Kapitel 3 - Tyrion

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„Ich hätte niemals gedacht das zu sagen, Schwesterchen, aber was deine Backkünste angeht bin ich wirklich beeindruckt!"
Tyrion nickte seiner Schwester zu und ließ seinen Blick dann wieder über die Abrechnungen der letzten Woche beugte.
Eine Woche war vergangen seit Cersei ihr Café eröffnet hatte und sie hatten mehr mit dem Laden verdient, als im Laufe der letzten Paar Jahre.

Um fair zu sein hatten sie, wie Tyrion sich eingestehen musste, auch nicht wirklich versucht etwas zu verkaufen.
Sie hatten, ohne Gewerbeerlaubnis oder Steuern abzuführen, ein paar Kaugummis, Zigaretten und selbstgebrannten Fusel aus Stannis Bar verkauft und ab und an den einen oder anderen Pokerabend in den Räumen veranstaltet, die ihre Schwester nun endlich als das Café eröffnet hatte, dass es auch einmal gewesen war...
Zumindest hatte es so aussehen sollen, weil ihre Mutter gerne ein Spielzeug hatte haben wollen, während ihr Vater in Atlanta an seiner Karriere feilte und sie die Sommer alleine mit ihren kostbaren, goldenen Zwillingen im Hinterland von Georgia verbrachte und Apfelkuchen backte, wie es jede gute Republikanerehefrau können musste.

„Das freut mich, Tyrion!", erwiderte Cersei leise, die Augen richtungslos gegen die Wand hinter ihm gerichtet, als würde sie in weiter Ferne etwas sehen.
Etwas mehr, als Wand zumindest.
„Cersei...!"
Er schnippte ein paar Mal mit dem Finger vor ihrem Gesicht, doch es besserte sich nicht.
Cersei starrte nur wahlweise an seinem Ohr vorbei oder über seinen Kopf hinweg, einmal auch auf das Weinglas in seiner Hand und stand dann auf, um mit eleganten Schritten zu ihm zu gehen, das Glas aus der Karaffe auf dem Tisch zu füllen und sich wieder hinzusetzen ohne ein weiteres Wort.

„Cersei...!"
„Ja?"
Ihre Stimme war leise und sanft.
Und auch wenn das nicht seine Schwester war, wäre es für Tyrion noch ein akzeptables Übel gewesen, wenn sie nicht durch ihn hindurchgesehen hätte, wie sie es spät abends immer zu tun pflegte.
„Cersei, hast du mitbekommen, was ich dir über Bilanzen erklärt habe? Über Buchführung? Vater wird von dir erwarten, dass du zumindest die einfachsten Grundzüge beherrschst, wenn er sich wieder hier blicken lässt!"
Und das würde bald sein.
Nicht dass Tywin Lannister kein unglaublich beschäftigter Mann wäre (das war er zumindest immer, wenn es darum ging Geld zu überweisen), doch niemals hätte er, der dreifache Gouverneur ihres schönen Staates Georgia und ehemaliger Senator, das Pfirsichfest in seiner hübschen, kleinen Heimatstadt Westeroy Valley vergessen, in der damals seine politische Karriere begonnen hatte. Es war ja nicht so, als würde er sie nicht ständig daran erinnern.

„Also hast du versucht alles für diesen Monat zu verbuchen? Du weißt doch wie viel Wert Vater darauf legt, dass alles seine Ordnung hat, nicht wahr?"
Cersei blickte ihn an, nickte dann, noch immer lächelnd, auch wenn ihr Lächeln lange nicht mehr so strahlend war wie es immer über den Tag hinweg war und ihr Blick unfokussiert wurde.
Es war zu spät, das wusste er.
Zu spät für ihn und zu spät für Cersei, aber es ging kaum anders, wenn seine Schwester bis vor einer Stunde noch damit beschäftigt war auch noch die letzten Krümel an Gäste zu verkaufen, die sich regelrecht um ihr Gebäck zu reißen schienen.
„Hier, bitte!"
Cersei schob ihm einige Papiere zu, Buchungssätze und Eintragungen, alles geschrieben in einer hübschen, ordentlichen Schrift, auch wenn Tyrion sich immer fragte wie sie so etwas noch hinbekam, während sie ansonsten eher durch ihn hindurchstarrte.

