Kapitel 4 - Catelyn

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„Ja, Lysa, es ist wirklich dringend!", erwiderte Catelyn ihrer Schwester und hoffte nicht zu laut ins Telefon gesprochen zu haben.
Es dämmerte zwar, war draußen aber noch so hell und warm, dass kein normales Kind bei dieser Hitze schlafen würde.
Aber Lysa war schon immer sehr... behütend in Bezug auf ihren einzigen Sohn gewesen.
Und anscheinend brauchte der kleine Robyn absolute Ruhe, um einschlafen zu können.
Warum genau ihre Schwester dabei neben dem Bett ihres zehnjährigen Sohnes sitzen musste war Catelyn allerdings noch immer ein Rätsel.

„Ja, ich rufe dich auch gerne später zurück!", murmelte sie enttäuscht, nachdem ihre Schwester ihr schnell erklärt hatte, dass Robyn sie zum Einschlafen brauchte... auch wenn Catelyn langsam begann sich Sorgen um den Jungen zu machen.
Es konnte nichts Gutes dabei herauskommen, wenn eine Mutter ihr Kind SO sehr behütete, wie ihre Schwester es tat.
Und abgesehen davon hatte sie gerade wichtigere Probleme, als dass Robyn nicht schlafen konnte, wenn die Sonne noch schien.

„Aber nein, er muss pünktlich ins Bett!", murmelte Catelyn mit einem Seufzen und ließ sich in einen der Küchenstühle sinken, die um den großen Tisch herumstanden.
Den Tisch, auf dem das Objekt stand, dass verhinderte, dass sie zur Ruhe kam und dem sie insgeheim die Schuld gab, dass ihr so viel Brot und Pasteten angebrannt waren, wie schon seit Jahren nicht mehr... wie noch nie, wenn sie es genau bedachte.
Und das, was sie daran am meisten störte war, dass es nur ein Kuchen war.

Tatsächlich, Sie, Catelyn Stark, Mutter von sechs Kindern, die sie zu respektvollen und liebenswerten Menschen großgezogen hatte, sieben, wenn man Theon noch mitzählte, der so gut wie zur Familie gehörte.
Sie war die Frau von Ned Stark und die Tochter von Hoster Tully... und dennoch sank sei vor einem Stück Gebäck in die Knie, zumindest kam es ihr so vor, während sie irritiert auf den Kuchen starrte, der noch immer ein leichtes Pfirsicharoma ausströmte.

Im letzten Jahr hatte sich der ganze Tisch um diese Zeit gebogen vor Gerichten, in denen die Pfirsiche verarbeitet wurden, die in ihrem kleinen, geschützten Tal um einiges schneller reif wurden, als an jedem anderen Ort in Georgia.
Genau um dies zu feiern fand alljährlich das Pfirsischblütenfest von Westeroy Valley statt, bei dem es niemanden wirklich kümmerte, dass die Pfirsiche eigentlich schon voll ausgereift waren... und natürlich gab es dort auch Wettbewerbe, unter anderem für das beste Gebäck mit Pfirsischen.
Und Catelyn überließ ihrer Schwester gerne die besten eingemachten Pfirsiche und ihrer Freundin Selyse den besten Pfirsichlikör... und sie konnte auch gut damit leben, dass Euron Greyjoy immer versuchte Pfirsiche mit Fisch zu kombinieren, auch wenn die Gesundheitsbehörde seinen Laden gerade ein weiteres mal geschlossen hatte...
Doch der Preis für das beste Pfirsichgebäck war immer ihrer gewesen, schon seit sie Ned geheiratet und begonnen hatte die Bäckerei zu betreiben, doch jetzt...

