»1. Die schmerzenden Möglichkeiten«

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"Und das ist wirklich okay für dich?", fragte meine Mom mit einem leicht besorgten Blick, der auf mir lag, als würde er kleben.

"Ja, Mom, ich werde schon nicht sterben... Ich bin ja nicht das erste Mal mit der U-Bahn unterwegs...", beruhigte ich sie mit sanften Nachdruck.

Ich lehnte mit einer Tasse in der Hand an dem Tresen in der Küche, in dem auch das Waschbecken eingelassen war, dessen Wasserhahn wie immer vor sich tropfte.

Vor mir stand eine hochgewachsene Frau mit dunkelblonden, kurzen Haaren in einem strengen Pagenschnitt, der sie um einiges seriöser machte, als sie war. Ihre blauen Augen funkelten kalt und schafften es trotzdem eine gewisse Wärme auszustrahlen. Sie hatte die schmalen Lippen aufeinander gepresst, was sie zusammen mit ihren zusammengezogenen Augenbrauen nicht nur besorgt, sondern um Jahre älter aussehen ließ.

Alles in einem.

Meine wundervoll chaotische Mutter.

"Ich weiß... Aber es tut mir so Leid, dass ich dich nicht richtig verabschieden kann... Und da dein Vater ja auch keine Zeit hat...", seufzte sie und stellte ihre Kaffetasse zurück neben ihr Schneidebrett, auf dem mein sehr lädiertes Brot lag. "Wie wäre es, wenn du dich mit Helena verabredest und du mit ihr zusammen zum Bahnsteig fährst? Ihr habt so lange nichts mehr miteinander gemacht, ihr wart doch so gute Freunde..."

Über mein Lächeln flog kurz ein Schatten, als ich an Helena denken musste.

"Nein... Nein, ich komm schon klar, aber Mom, du kommst zu spät..."

Sie blickte schnell zu einer Wanduhr und erschrak.

"Merlin, du hast Recht! Ich bin stolz auf dich, June... Ich liebe dich...", plapperte sie schnell, gab mir einen Kuss auf den Haaransatz, raste zum Kamin und versenkte ihre Hand dort in Flohpulver. "Du bist so schnell erwachsen geworden..."

Erneut rang ich mir ein Lächeln ab.

"Ich hab dich auch lieb, Mom. Ich schreibe dir, wenn ich angekommen bin."

Sie lächelte entwaffnend und ließ den Inhalt ihrer Hand in die Flammen fallen.

"Ministerium", sagte meine Mutter deutlich und verschwand kurz darauf in den grünen Flammen.

Mein Lächeln fiel von mir ab wie eine Maske und ein unschönes Gefühl machte sich in meinem Magen breit.

Ich hatte es zwar geschafft Helena, meine beste Freundin, in den Ferien von mir fernzuhalten, dies würde aber spätestens im Hogwartsexpress nicht mehr gelingen.

Ich konnte mir jetzt schon den vorwurfsvollen Blick sehen, der auf mir liegen würde, sobald sie mich das erste Mal am Bahnsteig sehen würde.

Abwesend stellte ich meine Tasse mit dem milchig-braunen Inhalt neben das Waschbecken und trat zaghaft in den Flur, auf einen großen Spiegel zu, der es schaffte mich von Haaransatz bis zur Zehenspitze zu zeigen, auch wenn ich nicht klein war.

Sofort strichen die Finger meiner Linken Hand meinen Arm hoch, bis sie scheu mein Shirt so weit zur Seite zog, dass der Blick auf einen von Schorf verkrusteten Biss freigelegt wurde.

Er tat nicht mehr weh und allzu schlimm sah er auch nicht mehr aus, doch die Geschichte und vor allem die Folgen dahinter, waren weitaus größer.

Jeden Monat würde ich mich für eine Nacht in ein grauenvolles Monster verwandeln, würde töten, würde jagen.

Ich betrachtete die Wunde kurz und strich mir durch das dunkelblonde Haar.

Es gab mehrere Möglichkeiten, die ich seit ziemlich genau 3 Wochen in Betracht zog.

1. Selbstmord.

Dies würde mein Problem zwar beenden, dennoch sträubte ich mich bisher ein wenig dagegen, wenn immer ich an meine Mutter dachte, die ohne mich nicht klarkommen würde.

2. Den Lebensstil eines Verstoßenens leben und frei mit der Lykanthropie umgehen.

Auch diese Möglichkeit zog mich eher wenig an, wenn ich daran dachte, wie verachtet Werwölfe in der Gesellschaft waren. Aber wahrscheinlich würde das früher oder später sowieso der Fall sein.

3. Mich verstecken solange es ging, mich von anderen abschotten und bei jedem, der fragte behaupten, es seie ein Hundebiss.

Von allen drei immer noch die, die mich am ehesten ansprach. Auf diese Weise verletzte ich Niemanden, sowohl physisch als auch seelisch, zumindest für den Rest meiner Schulzeit. Ich hatte zwar meine Freunde, aber viel würde sich ohne diese wahrscheinlich auch nicht ändern.

Ich ließ den Kragen meines T-Shirts zurück gleiten und räusperte mich mit einem Blick zur Uhr.

Am besten war es vermutlich noch, mir Leute zu suchen, dessen Gesellschaft ich zwar suchte, die sich aber nicht im geringsten um mich scherten.

Mr. Fear | RumtreiberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt