Kapitel 7

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Drei Tage waren seit Rhiannons Wiederkehr vergangen. 72 nervenaufreibende Stunde ohne dass mich jemand holte. Um die 4320 Sekunden ist es her als ich das letzte Mal mit Ben gesprochen hatte. Während er immer mal wieder verschwand um zum Training zu gehen oder Besorgungen zu erledigen, blieb ich in der Kapelle und starrte in das alte in Leder gebundene Buch. Wenn er da war, dann kümmerte er sich hauptsächlich um Rhi, welche zwar langsam akzeptierte, dass sie nicht mehr in der Hölle war, es allerdings noch nicht wirklich verstanden hatte. Eigentlich gab es da auch nicht groß etwas zu verstehen. Nach dem letzten Gespräch mit Ben hatte ich meine Sachen vom Glockenturm heruntergeholt und sie samt Schlafsack auf eine der Kirchenbänke wieder ausgebreitet. Ich schaffte es jede Nacht mindestens einmal hinunterzufallen. Gerade saß ich auf eben dieser Kirchenbank und blätterte im Demonikon. Einem Buch indem so gut wie alle Dämonen und Beschwörungsriten aufgelistet waren. Arbeiten konnte ich nicht, da meine Verletzungen das nicht zuließen und ich ehrlich gesagt überhaupt keine Motivation hatte. Okay eigentlich lag es nur an der mangelten Motivation. Meine Verletzungen waren gar nicht so schlimm aber mir einzureden, dass es daran lag war besser als zuzugeben, dass ich Angst hatte. Eine solch penetrante Angst, dass ich mich langsam selbst nicht mehr ertragen konnte. Ich wollte nicht die Fia sein die ich war. Das Monster, eine beschissene Egoistin und zu guter Letzt ein Feigling. Die Dreifaltigkeit der Fia Doe, einem Mädchen ohne richtigen Nachnamen. Mann, mein Leben ist echt der Brüller. Verbittert versuchte ich mich ganz auf Asasel einen Wüstendämon zu konzentrieren. Als ich allerdings etwas von „Erster Bannträger" las schaltete mein Hirn endgültig ab. Kopfschüttelnd betrachtete ich die Skizze des Asasels. Ein stämmiger Mann mit langem Bart und Halbglatze. Kleine Hörner stachen aus seinem Kopf hervor aber das war nicht das einzig Sonderbare an dieser Kreatur. Asasel hatte lange krallenartige Finger und auch seine Füße erinnerten an die eines Tieres, vielleicht die eines großen Vogels. Genau sagen konnte ich es aber nicht. Im Großen und Ganzem sah er schrecklich hässlich aus. Ich war so vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sich Rhiannon neben mich gesetzt hatte. Erst als diese sich räusperte hob ich den Kopf von meinem Buch und blickte in zwei Moosgrüne Augen. Erschrocken griff ich mit meiner Hand auf mein etwas schneller pochendes Herz. „Oh Gott, schleich dich doch nicht so an," schnauzte ich sie an. Als sie zusammen zuckte bereute ich es sofort. Sie war noch immer etwas empfindlich. Nicht das ich viel mit ihr gesprochen hatte in den vergangenen drei Tagen um es tatsächlich beurteilen zu können. „Ich wollte dich nicht erschrecken," entschuldigend sah sie mich an und strich sich das rote Haar hinter die Ohren. Etwas was sie tat, wenn sie nervös war. Skeptisch beäugte ich sie und schloss das Dämonikon. „Was willst du?" Rhiannon ließ ihren Blick in der Kapelle umherschweifen und wirkte tief in ihren Gedanken verloren. Ich hatte schon aufgegeben auf eine Antwort zuwarten, als sie zum Sprechen begann. „Ben hat mir erzählt, dass ich wegen dir zurück bin. Danke." Meine Brust zog sich bei ihren Worten zusammen. Gerade als ich ihr sagen wollte, dass sie sich nicht zu bedanken hatte, redete sie weiter. „Naja irgendwie war es ja auch deine Schuld. Nicht dass ich in die Hölle kam, das war nicht deine Schuld aber der Rest. Zumindest teilweise." Sie hätte mich auch einfach schlagen können, so heftig trafen mich ihre Worte aber was hatte ich erwartet. Irgendwie hatte sie ja recht und genau das machte mich so rasend. Mein Mund war schneller als mein Hirn. „Ich stimme dir zu und wenn wir schon dabei sind Schuldzuweisungen auszuteilen, der Rest war ja mal sowas von auf deinen Mist gewachsen." Ich holte tief Luft, ehe ich weitersprach. „Ich bin nämlich nicht in den Wald à la Selbstmordkommando gerannt." Ich war wirklich zu einer Bitch geworden. „I-Ich stimme dir auch zu. Ich hätte nicht in den Wald laufen sollen. Nach unserem Gespräch war ich wütend und als ich euch zwei zusammen sah war der Frust kaum auszuhalten aber vorhersehbar. Ich wusste, dass das zwischen euch, was auch immer es war, über mich steht. Du wirst immer seine Wahl sein." ihre Augen hatten einen traurigen Schimmer und trotzdem strahlten sie Verständnis aus. Ich konnte nicht länger neben ihr sitzen und sprechen als wäre es das normalste überhaupt, also stand ich auf und begann meine Sachen in den abgenutzten Wanderrucksack zustopfen. „Ben liebt dich," erklärte ich während ich meinen Schlafsack zusammenrollte. Ich konnte aus meinem Augenwinkel heraus beobachten wie Rhi zusammenzuckte und den Kopf schüttelte. „Mag sein aber am Ende würde er sich für dich entscheiden. Er kann gar nicht anders." Diesmal schüttelte ich den Kopf und wollte etwas erwidern als sie ihre