„Jetzt sitzt wohl eine neue Königin auf dem Thron!", murmelte sie leise und konnte es sich nicht verkneifen einen Blick über die Straße zu werfen, wo das Haus der Lannisters relativ abgedunkelt stand und so hübsch und sauber wie immer aussah, in seinem kleinen, gepflegten Antebellum-Stadthaus Stil, der aussah, als wäre es das Puppenhaus eines sehr verwöhnten kleinen Mädchens.
Eigentlich perfekt für jemanden wie Cersei Lannister, die mit ihrem Pastell und Lächeln doch die perfekte Puppe für dieses Ding war, doch...
„Es ist nicht richtig!", murmelte Catelyn und riss ihren Blick los.
Cersei war ihr gegenüber, trotz allen doch etwas kritischeren Erinnerungen an ihre gemeinsame Jugend, in den letzten zwei Wochen mehr als nur höflich und zuvorkommend gewesen.
Sie hatte ihr lächelnd Zucker oder Mehl geborgt, wenn ihres ihr ausgegangen war und hatte ihr sogar bereitwillig eines ihrer Rezepte für die eigene Küche überlassen.
Catelyn, die gehofft hatte vielleicht einige wenige der Kunden zurückzuholen, die morgens anstatt eines Brotes nun anscheinend lieber Cerseis Kuchen aßen, hatte in ihrer Verzweiflung sogar versucht es nachzubacken... und war kläglich daran gescheitert, auch wenn sie bei weitem keine schlechte Bäckerin war und das Rezept genau befolgt hatte.
Aber es war einfach nicht... IHR Rezept. Sie kochte die Pasteten, Brote und Backwaren, die in ihrer Stadt Tradition hatten, das was sie schon immer gebacken hatte und was ihre Mutter vor ihr für die Familie und Freunde gebacken hatte...
Cerseis Törtchen hingegen...

Mit einem Seufzen stützte Catelyn ihren Kopf wieder in die Hände, gerade so, dass sie durch ihre halb verschränkten Finger auf das Törtchen auf dem Tisch blicken konnte.
Sie gab es nicht gerne zu, aber sie musste zugeben, dass Cersei gewonnen hatte.
Zwei Wochen geöffnet und schon schienen die meisten Einwohner von Westeroy Valley lieber in ihr Café zu gehen, als irgendwo anders hin... und das Schlimmste daran war, dass es Cersei nicht einmal zu kümmern schien, wie viel beliebter ihr eigener Laden war, so freigiebig wie sie ihre Lava-Cake Rezepte herausgab.

Und das wäre nicht einmal schlimm gewesen... schlimm war tatsächlich, dass das Törtchen und vor allem die Cremige und doch Leichte, intensiv nach Pfirsich schmeckende Füllung eines der besten Dinge war, die sie jemals in ihrem Leben gegessen hatte.
Natürlich wusste sie, dass Cersei gut backen konnte...
Sie hatte sich in ihrer gemeinsamen Kindheit oft genug davon überzeugen können, dass Cersei eine geniale Bäckerin war und abgesehen davon hätte ihr Vater niemals zugelassen, dass sie in die Gesellschaft eingeführt wurde, ohne zumindest ein Thanksgiving Dinner für eine Großfamilie zubereiten zu können.
Doch das hatten viele Väter sich von ihren Töchtern erhofft und Cersei hatte sie dennoch in den Schatten gestellt... so wie sie eigentlich in allem perfekt gewesen war, was ihre Lehrer als die Tugenden einer idealen Hausfrau gepriesen hatten.
Selbst ihr Lächeln war besser gewesen...

Doch es hatte sie damals wie heute nicht gekümmert, ob Cersei besser lächelte oder besser tanzte oder sich die Haare hübscher hochstecken konnte.
Für sie waren das nie Dinge von großartiger Wichtigkeit gewesen.
Was brachte es, wenn man wusste wie man lächelte, wie man sang oder gefiel oder Blumen in einer Vase arrangierte?
Das half einem, wie sie auf ihrer Hochzeitsreise mit Ned gemerkt hatte, erstaunlich wenig, wenn das Auto einen platten Reifen hatte und man die Nacht im Starkregen am Straßenrand verbringen musste.
Und kein Sushi-Kurs oder Dinner-Arrangement hatte sie darauf vorbereitet aus Erdnüssen und Dosenbohnen und Thunfisch von einer Tankstelle im Nirgendwo etwas zu essen zu machen, das so appetitlich war, dass man es trotz Morgenübelkeit irgendwie im Magen behalten konnte.
Cersei mochte andere Dinge zu ihren Idealen erhoben haben, andere Fertigkeiten, doch all das war für Catelyn niemals wichtig gewesen.
Alles was sie hatte haben wollen, war eine glückliche Familie.

