Prolog

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Unauffällig blickte ich nach links und rechts bis ich die schmale Holztür aufzog und mich das verdunkelte Licht der zugezogenen Vorhänge empfing. Lia saß bereits im Schneidersitz auf einem der Tische des Klassenzimmers und tippte blitzschnell auf ihrem Laptop herum.

»Was haben wir?«, fragte ich meine beste Freundin neugierig und versuchte einen Blick auf Lias Laptopbildschirm zu erhaschen.

»Mary Hutson, Senior. Hat sich auf einen der Vollidioten eingelassen und sitzt jetzt weinend irgendwo bei ihren Freundinnen.« Ich lief um den Tisch herum und ließ mich auf einen der unbequemen Stühle unserer Schule fallen.

»Und wer war es diesmal?«, schaute ich fragend auf den Bildschirm von Lias Computer, auf dem das Bild einer weinenden und aus der Cafeteria stürmenden Mary Hutson zu sehen war.

Lias Finger stoppten abrupt und ich konnte sie kurz zucken sehen. Dann drehte sich meine beste Freundin zu mir herum und betrachtete mich mit ihren dunklen Augen. Ich kannte diesen Blick nur zu gut. Dieses Wechselbad der Gefühle, das sich zwischen tiefster Abneigung und arger Verzweiflung abspielte, trat nur ein, wenn es um eine ganz besondere, von uns beiden sehr gehassten Person ging.

»Oh nein, vergiss es. Ich werde mich nicht mit diesem Möchtegern-Kriminellen anlegen, der denkt, dass ihm die ganze Welt zu Füßen liegt, verstanden?«

»Aber Kasey, du bist die Einzige, die diesem Idioten mal zeigen kann, wo es langgeht«, erwiderte Lia. Ihre schwarzen Haare reichten ihr knapp unter das Kinn und ihre schmalen Augen blickten über den Rand ihrer Brille, fordernd und gleichzeitig bittend.

»Ich weiß, aber Banks spielt in einer vollkommen anderen Liga als der Rest«, erwiderte ich halbherzig.

»Und wenn schon«, drehte sich Lia schwungvoll um und hämmerte erneut auf die Tasten ein, dass ich es beinahe mit der Angst zu tun bekam.

»Irgendwann muss dieser Junge doch mal das kriegen, was ihm zusteht. Das weißt du genauso gut wie ich. Von allen Leuten hat er es am meisten verdient. Mit seiner arroganten Art, diesen dämlichen Blicken und...« Lia begann, sich allmählich in Rage zu reden und wenn das passierte, dann konnte ihr Monolog über einige Minuten hinweg anhalten und die ein oder andere Schimpftriade enthalten.

»Ok ok«, hinderte ich sie an ihrem Redeschwall. »Ich beende noch die Sache mit Johnson und dann schaue ich, ob ich Banks eins auswischen kann.« Ich konnte Lias Grinsen durch den Laptopbildschirm sehen. Sie wusste genau, wie sie das bekam, was sie wollte.

Normalerweise war es auch nicht meine Art, mich vor so einer Sache zu drücken. Aber vor Cole Banks hatte ich ein wenig mehr Respekt als vor allen anderen.

Aber um kurz überhaupt zu erklären, worum es eigentlich ging: Mein Name lautete Kasey McMillen und zusammen mit meiner besten Freundin Lia Park half ich dem Karma ein wenig auf die Sprünge - oder so ähnlich.

Vor gut einem Jahr beschlossen Lia und ich, mal mit den ganzen Fuckboys, Bitches und anderen Personen abzurechnen, die anderen Unrecht antaten und damit ungeschoren davonkamen.

Karma needs help‹. Das war unser Motto. Du bekommst, was du verdienst.
Manche sagten, dass Rache eine unnötige Sache sei und es am besten war, einfach alles über als hinwegzusehen, was einem durch andere widerfahren war. Aber wenn wir mal ehrlich zu uns selbst waren, war es einfacher, seine Wut und Enttäuschung nach außen hin zu tragen als alles wie eine ungenießbare Suppe hinunterzuschlucken. Und für Menschen, die das eben nicht so gut konnten, gab es mich und die IT-Wunderwaffe Lia.

