Zwei Phönixe

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Als Albus ins Zimmer stürmte, war es schon fast zu spät: Ariana saß auf ihrem Bett, die Knie angezogen und wiegte ihren Oberkörper apathisch hin und her. Ihre Augen hatten sich tief in die Höhlen zurückgezogen, wie kleine leuchtende Punkte in der Schwärze, und unheilvolle Materie drang wie in pulsierenden, dröhnenden Wellen aus ihrem Körper in den Raum.

ARIANA!", rief Albus entsetzt.

Er verzauberte den Wecker neben ihrem Bett, sodass er die Melodie des Wiegenlieds ihrer Mutter zu spielen begann. Jenes Lied, das sie gesungen hatte, als Ariana den furchtbaren Anfall während ihrer Geburtstagsfeier erlitten hatte. Albus kannte den Text nicht, doch er hoffte inständig, dass die Melodie ausreichen würde, diesen Schrecken ein weiteres Mal zu bannen – und tatsächlich schienen die dunklen Wellen, die in den Raum gedrungen waren, beim Klang der Melodie einen Moment zu erstarren.

Dann schrie Ariana auf, und eine Attacke schwarzer Energie – wie von einem Unterdruck befreit – schoss Albus entgegen.

„Protego horribilis!", rief er gerade noch rechtzeitig und schirmte sich mit einer weißstrahlenden Schutzwand ab.

„Ariana, ich bin hier!", rief Albus und bahnte sich hinter seiner Barriere, die ihn nun wie ein Ball aus Licht umgab, den Weg zu ihrem Bett. Die dunkle Materie bildete einen Kokon um Ariana herum, als wolle sie sich an ihren Wirt klammern.

Für einen Moment sah er Arianas Gesicht darin, blass wie der Tod vor Entsetzen. „Al, hilf mir", hauchte sie, bevor sie der Schatten wieder verschlang. Albus schlug das Herz bis zum Hals.

Ich muss sie in den Kreis ziehen – aus der Dunkelheit ins Licht, wie Mum ...

Mit einem Satz sprang er auf das Bett, packte Ariana und zog sie mit aller Kraft zu sich.

„Du kannst es kontrollieren! Du bist stark, Ariana! Komm zu mir zurück!", rief er und schlang die Arme um sie. Hielt sie fest ... ganz fest ... seine kleine Schwester ... er fühlte ihre Angst und konzentrierte sich darauf, seine Barriere zu verstärken.

„Komm heim ins Licht, Ariana. Hörst du mich? Ariana ..."

Sein Schutzzauber verstärkte die Melodie des Weckers, bis sie den ganzen Raum erfüllte. Die dunkle Materie bäumte sich erneut auf, doch nun, da Albus Ariana umfasst hielt, fehlte ihr die Kraft, um erneut zu attackieren. Sie zerfiel und verschwand aus dieser Welt, wie von einem unheiligen Sog gepackt.

Die Melodie des Wiegenlieds verklang, und eine unwirkliche Stille trat ein.

Albus hielt seine Schwester weiter umschlungen.

„Du zitterst, Al", sagte Ariana.

Er erwachte wie aus einer Trance und merkte, dass er die Barriere immer noch aufrechterhielt. Als er den Zauber und seine Umarmung löste, wurde ihm einen Moment schummrig vor Augen, und er sackte entkräftet neben Ariana in die Kissen.

„Oh Merlin!", stöhnte er und hielt sich zitternd die Hände vors Gesicht.

Das war knapp – oh Junge, war das knapp!

Er schämte sich. Seine Mutter hatte Ariana so viele Male aus der Dunkelheit zurückgeholt, und er war sich sicher, dass sie niemals Angst gehabt hatte, es könnte misslingen ... während er nun am ganzen Leib zitterte!

Arianas zierliche Finger umfassten seine Hände und zogen sie ihm behutsam vom Gesicht.

„Geschafft", flüsterte sie.

„Geschafft ...", wiederholte er und drückte ihre Hände.

So verharrten sie einen Moment, bis sein Zittern abgeebbt war, und er spürte, wie seine Kräfte zurückkehrten. Dann richtete er sich langsam auf und setzte sich Ariana gegenüber, wagte allerdings immer noch nicht, ihre Hände loszulassen.