Eine glückliche Familie, die sie hatte, samt einer Bäckerei, die ihnen über kurz oder lang nicht mehr viel Glück bereiten würde, wenn Cersei jeden Tag etwas Neues in ihre Auslage stellte und es ihr sofort aus den Händen gerissen wurde.

„Wenn ich nur wüsste, was in dir drin ist!", murmelte Catelyn leise zu dem Törtchen, auch wenn sie wusste, dass es keine Antwort geben würde.
Sie alle hatten schon davon probiert, sie alle hatten Wilde Listen an Zutaten aufgestellt, sie alle hatten geraten wie verrückt...
Und waren doch nicht auf das perfekte Rezept gekommen oder auch nur irgendetwas, was dem näher kam, als das Wissen, dass das blöde Törtchen sicherlich Pfirsiche enthalten musste, eine Erkenntnis für die sie irhe Familie auch nicht gebraucht hätte, das hätte ihr einer der Hunde genauso gut sagen können.
Zumal sie dann nicht immer wieder eines der Kinder in Cerseis Café hätte schicken müssen, um Nachschub zu kaufen und Cerseis Einnahmen damit in die Höhe zu treiben, wie sie sich ins Gedächtnis rief, doch hier ging es nicht um Geld, sondern um etwas ganz anderes.
Geld hatten sie alle genug, vor allem Cersei, aber...

Ein leises Knarzen des Holzbodens hinter sich ließ sie aus ihren Gedanken schrecken und schaffte es sofort ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
„Komm schon rein, Arya!", rief sie in den Flur und die leisen, vorsichtigen Schritte verstummten sofort.
„Ich hab dich gehört! Du musst gar nicht erst so tun, als wärst du nicht da!", lächelte Catelyn und warf einen Blick über die Schulter, wenn auch nur um zu sehen, wie ein kleiner Schatten in ihre Küche trat, wenn er auch im Türrahmen stehen blieb.
„Wo hast du gesteckt, Arya?"
Sie bemühte sich zumindest ein wenig besorgt zu klingen, auch wenn sie tief in ihrem Inneren wusste, dass dazu nicht der leiseste Grund bestand.

Arya war, wenn auch erst 10 Jahre alt, ein Mädchen, das durchaus wusste, wie es sich zu wehren hatte und abgesehen davon hatte es in Westeroy Valley seit sich sich entsinnen konnte, kein einziges DERARTIGES Verbrechen gegeben.
Natürlich gab es Gerüchte und mit Sicherheit hätte Arya auch etwas anderes zustoßen können, doch es waren immerhin Sommerferien und Catelyn sah es lieber, wenn ihre Tochter noch etwas länger draußen spielte, als dass sie sich gleich nach dem Abendessen in ihr Zimmer zurückzog und laut Musik hörte wie Sansa oder Filme ansah wie Robb und Jon es die ganze Nacht taten, wobei sich ihre Kinder immer wieder versuchten an Lautstärke zu überbieten, solange bis sie irgendwann genug hatte und die Sicherung herausdrehte.
Und dann dauerte es keine fünf Minuten bis ein wütendes „Mum!" ihr sagte, dass sie sich auf eine Diskussion vorzubereiten hatte, die sich gewaschen hatte und nicht selten mit knallenden Türen endete...
„Wie war das noch gleich mit der großen, glücklichen Familie?", murmelte sie leise, wenn auch mit einem stummen Lächeln.