„Aber ansonsten hast du mich wirklich beeindruckt, Cersei!", erklärte er, während er die Tabellen überflog.
„Ich danke dir, Tyrion!"
„Nein, ich meine es ernst! Du hast wirklich...!"
Er blickte auf, doch Cersei lächelte ihn an, rührte mit einem Finger in dem Tumbler mit Orangensaft, den sie sich eingeschenkt hatte und...
„Cersei, würdest du bitte aufhören die Watte zu essen!"
Er blickte sie an, doch Cersei blickte nicht zurück.
„Cersei, wir hatten diese Diskussion schon! Du weißt, dass Watte nicht gut für dich ist und außerdem...!"
Mit einem Seufzen vergaß Tyrion das außerdem und wandte sich wieder den Bilanzen zu.
Solange Cersei in diesem Zustand war konnte er nicht mit ihr diskutieren und wollte es auch nicht... abgesehen davon, dass er sich wie ein Idiot vorkam, wenn er bedachte, dass er seiner erwachsenen Schwester, die noch darüber hinaus in der Lage war ein Café über eine Woche zu bringen ohne es zu ruinieren und dabei noch signifikante Gewinne erwirtschaftete, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte, erklären wollte, dass sie keine Watte zu essen hatte.

„Es tut mir leid!", murmelte Cersei leise und wollte aufstehen, doch Tyrions Blick hielt sie zurück.
„Du gehst jetzt nicht backen, Cersei! Wir müssen hierüber sprechen! Sieh doch...!"
Er schob das Blatt wieder über den Tisch zu Cersei, die mit unsicheren Fingern danach griff.
„Du hast das gut gemacht fürs erste Mal, aber du hast vollkommen vergessen...!"
„Oh ja!"
Cersei lächelte sanft und gab ihm das Blatt wieder zurück.
„Du hast ja so recht, entschuldige bitte meinen Fehler!"
An jedem anderen Abend hätte Tyrion das Blatt zurückgenommen, darüber gelächelt, dass seine Schwester so vollkommen uncerseihaft höflich und freundlich war und ihren Fehler stillschweigend korrigiert, darauf hoffend, dass ihr Vater, wenn er denn überhaupt kam, einfach nur einen Blick in seine mehr als ordentlich geführten Bücher werfen würde.
An jedem Abend... nur nicht heute.

„Cersei, es reicht!", murmelte er leise, blickte für einen Moment über den Tisch und griff dann nach der Weinkaraffe und einem zweiten Glas.
„Hier, nimm!", erklärte er ihr, nachdem er es gefüllt hatte, zu seiner Schande nichtmal ansatzweise so sauber, wie Cersei es hinbekommen hatte, die...
„Tyrion, ich...!"
„Hier, nimm! Früher hast du auch welchen getrunken, dann wirst du jetzt wohl kaum...!"
„Cersei!"

Cersei ließ das Glas sinken und richtete ihren Blick in Richtung der Tür, aus der die Stimme ihres Bruders erklungen war.
„Jaime!"
Sie lächelte, ein breiteres, ehrlicheres Lächeln, als Jaime auf sie zukam und sich zu ihr beugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben und ihr das Weinglas aus der Hand zu nehmen.
„Kein Wein, meine süße Schwester! Nicht mit deinen Medikamenten!"
„Natürlich, Jaime!", murmelte Cersei leise, bevor sie nach dem Schälchen griff, das er ihr reichte, mit der anderen Hand das Wasserglas umfasste, das er ihr entgegenstreckte.