„Dankeschön", hauchte Ariana, und er merkte, wie sehr sie mit sich selbst rang.

„He, du kannst nichts dafür, das weißt du doch!", versuchte er, sie zu beruhigen. „Es war meine Schuld. Wenn ich dich nicht mit diesem Zauber zur Tür hinausgedrängt hätte ... Ich wollte das nicht ..."

„Das weiß ich", flüsterte Ariana. „Ich ... hab' mich so geschämt über das, was ich beim Frühstück gesagt hab' ... und Schämen ist nicht gut."

Sie griff tastend neben ihr Kopfkissen und zog einen zierlichen silbernen Gegenstand hervor. Als sie ihn traurig zwischen den Fingern drehte, erkannte Albus, dass es eine Haarspange war. Eine wunderbar filigrane Haarspange in der Form eines Phönix.

Die hat Dad Mum geschenkt, erinnerte er sich und spürte einen Kloß im Hals.

„Ich dachte, ich könnte die hier halten und mir vorstellen, dass sie beide bei mir sind, um mich zu beschützen. Aber es hat nichts genützt, Al! Ich bin allein, ganz allein im Dunkeln ..."

„Ariana!", sagte Albus und umfasste ihre Hand, die die Spange hielt. „Wir haben uns, das darfst du nicht vergessen."

Er zog seinen Zauberstab und tippte den silbernen Phönix an: „Geminio."

Es war ein Verdopplungszauber, der eine perfekte Kopie des Schmuckstücks erschuf, sodass er nun einen identischen Phönix in der Hand hielt. Mit einem zufriedenen Lächeln beugte sich Albus vor und befestigte die neue Spange seitlich in Arianas dunkelblondem Haar.

Sie kicherte und hielt die Hand an ihre Schläfe.

„Das ist schön! Jetzt du!"

„W-was?", fragte er und ließ es aber zu, als sie ihn zu sich zog, eine rotbraune Strähne seines Haars eindrehte und mit der Spange hinter seinem Ohr fixierte.

„Hihi, schön sieht das aus!", sagte sie.

„Ach wirklich?"

„Ganz ausgezeichnet!", bestätigte Ariana und lächelte zaghaft.

Als er über den Phönix in ihrem Haar strich, kam Albus eine Idee. Er schwang den Zauberstab und sagte: „Proteus!"

Beide Phönixe erwachten für einem Moment zum Leben; synchron schlugen sie mit den Flügeln und ließen einen glasklaren trillernden Ton vernehmen, bevor sie wieder erstarrten.

„Diese Haarspangen sind nun miteinander verbunden", sagte Albus. „Ich werde meine ab jetzt immer bei mir tragen ... vielleicht nicht immer im Haar ... aber immer bei mir! Wenn es dir schlecht geht, werde ich es wissen, egal, wie weit ich weg bin – und weil sie quasi Zwillinge sind, werde ich ganz leicht zu dir apparieren können, egal, wo ich bin."

Ariana umarmte ihn. „Du passt auf mich auf."

Albus strich mit der Hand über ihren Kopf und spürte, dass ihn wieder negative Gefühle überkamen. Ja, er hatte ihre Attacke dieses Mal aufgehalten und ja, er passte auf sie auf – aber das alles war weit von dem Leben entfernt, das er geplant hatte! Gellert hatte das auf Anhieb gespürt ...

Als er zur Tür ging, rief Ariana ihn noch einmal nach ihm, und er drehte sich um.

„Es tut mir leid, was ich heute Morgen gesagt hab', Al."

„Alles gut", sagte Albus zwinkernd. „Ich werde mich in Acht nehmen vor ... geknickten Zauberstäben."

Oder vielmehr sie genau im Auge behalten, korrigierte er sich gedanklich und musste an Gellerts herausfordernden Blick denken.

Er tippte an die Haarspange, und Ariana wiederholte den Gruß, sodass sie beide ein leichtes Sirren fühlten. Dann verließ Albus das Zimmer.

Summer of '99 - Die Herren des TodesTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon