Das Zimmer ohne Bett

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Als Albus am Abend vor der Tür des Nachbarhauses stand, mit einer Ausgabe der Märchen von Beedle dem Barden unter dem Arm, überlegte er, ob der Vordereingang wirklich eine gute Idee war. Gellert hatte dieses Problem durch seinen direkten Fenstereinstieg gelöst, aber Albus war einfach kein Kletterer und hatte auch keine große Lust, sich mit irgendeinem Rankenzauber hinaufzuhelfen. Viel mehr reizte ihn der Gedanke, das Haus durch die Eingangstür zu betreten, wie ein ganz normaler Besuch und doch auf dem Weg zu einem geheimen Treffen.

Sein Herz klopfte schneller, als er die Tür berührte – und feststellte, dass sie nur angelehnt war.

Dieser Hund kann mich schon viel zu gut einschätzen für die kurze Zeit, die wir uns kennen!

Albus trat ein und schlich den Flur entlang zur Wohnstube. Er kannte sich hier aus, denn in den vergangenen Sommerferien war er oft bei Bathilda zum Tee gewesen und hatte mit ihr über die Theorien seiner veröffentlichten Artikel geredet. Er erschrak ein wenig, als er sie sah: Tief schlafend lag sie zurückgesunken auf ihrem niedrigen Diwan, als warte sie auch jetzt auf eine Plauderei mit ihm. Er trat etwas näher und sah auf dem Beistelltisch vor Bathilda ein Teeservice mit einer unberührten und einer leeren Tasse. In Letzterer erkannte er einen zusammengerollten Zettel. Erschrocken von dieser Dreistigkeit sprang er vor und schnappte sich das Pergament. Darauf stand in den bekannten, ungelenken Buchstaben:

Wenn Bathilda Bagshot diese Nachricht liest, soll sie bitt'schön Albus Dumbledore ausrichten, dass er ein elendiger Zaubertrank-Pfuscher ist. Al, wenn du das bist: Was stehst' da noch, du Damischer? Du sollst hinauf in meine Kammer, nicht etwa in den Tod!

Albus verdrehte die Augen und steckte den Zettel ein. Diese Nachricht zu hinterlassen, war eine gewagte Dummheit von Gellert gewesen und – er wusste es sehr wohl zu deuten – eine Herausforderung seiner Zaubertrankkunst!

Na warte ...!

Albus fühlte sich wie magnetisch von der engen hölzernen Treppe angezogen, die in einer Linkskurve hinauf zum oberen Stockwerk führte. Die Stufen nahm er fast überhastig und fühlte eine Vorfreude in sich aufsteigen, die kaum zu bändigen war. Oben am Absatz wandte er sich nach links und sah neben einem niedrigen Feldbett eine verschlossene Tür, durch deren Schlüsselloch fahles, blaues Licht strömte.

Er zückte seinen Zauberstab, folgte dem Schein und wollte gerade zum Türknauf greifen, als er das Zischen eines Zaubers hörte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen niedrigen Sessel frei. Darin saß Gellert Grindelwald, gekleidet in ein dunkelblaues Hemd und lederne schwarze Hosen, das rechte Bein lässig übergeschlagen, und lächelte ihm herausfordernd entgegen. In der einen Hand, die auf seinem Schoß ruhte, hielt er eine Kristallkugel, die andere zeigte mit erhobenem Zauberstab auf Albus.

„So durchschaubar", sagte Gellert mit Blick auf die Angriffshaltung seines Gegenübers. „Ist das vielleicht eine Art, sein' Gastgeber zu begrüßen?"

„Tja, wenn er seinem Gast hinterherspioniert ...", entgegnete Albus, der die Umrisse des Wohnzimmers in der Kugel erkannt hatte.

„Ich musst' einfach dein deppertes Gesicht sehen, wenn du meine Nachricht entdeckst", sagte Gellert grinsend. Er stieß die Kugel an und sie schwebte in den Raum, wobei sie den Moment, als Albus fast panisch nach dem Zettel in Bathildas Tasse gegriffen hatte, wieder und wieder zeigte.

„Ein ziemlich ungenaues Spielzeug für einen so detailversessenen Menschen wie dich", sagte Albus und merkte, dass seine Wangen glühten.

„Mitnichten", sagte Gellert. Er stand elegant auf und näherte sich Albus. „Ungenau wird's nur, wemma auf das schaut, was vor ein'm liegt. Die unmittelbare Vergangenheit und Gegenwart san völlig klar. Und wenn mal ein Gedanke stört ..." Er setzte seinen Zauberstab an die Schläfe und zog einen silbrig-blauen Faden heraus, der sich nervös kräuselte. Einen Moment hielt er ihn in der Luft, wie ein Dompteur und ließ ihn dann in der Kugel versinken. Aberforth und seine neuen Ziegen erschienen für einen Moment im Inneren und wurden sogleich von dichtem Nebel verschluckt.

Summer of '99 - Die Herren des TodesWhere stories live. Discover now