„Ich... ich war nur... wo spielen!", nuschelte Arya leise, die Augen gesenkt und noch immer halb im Schatten der Tür verborgen.
„Und wo war das genau?", fragte Catelyn gedreht, noch immer unsicher, was sie vom Auftreten ihrer Tochter halten sollte.
Normalerweise war Arya nicht so schüchtern... und vor allem nicht so schweigsam damit, was sie gemacht hatte.
„Hast du Mr. Baelishs Haus wieder verunstaltet? Arya, du weißt...!"
„Nein, ich... ich war...", Arya zögerte kurz, dann vollendete sie ihren Satz, die Stimme gesenkt. „Ich war...da drüben!"
Sie deutete auf die Wand zur Straßenseite hin, als wollte sie ganz deutlich machen...
„Du warst bei den Lannisters?"

Catelyn wollte lächeln, doch sie spürte, wie sich ihre Stirn in Falten legte.
Arya war nicht besonders begeistert von Cersei, das wusste sie und dagegen konnte sie nichts machen.
Aber dass sie sich auf dem Grundstück der Lannisters herumtrieb, vermutlich auch noch mit dem kleinen Bogen, den ihr Vater ihr gebastelt hatte und Holzpfeile abschoss, die...
„Arya, was...!"
„Beruhige dich, Mum! Wir haben nur gespielt!"
„Und wer sind bitteschön ‚wir', Arya?", bohrte Catelyn nach, während sie mit einer Hand auf den Stuhl neben sich deutete, wissend, dass Arya bei dieser Geste mit Ärger rechnen musste.

Nicht dass sie ihrer Tochter so etwas zutraute... zumindest meistens nicht...
Doch wenn Arya auch nur einen Bruchteil der Filme gesehen hatte, von der sie vermutete, dass sie sie gesehen hatte, könnte ‚spielen' etwas ganz anderes bedeuten, vor allem wenn es Cersei Lannister betraf.
Gedanklich machte Catelyn sich, mit dem schlimmsten rechnend, schon bereit eine sündhaft teure Friseurrechnung für eine komplette Blondierung zu bekommen... oder eine für eine Perücke, wenn Arya die Enthaarungscreme ihrer Schwester in Cerseis Shampoo...

„Meine Güte Arya, wie siehst du denn aus!"
„Reg dich nicht auf, Mum! Wir haben nur...!"
„Was habt ihr denn um Himmels Willen gespielt?"
Arya senkte den Blick und machte ein paar Schritte auf den Küchentisch zu, kletterte auf einen Stuhl, bevor Catelyn sie daran erinnern konnte, dass Straßenschuhe nichts in der Küche verloren hatten und zog den Teller mit dem Küchlein heran, das sie eigentlich hatte auf seine einzelnen Bestandteile analysieren wollen.
„Arya, was...?"
Catelyn trat noch einmal auf ihre Tochter zu und nahm ihr Gesicht in beide Hände, strich ihr über die Wangen:
Sie hatte erwartet, dass ihre Tochter gestürzt wäre oder in den Fluss gefallen und halb ertrunken.
Wenn es nach Catelyn ginge, dann hätte sie ihr auch zugetraut in diesen Burgerladen zu gehen und sich einen Kampf mit den drei Bulldoggen seiner Besitzerin zu liefern.
Alles, hätte sie sich an Verletzungen ausmalen können (und es gab, zugegebenermaßen, wenig, was sie als Mutter von sechs Kindern noch nicht gesehen hatte).
Alles, aber nicht...

„Reg dich ab, Mum!" Arya blickte ihre Mutter zerknirscht an. „Das war eine streng geheime Mission und ich durfte meine Deckung nicht auffliegen lassen!"
„Und zu deiner Deckung hast du was noch gleich gespielt?"
Catelyn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie sah, wie die Wangen ihrer jüngsten Tochter sich scharlachrot färbten.
„T...t...y..!", nuschelte sie leise in eine übervolle Gabel Kuchen hinein.
„Bitte, mein Schatz?"
„Teeparty, Mum!", fauchte Arya ihr mit zusammengekniffenen Augen entgegen und zog sich die rosa Schleife aus den elegant aufgesteckten Haaren.