In Tyrions Augen hatte seine Schwester schon immer zwei Talente gehabt, drei, wenn man ihre Wangenknochen mitzählte...
Sie hatte ihre Familie, ihn ausgenommen, mehr geliebt als alles andere auf der Welt und hatte wunderbar Kochen und Backen können.
Was, wie er glaubte zu wissen, im Endeffekt die Grundeigenschaften waren, die ihr Vater gehofft hatte in ihr zu finden, denn so ließ sie sich eines Tages mit einem ehrenwerten Bekannten aus der Republikanischen Partei verheiraten und konnte die Familienehre hochhalten, wenn es nichts anderes mehr gab.
Er konnte die ewigen Reden seines Vaters nicht mehr hören!
Dass Cersei allerdings einmal ein Talent dafür entwickeln würde 42 verschiedene Tabletten mit nur einem Glas Wasser zu schlucken...

„Geht es dir gut, Cersei?"
Sie nickte stumm, die Augen mit einem breiten Lächeln in seine gerichtet... oder zumindest in ihre Nähe.
„Sie isst Watte, Jaime!", erwiderte Tyrion kurz, doch Jaime schien das alles kein bisschen zu kümmern.
„Du solltest vielleicht hochgehen, Liebling! Es war ein langer Tag für dich! Lass mich noch mit Tyrion sprechen, während du dich umziehst und dann komme ich zu dir und wir essen gemeinsam zu Abend, ja?"

Cersei schien einen Moment zu zögern, dann nickte sie, küsste seine Wange und erhob sich aus ihrem Stuhl.
„Gute Nacht, Tyrion!"
Sie trat auf ihn zu, beugte sich zu ihm hinunter und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Gute Nacht, Cersei!", erwiderte er kurz, auch wenn er sich, kaum dass sie sich umgewandt hatte, in seinen Stuhl zurücksinken ließ. Jaime hatte diesen unmissverständlichen ‚wir müssen reden' Ausdruck aufgesetzt.

„Ich würde sagen sie ist schon wieder halbwegs normal, meinst du nicht, Tyrion?"
„Jaime, sie isst Watte!", fauchte Tyrion zurück, die Augen noch immer über den Papieren, die Cersei zurückgelassen hatte.
„Aber ich meine...vor ein paar Monaten, als ich sie abgeholt habe...!"
„WATTE, Jaime! Unsere Schwester ernährt sich von Watte!"
„Sie... Du weißt es ist hart für sie...!"
„Oh, Vater wird sicher begeistert sein, wenn seine Tochter sich von Watte ernährt! Ja, so sieht ein normaler Mensch aus, den er der Welt als seine normale, erfolgreiche Familie präsentieren kann, ohne dass er um seinen politischen Ruf fürchten...!"
Tyrion verstummte, als er den gebrochenen Blick in Jaimes Augen bemerkte, sah wie müde er war.
Müde und erschöpft und vermutlich mit anderen Problemen beschäftigt, als dass ihre Schwester Watte aß, um nichts anderes essen zu müssen.

„Du hast sie nicht gesehen, als ich sie da rausgeholt habe!"
„Du meinst, als Vater dir die Erlaubnis gegeben hat sie mitzunehmen, nachdem du ihn mit was auch immer erpresst hast?", fragte Tyrion spitz, doch Jaime zuckte nur mit den Schultern.
„Sie war am Ende damals und das weißt du!", erwiderte er nur kurz, ließ die Augen über das Durcheinander von Papieren schweifen.
„Sie haben sie zwangsernährt, weil sie nicht mehr essen konnte! Sie haben sie komplett unter Psychopharmaka gehalten, weil sie...!"
„Jaime, willst du mir nach 42 Tabletten, die sie gerade vor deinen Augen geschluckt hat, erzählen, dass sie jetzt vollkommen clean ist?"
„Tyrion..!", setzte Jaime an, doch er verstummte und stützte nur den Kopf in die Hände.
„Jaime!", mit einem Seufzen streckte Tyrion seinem Bruder das Weinglas entgegen, das dieser ihrer Schwester aus der Hand genommen hatte, doch es schien Jaime nicht zu interessieren.
Er nahm es zwar an, doch er schien nicht einmal so tun zu wollen, als wolle er daraus trinken.

