Der Raum der Wünsche

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Als Albus zur Großen Treppe gelangte, gab er jeden Versuch auf, weiter im Verborgenen zu bleiben. Obgleich die Sonne mittlerweile untergegangen war und das gewaltige Treppenhaus nun ganz im flackernden Licht vereinzelter Kerzenleuchter lag, war er sich dennoch der vielen tausend Gemälde bewusst, die mit wachsamen Augen die Wände der großen Treppe säumten.

Gellerts Rabengestalt zog nervös über ihm seine Kreise, doch Albus spürte keine Sorge in sich. Dies war so viele Jahre sein Zuhause gewesen, und er wollte sehen, ob es ihm nicht mit der gleichen Euphorie begegnete, die er seit heute Nachmittag beim ersten Anblick des Schlosses verspürte.

Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er ins Licht.

Augenblicklich begann ein Tuscheln der Portraits in seiner Nähe, doch er schritt voran, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.

„Guten Abend, Mrs. Burke, Mr. Gagwilde", grüßte er zwei ehemalige Schulleiter mit Spitzhut, die ihm vom zweiten Stock aus verblüfft entgegenblickten. So fuhr er fort mit jedem Bild, das er erkannte, und schon bald erhob sich ein andächtiges Murmeln in den Reihen der Portraits. Mit jedem Stockwerk, das er erklomm, und jeder Biegung, die er nahm, blickte er in weitere vertraute Gesichter, und sie alle, Hexen wie Zauberer, jung und alt, lächelten und nickten ihm zu.

Im allgemeinen Staunen, das er erzeugte, bemerkte niemand den Raben, der mit schnellen Flügelschlägen aufsteigende Kreise zog. Umso überraschter war Albus, als er plötzlich auf Höhe des sechsten Stocks von zwei Vogelkrallen an der Kapuze gezogen wurde.

„Was tust du?", rief er. Der Rabe krächzte alarmierend und verschwand dann mit ein paar Flügelschlägen in den Schatten unter der nächsten Treppe. Albus blickte erschrocken in die Richtung, aus der er gekommen war, und erkannte schnell den Grund für seine Aufregung: Auf dem Treppenabsatz, der hinauf zum siebten Stock führte, schwebte ein Geist. Es war der Fast Kopflose Nick.

„Sir Nicolas!", rief er und eilte erfreut die letzten Stufen hinauf. Der Hausgeist von Gryffindor begrüßte ihn, indem er seinen fast abgetrennten Kopf lüpfte wie einen Hut. Albus verbeugte sich leicht.

„Der junge Mr. Dumbledore!", rief Nick erfreut. „Ich hatte mich gefragt, was die Portraits so in Aufruhr gebracht hat. Dachte, der Zaubereiminister persönlich müsste jeden Moment heraufkommen. Aber es sind Sie!"

„Ja ... nur ich", sagte Albus verlegen. Ein Rabenkrächzen ertönte von weiter oben.

„Entschuldigen Sie", meinte Albus zum Fast Kopflosen Nick, „ich nutze ein neues Botensystem aus Deutschland" – erneutes Krächzen – „oder Österreich! Ha, das weiß man ja nie so richtig, nicht wahr?"

Er ging langsam an Nick vorbei, um dem Ruf des Raben zu folgen.

„Oh, nehmen Sie sich in Acht vor den Bräuchen deutscher Zauberer! Raben sind heimtückisch. Man munkelt, nur die schwarzmagischen Alchemisten des Kaisers können sie kontrollieren."

„Der hier ... scheint mir ganz gut geraten, aber danke", sagte Albus und setzte einen Fuß auf die Stufen der nächsten Treppe.

„Ich muss weiter, Sir, es tut mir leid. Der Rabe erinnert mich an meinen Termin mit Professor Black."

„Ach, der Schulleiter erwartet Sie, mein junger Herr? Sehr gut, sehr gut. Wissen Sie ... wir vermissen Sie hier alle ganz schrecklich. Hogwarts hatte nie einen bemerkenswerteren Schüler."

Albus warf einen Blick auf die namhaften Portraits ringsum. „Ich vermisse das hier auch alles sehr, Sir."

Er verbeugte sich zum Abschied und eilte weiter. Nick blieb auf der Treppe zurück und schwebte schließlich abwärts.

Summer of '99 - Die Herren des TodesWhere stories live. Discover now