„Also eines muss man Cersei lassen, sie kann wirklich immer noch gut Haare flechten!", murmelte Catelyn leise, während sie ihrer Tochter die verschiedenen glitzernden Spängchen aus den Haaren zog, die die Frisur in Form hielten.
„Das war nicht die Irre, Mum!"
„Arya, nicht in diesem...!"
„Das war Jaime!"
Catelyn prustete los, auch wenn ihre Tochter sofort wieder den Mund verzog, um ihr zu zeigen, dass sie das überhaupt nicht witzig fand.
Jaime Lannister konnte also Haare flechten?
Ausgerechnet Jaime Lannister, der heute den halben Tag lang in der Sonne gestanden und sich im durchnässten T-Shirt über die Eingeweide seines teuren Sportwagens gebeugt hatte, die Hände und Arme voller Öl...

„Ja, Jaime hat mir und Myrcella die Haare gemacht! Du kannst jetzt aufhören zu lachen, das ist nicht lustig!", knurrte Arya, auch wenn sie dies nicht davon abhielt sich eine weitere Gabel voll Kuchen in den Mund zu stopfen.
„Na sieh mal einer an, was für verborgene Talente...!", murmelte Catelyn leise.
Nicht etwa, dass Jaime Lannister es anscheinend fertig gebracht hatte, dass ihre Tochter sich das Gesicht und die Hände wusch und es zuließ, dass man ihr Schleifen ins Haar band und es mit kleinen, glitzernden Spängchen hochsteckte... sie hatte auch noch nie von jemandem gehört, der es geschafft hatte ihre Tochter zu einer Teeparty zu überreden.
Das letzte Mal, als jemand das versucht hatte war es Sansa gewesen und die ganze Sache hatte äußerst unschön damit geendet, dass Arya ihrem Bruder Bran die Teekanne auf den Kopf geschlagen hatte, die glücklicherweise nicht viel mehr als Wasser enthalten hatte.

„War es wenigstens ein schöner...?"
„Nein, war es nicht!", erwiderte Arya ruhig und sachlich, noch immer über die Überreste des Kuchens gebeugt, aus dessen Eingeweiden die widerlich perfekte Creme quoll. „Wir haben die ganze Zeit nur am Tisch gesessen und uns unterhalten und Myrcella ist so langweilig...!"
„Ach Arya!", seufzte Catelyn leise.
Nicht dass sie ihren Kindern die Freunde aufzwingen wollte, doch Myrcella war ein liebes, sanftes Mädchen, das jeden auf der Straße wohlerzogen grüßte und immer sauber und adrett gekleidet war.
Natürlich konnte man es übertreiben, aber wenn sie Arya mit aufschürften Knien und einer Platzwunde an der Stirn bei einem ihrer Freunde abholen musste, wünschte sie sich doch manchmal...

„Wirklich, Mum! Die ist genauso krank wie ihre Mutter!", versicherte Arya ihr schnell. „Wir mussten die ganze Zeit an einem Tisch sitzen und über so langweilige Sachen sprechen! Und sie hat AUCH ständig gelächelt! Wie die Irre!"
„Arya, ich habe dir bereits gesagt, dass du etwas netter über Cersei sprechen solltest!", erwiderte Catelyn ihr.
Auch ihr war ihre alte Freundin nicht ganz geheuer, hatte sie Cersei doch etwas... temperamentvoller und lebendiger in Erinnerung, doch das gab ihrer Tochter noch lange nicht das Recht...
„Und sie sah auch aus wie Sansas Puppenhaus! Alles sah aus, wie in Sansas Puppenhaus nur noch viel mehr... pastell!"
Arya streckte die Zunge heraus und machte ein Würgegeräusch, als wollte sie sich übergeben.

