Kapitel 8 ~ Emotionen

115 16 0
                                    

PoV Wrench

Skeptisch beobachtete ich die fünf Utopier am Feuer. Sie hatten sich alle zusammen gesetzt und flüsterten nur miteinander. Lena sah zwischendurch zu uns herüber, kam aber nicht.
Heute grillten wir einfach. Also wie meistens. Ivan hatte zusammen mit ein paar anderen gejagt und Kräuter gesucht, sodass wir jetzt ein Schwein mit Kräuter eingestrichen hatte und über dem Feuer brieten. Die Innereien wurden an die Hunde von Rita verfüttert und aus den Knochen schnitzten wir Nadeln, Messer und ähnliches. Wir konnten es uns nicht leisten etwas zu verschwenden.
Und obwohl es für uns fast schon ein Festessen war, sahen drei der fünf Utopier missbilligend durch die Gegend. Lena aß etwas und ihr Bruder ebenfalls, wenn auch etwas zögerlich.
Ich trank ein Schluck Wasser und ging zu ihnen hin. Der Junge, der zu Beginn schon gemeckert hatte, spannte sich sofort an und drehte sich demonstrativ weg. Lena stattdessen lächelte und rückte ein Stück zur Seite, damit ich mich setzten konnte.
"Hey. Das Schwein ist gut." Ich nickte nur und bemerkte, wie Lyn mich ansah.
"Du hast auch davon gegessen. Nicht das, was du gewohnt bist, oder?" fragte ich nach und es interessiere mich wirklich.
"Naja. Das Essen in der Utopie ist abwechslungsreich und gesund. Aber es schmeckt alles irgendwie gleich. Das hier schmeckt im Gegensatz richtig intensiv. Ich finde es gut." Überrascht sah Lena ihren Bruder an und ich zog die Augenbrauen hoch. Lyn schien etwas offener zu sein als erwartet.
"Es freut mich, dass es dir schmeckt. Lena, wenn wir euch morgen zurückbringen-" fing ich an zu reden und faltete die Hände über dem Schoß, aber die Angesprochene unterbrach mich.
"Ich will nicht zurück." Sowohl ich, als auch Lyn und die anderen Utopier sahen überrascht auf. Wahrscheinlich war es für sie unbegreiflich zu verstehen, warum jemand ausgerechnet hier bleiben wollte. Wo die sichere Utopie doch kaum einen Katzensprung entfernt war.
Aber ich musste bei Lenas Aussage lächeln.
"Ich habe dir damals schon gesagt, dass bei uns immer ein Platz für dich ist. Und das ist auch heute noch so. Ivan würde sich sehr freuen." Lena lächelte und stand auf um mich zu umarmen. Soweit kam es allerdings nicht, denn Lyn stand ebenfalls auf und stellte sich zwischen uns.
"Du willst mich alleine lassen?" Seine Stimme klang nicht traurig oder verletzt. Eher so als würde er eine Tatsache hinterfragen. Wie sollte er auch solche Emotionen wahrnehmen können? Diese Pillen verhinderten es pausenlos. Aber Lena nahm sie nicht. Nicht mehr. Weswegen ich Tränen in ihren Augen aufsteigen sah. Als sie die Hände ihres Bruders ergriff, trat ich einen Schritt zurück. Das war ein Moment zwischen den beiden.
"Lyn. Damals warst du noch ein Kind. Ich wollte dich nicht alleine lassen. Aber jetzt kannst du dich selber entscheiden. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass es noch so viel mehr auf dieser Welt gibt, als das was wir kennen. Es gibt so aromatische Geschmäcker, wunderschöne Landschaften, Tiere, welche direkt aus deinen schönsten Träumen entspringen. Und Gefühle. Das Kribbeln der Angst oder die Versenkung der Wut. Das Beißen der Eifersucht.
Du hast nicht gelebt, bevor du nicht einmal den Schmerz und die Sehnsucht der Liebe gespürt hast. Ihre Anziehungskraft, die die Schwerkraft überwindet und zwei Seelen zu einer macht. Und die Trauer, die sie wieder in zwei reißen kann. All diese Dinge wirst du darin niemals erfahren." Lena deutete auf die weißen Mauern mit der Kuppel drauf, die man am Horizont erahnen konnte.
Das Lager war verstummt. Alle lauschten Lenas Worten, den selten sprach einer von uns auf diese Art über Gefühle. Für uns waren sie selbstverständlich.
"Sieh dir diese Leute an, Lyn. Hast du sowas schon mal bei uns gesehen? Dieses unbeschwerte zusammensitzen, Spiele spielen, zusammen lachen und sich Geschichten erzählen. Das ist das wahre Leben. Das Leben, welches ich will. Natürlich ist es hier gefährlicher als dort drinne. Aber ich würde meine Sicherheit jederzeit für die Schönheit und Vollkommenheit des Menschsein geben. Und ich bitte dich, diese Erfahrung ebenfalls zu machen. Bleib hier. Wenigstens eine Weile. Wenn es dir nicht zusagt, kannst du zurück. Was sagst du?" Lena drückte Lyns Hände, während alle gespannt auf seine Antwort warteten. Lenas Augen leuchteten hoffnungsvoll.
Sogar ich war neugierig, denn Lenas Ausbruch an Emotionen hatte sogar etwas in mir berührt. Dann löste Lyn endlich das Schweigen.
"Ja. Ich will bleiben."

Behind the Wall Where stories live. Discover now