Kapitel 1 - Arya

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„Arya, komm aus dem Koffer raus!"
„Aber Mum...!"
„Sofort, junge Dame!"

Mit einem Seufzen machte Arya Stark sich daran den Reisverschluss der großen Tasche von innen wieder zu öffnen, auch wenn sie wusste, dass sie nichts erwarten würde, als die vorwurfsvollen Blicke ihrer Mutter und allenfalls noch das schadenfrohe Grinsen ihrer älteren Schwester.
„Was soll dieser Unsinn, junge Dame?"
Arya strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und blickte hoch, direkt in die blauen Augen ihrer Mutter, auch wenn diese normalerweise wärmer aussahen.
Und Catelyn Stark hielt auch nur selten die Arme so verschränkt... das tat sie, wie Arya wusste, nur, wenn wirklich jemand etwas ganz furchtbares angestellt hatte... und das betraf meist, wie sie zugeben musste, sie.

„Ich will mit Dad mit!", erklärte sie laut, auch wenn sie merkte, dass es keinen Sinn hatte. Spätestens in dem Moment, als sie sich die Mühe machte niedlich und reuig auszusehen und ihre Mutter aus großen Augen anzublicken, etwas, was Catelyns Mutterherz normalerweise immer erweichte und ihre Mutter trotzdem nicht lächelte,
„Wir hatten diese Diskussion bereits, Arya! Und du hast dir selbst zuzuschreiben, dass du...!"
„Das ist gemein! Rickon darf auch mit!"

Ihre Mutter ließ sich mit einem Seufzen aufs Bett sinken und zog eine Spange aus ihren Haaren, die sie eigentlich zurückhalten sollten.
„Rickon hat aber auch nicht das Haus von Mr. Baelish mit Eiern beworfen, Arya!", erklärte sie mit aller Ruhe, die jemand aufbringen konnte, der seit vier Uhr nachts auf den Beinen war.
„Dein Vater leitet die Polizei in unserer Stadt! Kannst du dir vorstellen wie unangenehm es ihm war herauszufinden, dass du das getan hast!"

„Und alles nur, weil die dumme Kuh gepetzt hat!", knurrte Arya leise und trat nach einem Hemd auf dem Boden, das sie als ‚nicht unbedingt notwendig' aus dem Koffer ihres Vaters geworfen hatte.
Eigentlich war das alles nur Sansas Schuld!
Wenn ihre Schwester sie nicht gesehen hätte, als sie spät nachts mit Eierflecken nach Hause gekommen war...

„Na na, Arya, redet man so über seine Schwester?"
Ned Stark betrat das Schlafzimmer mit einem Lächeln.
Ein Lächeln, das nicht einmal erlosch, als er die Unordnung aus Hemden und Hosen und Angelhaken auf dem Boden sah, dass seine Tochter für nicht lebensnotwendig beim Campen erachtet hatte.
„Das ist gemein, Dad! Ich will mit dir und Rickon und den anderen campen gehen! Hier gibt es nichts!"
„Ach Arya...!"

Ihre Vater ließ sich mit einem Seufzen auf das Bett sinken und blickte sie lange an.
„Wenn es nach ihm ginge, dann würde er mich bestimmt mitnehmen!", dachte Arya, doch allein ein einziger Blick in die Richtung ihrer Mutter ließ sie verstehen, dass es keinen Sinn hatte sich bei ihrem Vater einzuschmeicheln.

„Es gibt sicher auch viele andere schöne Dinge, die du hier machen kannst, Arya!", erklärte ihr Vater ihr, wohlweißlich auslassend, was für Dinge es waren, die man in Westeroy Valley, Westeros County, Georgia, zweieinhalb Autostunden von Atlanta, aber nur wenn man alle Geschwindigkeitsbeschränkungen vernachlässigte, machen konnte.
„Nichts kann man hier machen, Dad!", beschwerte Arya sich mit einem weiteren Tritt, dieses Mal gegen das schwere, hölzerne Bett, auch wenn sie im Augenwinkel erkennen konnte, wie der Mund ihrer Mutter sich noch ein wenig mehr verzog.
„Drei Monate Ferien und du bist mit deinen Pfadfindern weg und ich hab nichts zu tun!"
„Du könntest mit Sansa...!"
Ihre Vater verstummte, spätestens begreifend, dass seine Tochter alles andere als begeistert von der Idee war, Zeit mit ihrer großen Schwester zu verbringen.
„Ich hasse Sansa!"
„Nicht in diesem Ton, junge Dame! Du... naja, du könntest... du könntest deiner Mutter in der Bäckerei helfen! Das hat dir doch früher immer solchen Spaß gemacht!"
„Das ist auch nur was für Sansa!"