„Wirklich Mum, die sind so gestört! Ich hab Myrcella sogar gefragt, ob wir nicht mit Jaime am Auto basteln können, aber sie wollte nur ein Kleid und hübsche Haarschleifen tragen und Tee trinken und Kuchen essen und über Kleider und ihre Freundinnen sprechen! Und dann hat sie den Kuchen auch noch so gegessen...!"
Arya beugte sich mit bemerkenswert geradem Rücken über den Teller, inspizierte das letzte Bisschen, das darauf lag mit misstrauischer Miene und ließ dann die Gabel in den Kuchen sinken, nur um sie wenig später mit einem oder zwei kleinen Krümeln beladen wieder zu heben und in den Mund zu stecken, einen Blick im Gesicht, als hätte sie gar keinen Appetit.
„Und sie hat auch immer so gelächelt, wie ihre Mutter und immer hat sie sowas gesagt von wegen ‚Gott segne sie', als wären alle auf der Welt tot oder so! Das ist so gruselig!"

„Myrcella ist einfach etwas anders erzogen, als du, Arya!", erklärte Catelyn leise.
Sie konnte sich nur zu gut an Tywin Lannisters Standpunkt zur Religion erinnern.
Natürlich glaubte man an Gott, doch nicht als Gott als etwas gutes, auf das man vertrauen konnte, sondern an Gott als immergleiche Schreckfigur aus Kinderzeiten...sie war doch sehr froh gewesen, wann immer er in die Stadt oder wohin ihn die Politik auch immer rief gegangen war und nicht mehr den Unterricht in der Sonntagsschule hatte übernehmen können.

„Weißt du, die Lannisters sind sehr... nun... sehr... konservativ!"
Und konservativ war gar kein Ausdruck!
Nicht dass sie besonders viel von der politischen Meinung ihres Vaters hielt, der es nie verwunden hatte, dass Tywin Lannister es mit überwältigender Mehrheit für Georgia in den Senat geschafft hatte, doch einmal musste sie ihm zustimmen.
Natürlich nicht in allem, was er sagte und sie hatte ihm diese Nachricht nicht ohne Grund am Telefon mitgeteilt und war dazu auch noch auf die Terasse gegangen, damit Arya nicht ein paar mehr Schimpfwörter lernen konnte.
Doch wenn ihr Vater behauptete, dass Tywin Lannister und seine Ansichten anscheinend noch immer nicht über den Bürgerkrieg hinweggekommen waren, dann musste sie ihm, ob sie wollte oder nicht, still zustimmen.
So war er schon immer gewesen und zumindest so lange sie ihn kannte, hatte er auch seine Kinder nach entsprechenden Grundsätzen erzogen...
Zumindest hatte er, was Cersei anging immer eine sehr genaue Vorstellung davon gehabt, was eine Dame sagen und tun durfte und das war, wie Catelyn sich erinnerte, nie besonders viel gewesen.