»Du bist schlau genug, um mit Banks fertig zu werden. Du bist ja nicht umsonst die ›Rachegöttin‹«, versuchte Lia es erneut wackelte mit den Augenbrauen.

Ich verdrehte bloß die Augen. Irgendwann hatte sie sich diesen Namen für mich ausgedacht und verwendete ihn seitdem sehr gern, um mich zu ärgern oder zu provozieren. Und ohne Provokation würde ich vermutlich in diesem Fall auch nicht kooperieren, weshalb dieser Name zum Einsatz kam. Was war so anders an dieser Situation als an den anderen?

Der piekfeine Unterschied lag darin, dass Cole Banks einer der schlimmsten Kerle war, den ich je in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Er war alles, was ein Mensch an sich nicht sein sollte, um bei anderen Sympathien zu wecken:

Arrogant, selbstgefällig, kalt, unfreundlich und noch so vieles mehr, dass ich mich jedes Mal von neuem über ihn aufregen konnte. Zu allem Überfluss sah er leider auch noch ziemlich gut aus, was er nur zu gut wusste und gezielt einsetze, um Frauenherzen zu brechen.

Tagein tagaus hörten Lia und ich das Geschwärme der anderen Mädchen, wie hübsch seine meerblauen Augen seien, wie weich sein Haar und wie groß sein Bizeps wäre. Nur machten gutes Aussehen und ein ästhetischer Körper noch lange keinen guten Jungen aus.

Selbst unsere Direktorin war nicht immun gegen seinen Charme und somit entging er jeder Strafe, die ihm eigentlich zugestanden hätte, mit Leichtigkeit. Prinzipiell war er das ideale Ziel für mich und Lia, da sich keine von uns beiden von seinem Auftreten verrückt machen ließ oder irgendwelches Interesse an ihm hatte.

Nur gab es da eine Geschichte in der Vergangenheit, die mich Cole Banks hatte meiden lassen. Vor einem halben Jahr soll er in eine Schießerei verwickelt gewesen sein. Irgendwas wegen Drogen oder so. Ob die Geschichte stimmt oder nicht, wusste ich nicht, es schreckte doch in einem gewissen Maß vor Racheplänen ab.

Zumal ich ihn nur sehr schwer einschätzen konnte, da er im Gegensatz zu den meisten anderen meiner ehemaligen Ziele recht wenig über sein Leben preisgab, ein eher ruhiger Typ war - außer es ging um die Damenwelt - und abgesehen von seinen Liebeleien recht wenig Angriffsfläche bot.

»Also machst du es jetzt, oder nicht?«, fragte Lia und ihr scharfer Blick traf meinen. Ich seufzte schwer und ergab mich Lias Willen, da daran sowieso kein Weg vorbeiführte.

»Meinetwegen«, gab ich nach und auf das Gesicht meiner beste Freundin stahl sich ein überhebliches Lächeln.

»Ich wusste es doch«, grinste sie weiter und ließ mich damit die Augen verdrehen. Sie hielt mir ihre Hand hin und ich schlug symbolisch mit ihr ein. Das war schon immer unser Ritual gewesen, wenn wir jemand neuen zum Quälen auserkoren hatten.

»Darauf, dass du Cole Banks mal eine ordentliche Abreibung verpasst.« Wir hoben unsere imaginären Sektgläser, bevor Lia ihren Laptop herunterfuhr und ihn in ihre Schultasche steckte. »Und darauf, dass ich meinen Mathetest nicht komplett in den Sand gesetzt habe.« Ich lachte herzhaft auf.

»Schrecklich, wenn es nur ein A- statt A+ wird, nicht wahr?«

»Ach halt die Klappe, Kasey«, schoss Lia zurück und wir verließen den dunklen Raum.

Ob mein Vorhaben von Erfolg gekrönt sein würde, konnte ich nicht sagen. Was ich jedoch mit Sicherheit sagen konnte, war, dass eine turbulente Zeit auf mich zukommen würde.

RachegöttinWhere stories live. Discover now