Kapitel 9 ~ Fragen

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PoV Wrench

"Fass das nicht an." knurrte ich bestimmt zum vierten Mal innerhalb der letzten fünf Minuten.
Lyn war sehr neugierig. Er fasste einfach alles im Zelt an und hatte schon fast Blaze Kamera kaputt gemacht.
"Ich kenne das alles hier drinne gar nicht. Was ist das alles?" Ich seufzte und nahm ihm den Akkuschrauber aus der Hand, den ich aus Einzelteilen zusammengesetzt hatte.
"Hör zu, Lyn. Ich verstehe deine Neugierde. Wirklich. Aber wir müssen jetzt erst alles zusammenpacken und einen neuen Standort auswählen. Nach dem Überfall können wir nicht so nah an der Stadt bleiben. Danach kannst du alles fragen, was du willst, okay?" Lyn nickte und setzte sich auf den Hocker neben meinem Bett. Morgen wollten wir aufbrechen und ich hatte noch einiges abzubauen. Und ein paar Stunden schlaf wären auch ganz angenehm, immerhin würden wir morgen einige Stunden am Stück laufen.
"Wieso suchst du nicht Lena? Sie hilft Blaze draußen mit den Bambus." Eigentlich wollte ich ihn nur aus meinem Zelt haben. Er lenkte mich ab. Ständig folgten mir seine Augen überall hin, beobachteten jeden Schritt und jeden Handgriff, den ich machte. 
"Nein danke." Ich unterdrückte ein gereiztes Knurren und drehte mich wieder zu ihm um. Natürlich strahlte er absolute Ruhe aus, er konnte ja sonst nichts fühlen.
"Dann hilf mir wenigstens. Räum die Bücher in die Kiste und dann in den Karren draußen." Lyn nickte und folgte wortlos meinen Anweisungen. Ungefähr drei Sekunden.
"Das ist ein Buch über Genetik." Ich verdrehte die Augen.
"Du kannst lesen, herzlichen Glückwunsch." Lyn runzelte die Stirn und musterte mich.
"Es heißt, die Wilden können nicht denken, seien brutal und ungebildet. Aber die menschliche Biologie ist nicht so einfach zu verstehen. Wenn das deine Bücher sind, wie kann es sein, dass alle sagen, ihr wärt dumm, wenn du doch offensichtlich übermäßig intelligent bist?" Während Lyn redete sah ich ihm in die Augen und legte den Kopf schief.
"Lyn, weißt du, wo Kinder herkommen, wenn sie nicht im Reagenzglas gezüchtet werden?" Lyn öffnete den Mund um zu antworten, aber es kam kein Ton raus und jetzt wirkte er leicht verunsichert.
"Nein. Das weiß ich nicht." Ich legte das Handtuch, welches ich gerade in der Hand hatte weg und trat einen Schritt auf Lyn zu.
"Und hast du dich nie gefragt, wie wie Wilden uns vermehren? Oder die Menschen generell, bevor es die Utopien gab?" Obwohl Lyn noch keine Gefühle wahrnehmen konnte, sah er regelrecht erschüttert aus.
"Nein. Das hab ich mich noch nie gefragt, aber du hast recht. Wieso hab ich mir noch nie diese Frage gestellt? Es ist doch so offensichtlich, dass es noch was geben muss." Ich lachte auf und nahm ein dickes, rotes Buch aus dem kleinen Regal.
"Hier. Falls es dich interessiert, da steht alles drinne." Lyn griff nach dem Buch und drehte es in seiner Hand. Ohne drüber nachzudenken, legte ich eine Hand an seine Wange und zwang ihn, mich wieder anzusehen.
"Keine Sorge. Die Utopien sind gut darin, den Leuten so im Geist herum zustochern, dass man keine Fragen stellt. Du bist nicht der Einzige."
Lyn sah mich mit großen Augen an und wenn ich es nicht besser wusste, würde ich sagen, er hatte Tränen in den Augen. Tränen der Entrüstung. Als würde er gerade sein ganzes Leben in Frage stellen. Aber vermutlich, war das auch so.
Wenn man die Pillen nicht täglich nahm, ließ die Wirkung schnell nach. Und wenn sie diese immer noch um sieben beim Frühstück bekamen, war Lyns Dosis in fünf Stunden abgeklungen.
Dann würde der richtige Spaß anfangen. Lyn war nicht der erste Utopier, der sich uns anschloss. Und wenn es mit den Gefühlen erst richtig losging, waren Tränen und Wutanfälle an der Tagesordnung.
Erst jetzt nahm ich meine Hand von seiner Wange.
Sie kribbelte.

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