Kapitel 11

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Luzifers kaltes Lachen durchbrach die Stille und füllte meine Lungen mit Panik. Naiv wie ich war hatte ich wohl vergessen wie gefährlich er war. Meine Augen fest geschlossen wartete ich auf seinen nächsten Zug. Bewusst, dass er brutal sein würde. Doch Luzifer ließ meinen Arm einfach los und brachte mich damit zum Stolpern. Man würde meinen, dass er mich auffängt bevor ich auf den Boden landete, doch nicht er. Er sah mir einfach dabei zu. Kurz sah ich etwas in seinen Augen aufblitzen. Diese Gefühlsregung war allerdings so schnell wieder verschwunden, dass ich sie nicht bestimmen konnte. „E-Es tut mir leid aber sie hat begonnen," verteidigte ich mich wie ein kleines Kind es tun würde. Mein Gegenüber kniete sich vor mich hin, schnappte sich eine meiner Strähnen und wickelte sich diese um seine Finger. „Du hast Glück." raunte er mir leise zu. Ihm meine Strähne entziehend entfernte ich mich etwas. „Deine Strafe wird nicht ganz so unerträglich sein." Bei diesen Worten glitzerten seine Augen wieder in diesem unheimlichen weiß, als wäre ein Schleier über sie gefallen. In der nächsten Sekunde wurde es stockfinster. Wie in meinem Traum konnte ich nichts als vollkommende Dunkelheit sehen. „Luzifer?" schrie ich ohne eine Antwort zubekommen. Meine eigene Achse umdrehend hielt ich Ausschau nach einer Lichtgestalt. „Luzifer!" schrie ich erneut. Auf einmal begann die Dunkelheit sich in etwas zu bilden. Zuerst erschien unter meinen nackten Füßen ein erdiger Untergrund, dann sah ich wie sich Baumstämme bildeten und roch den typischen Waldgeruch. Als ich erkannte wo ich war begann mein Herz wie wild zuschlagen. Verwirrt eilte ich zur Kapelle. „Ben, Rhiannon!" schrie ich diesmal. Kurz vor der Kapelle angekommen, sah ich einen Schatten aus eben dieser stolpern. Es dauerte wenige Sekunden bis ich durch die Dämmerung erkannte, dass der Schatten niemand anderes als Rhiannon war. Eine ziemlich gehetzt wirkende Rhiannon. Ihr entgegenlaufend fragte ich was los sei. „Es ist deine schuld!" schrie sie mich aus voller Kraft an. Das Gesicht hatte sie verzogen als würde sie unglaubliche Schmerzen leiden und war Tränendurchnässt. „Was?" wispernd sah ich sie geschockt an. Ein ungutes Gefühl, eine dunkle Vorahnung breitete sich in mir aus. Meinen Blick über sie gleiten lassend schnappte ich entsetzt nach Luft. Das blassblaue Shirt, welches ich ihr gegeben hatte, war Blutdurchtränkt. „Oh Gott Rhi!" flüsterte ich als sie auch schon vor mir zusammenbrach. Blitzschnell streckte ich meine Hände nach ihr aus um sie aufzufangen und sie langsam auf den Boden zulegen. „Es ist deine schuld," brachte sie erneut über die Lippen und sah mich aus ihren tränenden Moosgrünen Augen hasserfüllt an. Panik nahm mir die Fähigkeit auch nur einen klaren Gedanken zu formen. Rhiannon begann grauenvolle Gurgel-Geräusche, als würde sie ertrinken, von sich zugeben. „Rhi?" hauchte ich verängstigt als Blut aus ihrem Mund hervorquoll. Nein, Nein nicht schon wieder! „Rhi, bitte!" bettelte ich, doch ihre Augen hatten bereits jeglichen Glanz verloren und waren in eine andere Dimension abgedriftet. Ich verstand einfach nicht was hier vor sich ging. Ben würde das nicht noch einmal überleben. Ben! Mit Tränen verschleierten Blick stolperte ich in die Kapelle und schrie panisch immer wieder seinen Namen. Ihm dufte nichts zugestoßen sein, dass durfte nicht sein. Als ich die Treppen zum Glockenturm bestiegen hatte und ihn auf der Matratze liegend sah, passierte alles wie in Zeitlupe. Zuerst spürte ich Erleichterung, doch dann nahm ich seinen Zustand war. Ich hörte jemanden laut schreien, bis ich erkannte, dass das mein Schrei war. Ich schrie mir regelrecht die Seele aus dem Leib, während ich mich seitlich neben ihn auf die Knie schmiss. In meinem inneren