„Ich meine ja nur, dass es für uns alle schwer ist! Du hast doch schon Myrcella und Cersei... naja, sie nimmt Zeit in Anspruch! Und abgesehen davon wird Vater ohnehin nicht locker lassen, bis er sie wieder in Rosehill hat! Er ist doch ohnehin der Meinung, dass man sie nie hätte weggehen lassen sollen, wegen...!"
„Sein heiliger guter Ruf, ich weiß!", murmelte Jaime leise in sein Weinglas.
Wann war es ihrem Vater jemals um etwas anderes gegangen, als um das Vermächtnis, das er ihnen hinterlassen würde.
Und damit hatte er immer in erster Linie seinen aktuellen Posten in der Politik gemeint und das Bild, das die Familie nach außen abgab.

„Erinnerst du dich noch? Ein Lannister fällt nicht mit dem Fahrrad hin! Ein Lannister stolpert nicht beim Tanzen! Ein Lannister...!" „Trinkt sein Bier aus einem Glas und nicht aus der Flasche?"
Tyrion grinste seinem Bruder zu.
Das waren die Worte gewesen, die sie sich ihr ganzes Leben lang hatten anhören müssen, doch er wusste genau, dass das nichts dagegen war, was ihr Vater Cersei erklärt hatte, was man in den Südstaaten von einer wohlerzogenen Tochter erwartete.
‚Und vergiss nicht zu lächeln, zeig der ganzen Welt wie glücklich du bist! Du musst lernen zu singen und zu lächeln und zu gefallen...' „Ertrage alles um dich herum mit einem Lächeln und sanftem Gleichmut! Wenn etwas geschieht lass es geschehen und widersprich nicht, wehre dich nicht und wenn es dir noch so unrecht erscheint! Eine Dame sagt nicht ‚Nein' oder ‚Aber', eine Dame lächelt, nickt und sagt ‚Ja, natürlich!' und ‚Sie haben ja so recht!', wenn ein Mann mit ihr spricht! Achte die Familie über alles, du bist ein Teil von ihr, doch sie ist es, die Generationen überdauern wird, also sage nie etwas gegen eines ihrer Mitglieder, wenn du nicht möchtest, dass es auf dich und deine Kinder zurückfällt! Und um Gottes Willen...!"
„Halte deine Figur!", vervollständigte Jaime leise.
„Kein Wunder! Da bekomme selbst ich Hunger auf Watte!", knurrte Tyrion leise und streckte, als er bemerkte, wie ein Lächeln über Jaimes sorgengeplagtes Gesicht glitt.

„Dann also auf Tywin Lannisters missratene, vor den Wählern versteckte Kinder! Den Zwerg, den Nichtsnutz und die vollkommen Irre, die es aber aus irgendeinem Grund schafft eine gutgehende Bäckerei zu leiten, auch wenn sie jeden Tag eimerweise verschriebene Happy Pillen dafür...!"
„Ich habe einen guten Arzt gefunden!"
Jaimes Stimme war ruhig... zu ruhig beinahe...
„Aber?"
„Ich sollte mit Dad darüber sprechen! Er meinte, nachdem er sie gesehen hat, Cersei sei vollkommen falsch eingestellt und sie wirkt auf ihn eher traumatisiert, als dass er eine Schizophrenie vermutet! Er meinte er hält ihre halbe Krankenakte für den größten Schwachsinn, den er jemals gelesen hat und dass sie eigentlich nur...!"
„Und ich nehme an, du bist damit noch nicht weiter, als bis zu Vaters Anrufbeantworter gekommen, lieber Bruder?"

Jaime antwortete nicht, doch allein sein Schweigen war Tyrion schon genug der Antwort.
„Jaime, nach allem was sie getan hat denke ich nicht, dass es mit ein paar Sitzungen auf der Liege von so einem Wald und Wiesen Mediziner...!"
„Er ist...naja, er ist kein Arzt, er nennt sich viel mehr..."
Jaime schien nach einem Wort zu suchen... vermutlich eines, das zumindest noch ein wenig seriös klang.
„Hat er einen Abschluss, Jaime?"
„Hast du einen?"