„Sie achten sehr auf gutes Benehmen und....!"
„Aber sie haben Lady vergiftet, ich weiß es ganz genau!", unterbrach Arya sie mit einem triumphierenden Grinsen. „Ich hab gesehen...!"
„Arya, jetzt fang nicht schon wieder damit an! Ich dachte wir hätten die Sache geklärt?"
„Aber ich war doch heute Undercover im Feindesland!", erklärte Arya und hielt die Haarschleife in die Höhe. „Denkst du wirklich ich hätte sowas freiwillig machen lassen!"
„Nein, das denke ich nicht!", seufzte Catelyn.
Natürlich... wir hatte sie auch nur für einen Augenblick glauben können, dass Arya für einen Nachmittag etwas anderes, als ihr kleiner Wildfang sein könnte.
„Siehst du! Ich durfte doch meine Tarnung nicht auffliegen lassen!", erklärte Arya schnell. „Und ich hab rausgefunden, dass sie gar keine Knochen haben! Und dass sie den Müll gar nicht im Hinterhof aufbewahren! Und dass Cersei so gestört ist, das glaubst du nicht! Also sie...!"
„Es reicht jetzt, Arya!", murmelte Catelyn leise, unsicher, ob sie von all den Sorgen Kopfschmerzen bekam oder einfach nur müde und erschöpft war.
Auf jeden Fall war es nicht der richtige Zeitpunkt sich von ihrer Tochter wieder einen Vortrag darüber anzuhören, dass die Lannisters Sansas Hund vergiftet hatten, der dann auch noch mit irgendwelchen fadenscheinigen Beweisen ausgeschmückt war.
„Und Mum! Ich hab Sansa gesehen! Sie hat mit Cersei...!"
„Es reicht jetzt, Arya!", erklärte Catelyn ihrer Tochter angespannt. „Hör endlich auf deiner Schwester ständig irgendwelche Sachen anhängen zu wollen! Sie hat damals einfach nur gesagt, dass du Ei an der Kleidung hattest ohne auch nur für einen Moment irgendetwas über Mr. Baelishs Haus zu sagen und abgesehen davon haben wir ihr auch das Taschengeld gestrichen, weil sie an diesem Abend heimlich geraucht hat! Ihr seid also komplett quitt und ich habe keine Lust mehr mir irgendwelche Anschuldigungen...!"
„Schön!", brüllte Arya und knallte die Kuchengabel so heftig auf den Teller, dass Catelyn Angst hatte er würde zerbrechen. „Dann glaub mir eben nicht und halt schön weiter zu deiner Verräter-Tochter, die heimlich mit dem gestörten Feind schläft!"
„Arya, sei nicht so vulgär!", schimpfte Catelyn zurück. „Und das Zimmer deiner Brüder ist für dich gestrichen, bis du lernst dich angemessen auszudrücken!"
Es war eine leere Drohung, das wusste sie, doch wenn Arya schon solch einen Unsinn sagte, dann musste sie es, wie üblich, aus einem der Filme von Robb und Jon haben und Catelyn wollte nicht wissen, was ihre Söhne für Filme ansahen, die solche... Thematiken hatten, noch wollte sie wissen, wieso sie Arya mitschauen ließen.
Wenn Catelyn ehrlich war, dann wäre die Tatsache, dass ihre jüngste Tochter sich das, was sie gesagt hatte, auf Basis eines Filmes ausgedacht hatte, sogar noch furchtbarer, als wenn es denn wirklich stimmen würde...

„Und noch was, Mum! Der Kuchen schmeckt scheiße! Überhaupt nicht wie das, was du sonst machst, sondern viel zu sehr nach der da drüben!"
Arya deutete ein weiteres Mal in Richtung er gegenüberliegenden Straßenseite und machte ein Gesicht, als wäre der Teufel persönlich ihr Nachbar... oder schlimmeres.
„Auf dein Zimmer, junge Dame !Und morgen gehst du nicht nach draußen, damit wir uns verstanden haben!", erwiderte Catelyn mit aller Ruhe, die sie noch aufbringen konnte, doch ein lautes Gepolter, das vermutlich jeden im Haus aufweckte, verriet ihr bereits, dass Arya auf dem Weg nach oben war... mit Nymeria an ihrer Seite, wenn sie nach dem freudigen Bellen ging, das durch den Flur erschallte.
„Ach Arya!", seufzte sie leise, als sie den Teller sah, den ihre Tochter wieder einmal nicht weggeräumt hatte, die Krümel, die sich über den halben Tisch verteilten... und doch fühlte sie sich seltsam glücklich und erleichtert über das was ihr Mädchen gesagt hatte.
„Anscheinend sollte ich vielleicht doch bei den guten, alten Rezepten bleiben!", dachte sie lächelnd, während sie den Teller zur Spülmaschine brachte und auf dem Rückweg das alte Rezeptbuch ihrer Mutter aus dem wackeligen Regal nahm und bei den Rezepten aufschlug, mit denen die Tullys schon seit Jahren den Preis für den besten Pfirsichkuchen gewonnen hatten und die, allein, weil Cersei Lannister in die Stadt zurückgekehrt war, noch lange nicht schlechter geworden waren.

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