loderte ein Feuer, welches mich schmerzhaft verbrannte. Als würde alles was mich ausmacht zunichte gemacht werden. „Ben!" schrie ich seinen Namen wie ein Gebet. Mit zitternden Händen berührte ich seine fahle Wange, ließ eine zu seinem Hals gleiten. Dort wo der Puls gut zu spüren sein sollte. Es nicht wahrhaben wollend setzte ich mich rittlings auf ihn und begann mit voller Kraft auf seine Brust einzuschlagen. Das ganze Bett war voller Blut und erst jetzt bemerkte ich, dass ich durch meinen lächerlichen versuch ihn zu retten, noch mehr Blut aus seiner offenen Bauchwunde presste. „Nein!" ich hörte auf der Stelle damit auf, rollte mich von ihm ab und zog seinen Körper stattdessen fest an mich. Ich spürte nichts als das Feuer in mir, welches sich bereits zu einem Inferno gebildet hatte. „Es tut mir so leid, es tut mir so leid." wiederholte ich weinend immer wieder. Falls du meine Regeln brichst, breche ich dich schossen mir Luzifers Worte durch den Kopf. Wer hätte gedacht, dass er mich so schnell brechen würde, denn ohne Ben gab es keine Fia. Ohne ihn gab nichts einen Sinn. Ich schrie als gäbe es keinen Morgen und irgendwie war dem auch so. Wie könnte es einen nächsten Tag ohne Ben geben? „Luzifer, bitte! Nicht er!" verzweifelt küsste ich seine bereits kalte Stirn. Erinnerungen stürzten auf mich herab. Ben der sich schützend vor mich stellte und die Schläge an meiner Stelle einsteckte. Ben jubelnd, weil er seinen letzten Milchzahn verloren hatte. Ich sah unsere Fünfzehnjährigen-Ichs wie eine Fatamorgana gemeinsam bei ihrem ersten Winterball tanzen. In meinen Ohren hörte ich ein dröhnen, als wäre ich unter Wasser und dann spürte ich eine so intensive Energiewelle, die mich augenblicklich zurück in die Dunkelheit riss. Vielleicht war das Inferno in meinem Inneren explodiert. Ich konnte es nur hoffen, denn ohne ihn wollte ich keine Sekunde weiterleben. Er war doch alles was ich hatte. Meine Familie. Das Schicksal meinte es ehrlich nicht gut mit mir, denn die Dunkelheit schwand und schickte mich zurück in Luzifers Schlafzimmer. Schickte mich in eine Welt ohne den einzigen Menschen, der mir wirklich etwas bedeutet hatte. Als hätte er mich nie zur Kapelle geschickt knieten wir wie zuvor. Mein Kleid war nicht mehr mit dem Blut meines besten Freundes befleckt. Es schien als wäre nichts geschehen. „Wieso?" flüsterte ich leise, denn mehr schaffte ich nicht. Seinem Blick fehlte jede Menschlichkeit, als er mich musterte und verächtlich den Kopf schüttelte. „D-Du sagtest die Strafe würde nicht so schlimm sein?" „War es auch nicht." Was als nächstes geschah, war wohl das dümmste was ein Mensch jemals machen könnte. Schonungslose Wut befiehl meinen Körper wie einen alles verzerrenden Parasiten, weckte die Furie in mir. Mit all den Hass, den ich verspürte ballte ich meine Hand zu einer Faust und rammte sie ihm mit voller Wucht ins Gesicht. „Wie kann das nicht schlimm sein? Du hast mir die eine Person genommen, die ich bedingungslos liebte. Meinen einzigen Grund zu leben!" schrie ich ihn an. Die Tatsache, dass ich ihn geschlagen und somit mein eigenes Grab geschaufelt hatte war mir egal. Alles war mir egal. Doch dann begann Luzifer zu lachen. Ein ehrliches, warmes Lachen, welches seine Augen erreichte und ihm ein Grübchen im Gesicht zauberte. Wie gerne würde ich ihm die Kehle herausreißen. Zum ersten Mal seit ich ihn kenne strahlte er Wärme aus und dann ausgerechnet, wenn er mir alles genommen hatte. „Du traust dich was!" gab er amüsiert von sich. Bevor ich erneut zuschlagen konnte, packte er meine Hand und sah mich warnend an. „Koste meine Grenzen nicht aus!" knurrte er mich an. „Fia, kannst du noch immer keine Illusion von Wirklichkeit unterscheiden?" raunte er und ließ meine Hand anschließend abwertend los. 

Apokalypse - BittersüßWhere stories live. Discover now