Arya verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie mochte immer noch klein genug sein, um in den großen Campingkoffer ihres Vaters zu passen, aber sie war immerhin 10 Jahre alt und damit alt genug, um mit ihrem Vater, Bruder und den anderen Pfadfindern Kanu zu fahren oder im Wald zu campen oder Lagerfeuer zu machen...
„Das ist so gemein, Dad! Ich möchte auch mit euch klettern und Kanu fahren und mit einem Hinterwäldler Gitarre spielen...!"
„Arya, woher...?"
„Sie hat in der Tür von Robb und Jon gestanden!", erklärte Catelyn ihrem Mann mit einem bitteren Lächeln, nicht besonders begeistert darüber, dass ihre älteren Brüder Arya in Filme einweihten, die nicht mal im entferntesten...

„Vielleicht gibt es hier in der Stadt ja auch was Neues zu entdecken!"
Er stand auf und blickte demonstrativ aus dem Fenster, während Arya gelangweilt überlegte, ob sie vielleicht in den Kofferraum passen würde.
Wenn sie sich ganz klein machte und die Decke immer noch da lag, wo sie lag, seit das Frostschutzmittel im Kofferraum ausgelaufen war...
„Schau mal, gegenüber von uns eröffnet doch dieses kleine Cafe! Sieht so aus, als wäre es in den nächsten Tagen so weit!"
„Toll!", gab Arya gedehnt zurück.

Was genau hatten ihre Eltern denn nicht daran verstanden, dass sie sich nicht darum kümmerte, wie irgendein blödes Kuchencafé eingerichtet war, wo man Teller bekam und Gabeln und eine Serviette und ordentlich essen musste, so wie Sansa?
Sie wollte in den Wald!
Und nicht ewig zu Hause sitzen und ihrer Schwester dabei zuhören, wie sie über die Einrichtung ihrer Nachbarn sprach.

„Und außerdem sind die Lannisters gruselig, Dad!", ergänzte sie mit einem triumphierenden Blick.
„Und was passt dir jetzt schon wieder an den Lannisters nicht?"
Mit einem tiefen Seufzen wandte ihr Vater sich um und in seinen Augen und dem kurzen Nicken zum Auto in der Einfahrt, das eigentlich nur auf den Koffer wartete, den er schnell hatte holen wollen.
Doch hätte er ahnen können, welches Drama sich derweil in seinem Schlafzimmer abspielte?

„Naja, sie... immer sind alle Fenster dicht! Lommy aus der Schule sagt, dass sie da drin einen Zwerg eingesperrt haben und der darf nie raus, damit er die Familie nicht blamiert und...!"
„Also erstmal, Arya", setzte nun ihre Mutter an, „ bezeichnest du Mr. Tyrion nicht als Zwerg!"
„Aber Lommy hat gesagt...!"
„Und zweitens...", fuhr ihre Mutter unbeirrt fort, „ solltest gerade du wissen, dass er durchaus nach draußen kann! Niemand wird hier eingesperrt! Die Lannisters leben allgemein nur etwas zurückgezogen und abgesehen davon siehst du ihn oft genug in der Stadt!"
„Du meinst wohl in Stannis Absteige...!"
„Arya, solche Wortwahl nicht...!"

„Jetzt wo wir das geklärt haben, kannst du die Lannisters doch sicher soweit akzeptieren, dass du ihr Haus nicht auch noch verunstaltest, oder Arya?", unterbrach Ned das Gezänk seiner beiden Frauen.
Er hatte sich inzwischen daran gemacht die Sachen wieder einzusammeln, die Arya auf dem Holzboden verteilt hatte.
Für einen verschwindend kurzen Augenblick hatte er noch gehofft seine Frau würde ihm dabei helfen, doch die war mit der Erziehung ihrer jüngsten Tochter genug gefordert.

„Und außerdem haben sie Bran umgebracht!", schrie Arya ihm beinahe entgegen, eine Hand auf seine gelegt, als er den Koffer gerade nehmen wollte, den flehendsten Blick in den Augen.
„Arya, sie haben ihn nicht umgebracht! Er ist vom Dach gefallen, weil er verbotenerweise auf ihrem Haus herumklettern musste und hat sich ein Bein gebrochen als er gefallen ist! Mr. Lannister hat sofort einen Arzt gerufen und...!"
„Und was war das mit Lady?"
„Es reicht jetzt, Arya!", mischte sich ihre Mutter wieder ein, doch Arya dachte gar nicht daran, still zu sein.
„Sie wollten Lady ganz sicher umbringen! Nur weil unsere Hunde manchmal in ihren heiligen Hinterhof gelaufen sind! Und ihr tut so, als wäre überhaupt nichts passiert und...!"