Tyrion seufzte leise.
Er hatte mit seinem Vater schon oft genug über die Universitäten gesprochen, die ihn für nicht tragbar erklärt hatten.
Er würde es nicht auch noch mit deinem großen Bruder diskutieren.
„Denkst du denn, dass Vater Cersei von einem Alternativmediziner behandeln lässt, wenn er eine Reihe der renommiertesten Männer dafür bezahlt hat in seitenlangen Berichten genau zu dokumentieren, warum seine Tochter nun eigentlich irre ist?"
Jaime antwortete nicht.
Zumindest für einige Augenblicke.
„Wenn er wirklich alles bezahlt hat, dann...!"
„Jaime... du siehst doch wie sie ist, wenn ihre Medikamente aufhören zu wirken! Du siehst, wie sie sich daran gewöhnt und die Wirkungsdauer immer kürzer wird! Irgendwann wirst du sie zu einem Arzt bringen müssen, aber dann wird Vater ganz sicher nicht zulassen, dass es einer ist, der jedes Wort, das er ihm sagt für eine Million an die nächste Klatschzeitung verkauft!"
„Tyrion, ich bitte dich!"

Tyrion sah, wie sein großer Bruder sich in seinen Stuhl zurücksinken ließ, offenbar erschöpfter, als er zunächst gedacht hat.
„Cersei geht es wirklich besser seit sie hier ist! Sie hat ein Café eröffnet, wenn du dich erinnerst!"
„Ja, vor einer Woche!"
„Aber in dieser einen Woche hat sich noch nicht ein Kunde beschwert! Selbst Vater meinte, dass sie eine Beschäftigung braucht, wo sie nicht allzu viel aus dem Haus muss, sodass Gefahr besteht, dass man sie draußen auf der Straße sieht und das...!"
„Vater hat ihr nicht mal einen Goldfisch zugetraut, Jaime!", erinnerte Tyrion ihn sachlich. „Ganz zu schweigen von einem eigenen Betrieb und nebenbei noch ihrer Tochter, die ganz zufällig auch noch hier wohnt! Wie viele Frauen möchtest du eigentlich noch dazuholen, denen du dann Little Women vorlesen kannst?"
„Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich unserer Schwester...?"
„Ach nein?" Tyrion hob gekonnt eine Augenbraue.
„Naja... manchmal! Wir lesen zusammen und dann...!"
„Und dann habt ihr zusammen den besten Sex aller Zeiten, ich weiß schon, ich weiß schon!"

Tyrion seufzte leise, griff dann wieder nach der Karaffe, um sich Wein nachzufüllen.
Es war ein offenes Geheimnis, dass sein Bruder mit seiner Schwester schlief.
Zumindest wusste er Bescheid und Myrcella wusste Bescheid, auch wenn seine Nichte die wunderbare Fähigkeit hatte zu erkennen, was die wichtigen Geheimnisse waren und darüber Stillschweigen zu bewahren.
Und das sogar besser, als er es einer normalen 10-Jährigen zugetraut hätte.
Sie war glücklich, wenn ihre Mutter glücklich war und ihre Mutter war glücklich, wenn Onkel Jaime ihr Bett teilte und auch sonst immer an ihrer Seite war... wie einfach die Welt doch für ein 10-jähriges Mädchen sein konnte, das beschützt und behütet wurde und seine Mutter nie sah, wie sie eigentlich war, sondern immer nur von einer Masse an Medikamenten gebändigt.
Andererseits... wer sah Cersei jemals anders, als mit all ihren Tabletten, abgesehen vielleicht von seinem Bruder, dem dies offensichtlich wenig auszumachen schien.
Doch wenn er recht überlegte, dann hätte Jaime vermutlich auch Ruhe bewahrt, wenn Cersei ihm Blutüberströmte Arme entgegengestreckt hätte, nur um dann wahnsinnig zu werden, wenn Cersei versorgt war.

