen Feuerball in die Wand hinter mir. Ja, dass hätte mich getötet.
„Spinnst du?" schrie er mich an. Wütend formte ich einen Befehl, dachte an seinen Körper, welcher krachend gegen die Wand flog. Desto mehr ich nachdachte, umso schlimmer wurde die Vorstellung, denn meine Wut hatte mich vollkommen eingenommen. Nein, es war nicht Wut. Es war Frustration und Enttäuschung. Vor allem aber Hass. Befeuert von der Stimme in meinem Kopf stellte ich mir vor wie die Knochen in seinen Körper brachen, einer nach den anderen. Ich malte mir aus, dass sein Herz zerplatzte, wie er es mit meinen getan hatte und zwang ihn mit meinen Gedanken auf die Knie, erschrocken riss er die Augen auf. Entfernt nahm ich ein entsetztes Keuchen war. Luzifer versuchte sich gegen meine Energie, welche ihn wie unsichtbare Fesseln an Ort und Stelle hielt, zu befreien. Ich erinnerte mich, als er damals das gleiche mit mir getan hatte. An das Gefühl der Verzweiflung, weil dein eigener Körper nicht mehr auf dich hörte.
„Ich hasse dich," sprach ich kalt, während ich zusah wie aus seiner Nase, seinen Ohren, Mund und Augen eine silberne Flüssigkeit quoll. So blutenden also Engel, es glitzerte Silber.
„Tu es!" feuerte er mich aus zusammengepressten Lippen gefühlskalt an.
„Ich hasse dich so sehr," erklärte ich weiter, langsam brach die Mauer komplett in sich zusammen. Um an meinem Kummer nicht zu ertrinken, klammerte ich mich verzweifelt an meinen Hass. Am Ende war er alles was mir blieb. Das Ungetüm, war aus seinem Schlaf erwacht und unendlich gewachsen. Aus Tränenden Augen stellte ich mir gerade vor, wie sein Hals einen lauten Knacks machte und wollte den Befehl gerade losschicken, als mich jemand unterbrach.
„Stopp!" schrie Inanna, doch es war zu spät. 

Apokalypse - BittersüßWhere stories live. Discover now