„Erstens Mal, Arya, wären die Hunde gar nicht in ihren Hinterhof gekommen, wenn du nicht immer das Tor aufmachen würdest, um unsere Nachbarn zu ärgern!", setzte ihre Mutter nun an, dieses Mal mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ.
„Und zweitens haben sie Lady nicht vergiftet, die hat einen herumliegenden Knochen gefressen! Und das hätte alles noch viel schlimmer ausgehen können, wenn Mr. Lannister sie nicht sofort zum Tierarzt gefahren hätte und...!"
„Und dabei drei Strafzettel bekommen hätte, einen für Telefonieren am Steuer, einen für Geschwindigkeitsübertretung und einen, weil der Hund nicht angeschnallt war! Glaub mir, Arya, der ist gestraft genug!"

„Aber er wollte sie wirklich umbringen!"
Arya baute sich vor ihren Eltern auf und stellte die Arme in die Seiten.
„Lady hat noch nie Knochen gefressen! Sie tut sowas nicht! Das hat sie noch nie getan! Sie haben sie bestimmt vergiftet und dann...!"
„Es reicht jetzt, Arya!"
Die Stimme ihrer Mutter war ruhig, aber so bestimmt, dass Arya es nicht wagte zu widersprechen.
„Ganz egal was die Lannisters getan oder nicht getan haben, aber deswegen lasse ich dich nicht mit deinem Vater mitgehen! Und dein Vater ist genau derselben Meinung...!", ergänzte sie streng, als ihr Mann die Stimme erheben wollte. „Und jetzt gehst du nach unten und sagst deinem Bruder auf wiedersehen oder du gehst auf dein Zimmer!"

„Das ist unfair!"
Arya streichelte das Fell ihrer Hündin Nymeria, die nur ein leises, zustimmendes Fiepen von sich gab, bevor sie sich auf die von der Frühsommersonne gewärmte Steintreppe sinken lies, die in den Garten führte.
Natürlich war sie nicht auf ihr Zimmer gegangen, aber sie hatte auch nicht Rickon auf wiedersehen sagen wollen, der die nächsten Wochen und Monate mit ihrem Vater durch den Wald streifen würde und all die lustigen Dinge tun würde, die Pfadfinder nunmal taten und ihr würde er höchstens eine eilige dahingeschmierte Postkarte schicken, die sie dann auch noch entziffern musste.
„Warum musste Sansa auch...!" „

Hey, Sheriff!" Sie drehte sich nicht um, auch wenn sie wusste, dass es ihr Vater war, der näher kam.
"Arya, du musst verstehen...!"
„Geh weg!", knurrte sie leise, zog Nymeria demonstrativ an sich.
„Geh doch mit Rickon und den anderen in den Wald! Ich komme auch gut allein zurecht...!"

„Das will ich meinen!"
Sie hörte das Lächeln in der Stimme ihres Vaters und noch bevor sie sich zu ihm umwenden konnte spürte sie, wie ihr etwas auf den Kopf gesetzt wurde.
Sie musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass es der alte Cowboy-Hut ihres Vaters war... der, den ihre Mutter so ungern im Haus hatte und von dem Sansa immer behauptete er sei peinlich.
„Ich brauche doch jemanden, der hier in meiner Abwesenheit die Stadt in Ordnung hält, ja?"
„Ja?"
Arya blickte ihn unsicher hinter niedergeschlagenen Wimpern an.
„Du weißt schon, eine junge Dame, die für Gerechtigkeit sorgt, über das Recht wacht, die Schwachen beschützt...", er lächelte ihr zu.
„Selbst dann, wenn sie den Namen Lannister tragen!"
„Aber die Lannisters wollten Lady wirklich...!"
„Arya...!"

Sie verstummte unter der strengen Stimme ihres Vaters, wenn auch nur für einen Augenblick.
"Ich werde ganz sicher einen Beweis finden, Dad!", erklärte sie, eine Hand an der Krempe des Hutes.
„Ich werde euch allen beweisen, dass sie Lady umbringen wollten!"
„Siehst du, dann hast du doch eine Beschäftigung gefunden!", grinste ihr Vater ihr zu, bevor er sich am schmiedeeisernen Treppengeländer wieder hochzog.
„Und wenn ich zurückkomme, dann kannst du mir deine Ermittlungen vorlegen, Hilfssheriff!"
„Darf ich auch mit deinem Revolver...!"
„Arya...!", setzte er an, sprach nicht zuende, sondern strubbelte ihr nur mit einer Hand durchs Haar und dennoch schwangen die Worte ‚übertreib es nicht' deutlich mit.
„Och mann...!", murrte Arya leise, doch selbst dieser kleine Rückschlag konnte das Lächeln nicht von ihrem Gesicht wischen, als sie ihren Vater zum Abschied umarmte

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