„Es geht ihr besser, als noch vor einigen Monaten!", widerholte Jaime noch einmal.
„Sie isst wieder...!"
„Ein wenig... vor allem Watte!"
„Sie isst wieder!", wiederholte Jaime noch einmal.
„Sie ist den ganzen Tag mit etwas beschäftigt, was ihr gefällt, sie verbringt Zeit mir Myrcella und wenn du ihr jetzt noch Buchhaltung beibringst, wird Vater bestimmt sehr zufrieden mit ihr sein!"
„Wenn ich es schaffe ihr Buchhaltung beizubringen!", murmelte Tyrion mit einem leisen Seufzen.

Manchmal konnte er nicht wirklich begreifen, wie sein Bruder so naiv sein konnte wirklich und ehrlich zu glauben, dass ihr Vater Cersei bei ihnen lassen würde!
Womit auch immer Jaime ihn erpresst hatte... es würde irgendwann kein so großes Gewicht mehr haben, dass Tywin Lannister es sich nehmen ließ seine psychisch mehr als kranke Tochter so schnell er konnte wieder in die nächste Irrenanstalt mit hohen Mauern zu stecken, die er finden konnte, solange sie nur verschwiegen war.
Es kümmerte ihn kaum, was mit Cersei geschah, solange nicht herauskam, dass er sie in eine dieser Einrichtungen abgeschoben hatte und sie nicht starb, wenn Wahlen anstanden.
Ein toter entfernter Cousin oder ein zu früh geborenes Baby brachten Wählerstimmen... Wahlkampf zu führen, wenn seine Tochter in so jungen Jahren verstorben war, wäre selbst (oder besonders?) für einen so christlichen Republikaner wie ihren Vater mehr als pietätlos.

„Sie ist ein kluges Mädchen! Sie wird das schon...!"
„Sie ist, zumindest wenn ich versuche es ihr beizubringen, eine Mischung aus einer Wandelnden Leiche, einem Chihuahua und einer crackabhängigen Nutte, Jaime!"
„Ich bin mir sicher, kleiner Bruder! Dass du auch einem toten, crackabhängigen Chihuahua Bilanzierung beibringen kannst!", erwiderte Jaime mit einem Grinsen.
„Und außerdem sieht das gar nicht mal so schlecht aus! Ich meine... sie hat die Einkäufe verbucht... und die Reparatur für die Kaffeemaschine... sie hat sogar die Abschreibungen richtig...!"
„Die Abschreibungen hat sie vergessen, Jaime!", murmelte Tyrion leise, noch immer über sein Weinglas gebeugt.
Es war kein besonders gewaltiger Fehler und überhaupt war es idiotisch an so etwas zu denken, wenn das Café kaum eine Woche offen war... doch ihr Vater würde darauf bestehen.
Und er würde einen willkommenen Grund haben ihnen (und damit war vor allem Cersei gemeint) ihre Unfähigkeit vorzuhalten, wenn auch nur ein Strich nicht richtig gesetzt war.

„Aber hier stehen sie doch!"
Jaime schien die Zahlen auf dem Blatt vor sich noch einmal zu überprüfen , dann zuckte er mit den Schultern und reichte einem Bruder das Blatt. Ein Blatt, beschrieben in Cerseis geschwungener, eleganter Handschrift, das er wohl beim hastigen Durchblättern zuvor übersehen hatte.
„Aber warum hat sie mir nicht gesagt, dass ich mich geirrt habe, ich meine...!"

„Weil sie, als einzige von uns nach dem lebt, was Vater gesagt hat, Tyrion!", erwiderte Jaime ihm ruhig, wenn auch mit einem leisen Hauch von Wehmut in der Stimme, bevor er sich aus seinem Stuhl erhob.
„Wie Vater immer sagte: Wenn etwas geschieht lass es geschehen und widersprich nicht, wehre dich nicht und wenn es dir noch so unrecht erscheint!"
Er seufzte kurz, dann wandte er sich um, um das Tablett mit ihrem gemeinsamen Abendessen aus der Küche zu holen und sich zu Cersei zurückzuziehen.
„Sie hätte besser daran getan ihn zu ignorieren, wie wir beide!", schoss es Tyrion durch den Kopf, während er sich wieder über seine Bilanzen beugte.

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