Hand in die Luft hob und mir damit zu verdeutlichen gab leise zu sein. „Sag jetzt nichts, denn wir beide wissen, dass das so ist." Der scharfe Ton, welcher Verachtung mitschwingen ließ, gefiel mir überhaupt nicht. Schweigend befestigte ich meinen Schlafsack am Rucksack und hob provokant eine meiner geschwungenen Augenbrauen. Ein lächerlicher versuch den Schmerz zu verdrängen. Immerhin waren wir einmal Freundinnen. Beste Freundinnen. Das schien schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Früher lachten wir miteinander, tratschen über Jungs und als die Welt zusammenbrach bildeten wir ein Team um zu überleben. Wir setzten uns Tagsüber in die Bibliothek und lasen gemeinsam, um anschließend über das gelesene zu sprechen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann alles zerbrach. Das Fundament unserer Freundschaft hatte schon immer Risse, vor allem als Ben begann ihre Gefühle zu erwidern. Endgültig gebrochen war sie wohl, als ich mit ihm geschlafen hatte. Ja so eine war ich. Jetzt war die Kluft zwischen uns viel zu groß um sie zu überwinden. „Weißt du was mir am meisten Angst einjagt?" fragte sie und riss mich somit aus meinen Gedanken. Den Kopfschüttelnd wartete ich darauf das sie weiter redete. Sie ließ auch nicht lange auf sich warten. „Wenn, wenn alles den Bach runtergeht, dann wird er nicht zögern um ins offene Messer zu rennen, wenn er dich damit retten könnte." Sie stand auf, stellte sich vor mich hin und umschloss fest meine Handgelenke. Was zur? „Ich will dir keinen Vorwurf machen aber er wird dich nicht überleben und das ist meine größte Angst." Wut kroch meine Adern hoch, verpestete meinen Körper und benebelte meine Sinne. Am liebsten würde ich ihr ins Gesicht schlagen. Stattdessen schluckte ich alles hinunter, denn am Ende war ich womöglich tatsächlich der Untergang meines besten Freundes. „Diesmal ist es anders. Er kann sich für eine Tote nicht entscheiden und wir wissen alle, dass ich so gut wie tot bin. Was auch immer man mit mir geplant hat, es wird definitiv nicht gut enden." Damit entzog ich mich ihrem Klammergriff, hängte mir meinen Rucksack um die Schultern und machte mich auf den Weg nach draußen. Rhiannon, die meinen Wink anscheinend nicht verstanden hatte, stellte sich kurz bevor ich die Kapelle verlassen konnte erneut vor mich hin und versperrte mir somit den Weg. Genervt atmete ich aus. „Wohin gehst du?" fragte sie mich mit schmal zusammen gezogenen Augen. „Rhi, wenn du das Richtige tun willst sagst du ihm, dass der Dämon mein Leben für deines eingefordert hatte und das kein Pakt der Welt mich zurückholen könnte." Grob schupfte ich sie zur Seite und hastete die Treppe hinunter. „Er würde das nicht verkraften," erklärte sie zaghaft und brachte mich damit zum Stehen. Ich drehte mich zu ihr um und schloss meine Augen. Eine Erinnerung, an der ich mich festklammerte suchte mich heim. Sie handelte von Ben und war bittersüß. Wir waren gerade neu hergezogen, keine Ahnung wie er das mit seinen fünfzehn Jahren anstellen konnte. Vielleicht klappte es auch nur, weil unsere Pflegeeltern nie nach uns gesucht hatten. Die waren entweder zu besoffen dazu oder hatten einfach Angst, dass deren schmutziges Geheimnis rauskommen würde, falls sie die Polizei informierten. Wie auch immer, Ben hatte an alles Gedacht. Uns fehlte an nichts. Wir hatten ein Dach über den Kopf, genug Essen und Geld. Er war so stolz auf sich und meinte unseren Neuanfang feiern zu müssen. Wir bestellten Pizza, tranken Cola und machten es uns in unserer schäbigen Einzimmerwohnung, direkt über einem dubiosen Nachtklub, gemütlich. Noch nie hatten wir so viel gelacht. Noch nie fühlten wir uns so lebendig. In dieser Nacht hatten wir uns geküsst und sind sogar einen Schritt weitergegangen. Klar wir waren beide noch grün hinter den Ohren aber das Leben bei unseren Pflegeeltern hatte uns schnell Erwachsen werden lassen. Wir liebten uns zum ersten Mal und versprachen einander für immer zusammenzuhalten. „Gemeinsam" flüsterte ich und öffnete meine Augen. „Was?" Rhiannon sah mich verwirrt an, als hätte ich endgültig den Verstand verloren. Wahrscheinlich stimmte das sogar. „Er wird es überleben und darum geht es dir doch. Darum geht es uns beiden. Zum Teufel versuch ihm das mit dem VT auszureden," sagte ich endlich und schenkte ihr ein Lächeln, welches meine Augen nicht erreichte, drehte mich um und ging. Im Hintergrund hörte ich sie noch flüstern, dass ich auf mich aufpassen sollte und war fest der Meinung, dass sie sich das sonst wo hinschieben konnte. Und wo sollte ich jetzt hin? Zurück zur Schule ging nicht, da Ben dort vielleicht auftauchen könnte, allerdings hätte ich es auch keine weitere Sekunde bei ihnen in der Kapelle ausgehalten. In Rhis Gegenwart fühlte ich mich so falsch. Ich entschied mich also einfach weiter in den Wald zu gehen. Mein Selbsterhaltungstrieb war nicht gerade auf einem gesunden Level.

Apokalypse - BittersüßHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin