Kapitel 3 ~ Gedanken

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PoV Lyn

Nach der Schule fuhr ich auf direktem Weg zu meiner älteren Schwester. Sie wohnte nur wenige Häuser weiter und trotzdem hatte ich das Gefühl, ich sah sie zu selten. Mit zwanzig zogen wir mit unserem Partner zusammen und damit von zu Hause aus. Das war jetzt zwei Jahre her. Lena und ich hatten immer ein gutes Verhältnis und es hatte mir nicht gefallen sie gehen zu lassen, aber so waren nunmal die Regeln. Ich durfte mit meinen siebzehn Jahren also noch drei Jahre zu Hause leben.
Beim Haus meiner Schwester angekommen, klopfte ich einmal kurz und wartete, dass sie die Türe öffnete.
Kurz danach ging die Türe auf und meine Schwester lächelte mich an. Sie trug ein knielanges, weißes Kleid und hatte die schwarzen Haare zu einem Zopf zurückgebunden. Meine kleine Schwester Lina und ich stammten aus dem selben Reagenzglas, weswegen wir de selben blonden Haare und braunen Augen hatten. Luna hingegen kam aus einem anderen. Deswegen hatte sie schwarze Haare und grüne Augen. Es gab die Regel, dass nur zwei Kinder aus einem Reagenzglas hergestellt werden durften. Luna arbeitete auch nicht in der Forschung wie ich bald, oder wie Lina es tun würde, sondern als Lehrerin für Mathe und Englisch.
"Lyn. Schön dich zu sehen." Sie lächelte mich an und drückte mich kurz an sich.
"Ich freu mich auch." Sie winkte mich rein und ich betrat das Haus, was aussah, wie jedes andere. Weiße Wände und ebenfalls weiße oder hellbraune Möbel.
Mir gefiel es nicht, dass ganze weiß erdrückte mich. Es gab so schöne Farben.
"Iss mit mir." forderte meine Schwester mich auf uns zusammen setzen wir uns an den Tisch.
"Mein Mann kommt erst heute Abend von der Arbeit, er isst dort. Du kannst seine Portion haben." Luna schon das Tablett mit dem Mittagessen zu mir rüber. Es war zwei Uhr, die Schule endete immer um eins. In einer Stunde war noch Sport, dann hatte ich den Rest des Tages frei.
Während ich meine Schwester musterte, fragte ich mich, welche andere Person aus dem Reagenzglas meiner Schwester stammte. Sie war die einzige Person in dieser Utopie, die schwarze Haare hatte. Alle anderen waren blond oder hellbraun. Auch grüne Augen waren selten. Niemand hier sah aus wie sie. Ich fragte mich, wieso?
"Schmeckt es dir nicht?" fragte Luna besorgt und legte ihre Gabel weg.
"Es schmeckt alles gleich." murrte ich leise vor mich her und stocherte in den Nudeln herum.
"Wie bitte?" Scheinbar hatte Luna mich nicht verstanden.
"Nichts. Entschuldige." Luna griff über den Tisch nach meinen Händen und sah mich an.
"Lyn, du kannst mir mir über alles reden. Egal, was es ist. Okay?" Ich nickte und entzog ihr meine Hände.
Plötzlich hatte ich keinen Hunger mehr. Was war das?

PoV Wrench

"Oh, da ist er schon. Sieht ein wenig wütend aus." gab ich bemüht ernst von mir, während Blazes Vater mit verzogenen Gesicht auf uns zu kam. Im Hintergrund sah ich, wie unsere Stammmitglieder ihre Zelte zusammenpackten. Offenbar zogen wir weiter. Das taten wir immer, wenn wir nicht mehr genug Nahrung für alle finden konnten. Es war ja nicht so, dass wir gar nicht an die anderen dachten.
"Ich kann euch beiden nichts vorschreiben, dass ist mir bewusst. Das will ich auch gar nicht. Ich bitte nur darum, dass ihr euch bei mir abmeldet. Wenn nicht, weiß ich nicht, wann ich wieder mit euch rechnen kann und das nächste Mal werden wir ohne euch weiterziehen, wenn es sein muss." knurrte Ivan uns an und verschwand dann wieder zwischen den Zelten.
Ein mir bekanntes Bild. Wir blieben selten länger als ein paar Monate. Etwa zwanzig Zelte, die wir aus Leder und Wolle hergestellt hatten, dienten als Behausung, Wasserleitungen aus Bambus lagen verteilt über den Boden  und im Zentrum war eine große Feuerstelle, wo das Wasser erhitzt, beziehungsweise gekocht wurde und Essen zubereitet werden konnte. Diese Konstruktion hatte ich letzten Sommer mit Blaze zusammen gebaut, um das ständige Wasserschöpfen zu umgehen.
Im Moment arbeitete ich an einem kleinen Gerät, dass durch Reibung Strom erzeugen sollte, damit wir wenigstens abends Lampen hatten. Leider erwiesen sich Glühwürmchen als nicht sehr effektiv.
"Stell dir mal vor, wo wir jetzt wären, wenn es den großen Krieg nicht gegeben hatte. Wahrscheinlich säßen wir jetzt in einem schönen Sessel am Kamin und würden dieses Kaffeezeug trinken." nuschelte Blaze und ich lachte kurz auf.
"Wahrscheinlich. Aber es wäre auch ziemlich langweilig."
Blaze und ich kannten uns dank einiger Bücher ganz gut mit der alten Welt aus.
Auch wenn die Vorstellung von Flugzeugen seltsam war. Ich hatte noch nie eines gesehen.
Tatsächlich wüsste ich theoretisch wie man eins baute, ein solches Buch war eines meiner ersten gewesen und ich hatte es unzählige Male gelesen.
Nur leider fehlte es an Ressourcen und Möglichkeiten.
Die eine Hälfte der Welt war aufgespalten in Utopien und uns, die andere Hälfte, so gut wie unbewohnbar. Und das alles nur wegen des großen Krieges 2104.
Genervt von meinen Gedanken fuhr ich mir durch die schwarzen Haaren.
Jetzt mussten wir erstmal packen.

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