❄Sechs❄ How to escalate quickly: Lass es einfach raus

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Hoseok
~Drei Tees mit lustigen Amarettoanteil später~

Man sollte meinen sich zu betrinken ist irgendwie lustig, aber das war es wohl nur, wenn man nicht so ein menschlicher Katastrophenmagnet wie Jimin oder ich war. Doch immerhin hatten wir das Glück, dass der Scherbenhaufen meines Lebens schon längst zusammen gefegt war. Ich hatte ihn noch nicht aufgehoben, entsorgt und mir neue zerbrechliche Sachen besorgt, aber ich hatte ihn zusammen gefegt. 

Und jetzt fegten wir wohl Jimins Scherbenhaufen zusammen, denn nach drei Amaretto-Tee redete er wie ein Wasserfall und weinte an meiner Schulter. Man sollte meinen, das wäre mir irgendwie peinlich, doch das war es nicht. Ich strich ihm einfach durch die Haare und ließ zu, dass er alles rausließ. Was er mir erzählte, war auch einer Menge Tränen würdig.

"Und und und ich habe NICHTS", schluchzte er und wischte sich die Augen. "Meine 'Freunde' haben sie ausgesucht, und von denen spricht keiner mehr mit mir! Und meine Freunde aus der Studienzeit, die habe ich so sehr vernachlässigt, dass sie mich wahrscheinlich auch aufgegeben haben."
Ich sagte nichts, sondern ließ ihn einfach nur reden. Das alles hatte sich schon viel zu lange in ihm angestaut. Ich glaubte auch nicht mal, dass der Amaretto Schuld war. Der mochte seine Zunge ein bisschen gelockert haben, doch wahrscheinlich wäre er mir auch ohne Alkohol emotional eskaliert. Alles, was ich dafür hatte tun müssen, war, ihm ein offenes Ohr und eine Schulter zum Losheulen zu bieten, und so wie es aussah, war ich der erste seit Monaten, der dies tat. 

"Ich hätte nie gedacht, dass sie mich nicht lieben! Was war ich für ihn? Eine Kopie von sich selbst?!", regte er sich auf und nahm mit einem Schniefen noch einen Schluck von seinem Tee.
"An meine Zeugnisse komme ich auch nicht ran. Ich hab ihm gesagt, sie gehören mir, da meinte er, dass er meine Ausbildung bezahlt hat, deswegen sind es seine."
Er starrte in seine Tasse. 

"Was nutzt einem der jahrgangsbeste Abschluss, wenn man ihn nicht beweisen kann?", fragte er bitter. Seine Augen füllten sich mit neuen Tränen.
"Auf der Straße sind viele auch gemein zu mir, weil ich zu hübsch bin, what the fuck!"
Er trank den Tee aus und sah mich an.
"Aber all das ist gar nichts, gegen ... gegen ..."
Er schluchzte wieder. Er weinte sicher für eine gute Minute und bekam gar nicht über die Lippen, was er sagen wollte.

"... er kam auf mich zu, schaute mir direkt in die Augen und sagte", brachte er schließlich raus und sah mir direkt in die Augen.
"'Du bist nicht mein Sohn.'"
Wow, das hatte nicht mal meine Mutter gebracht. Aber dafür alles andere.
"Das hat so weh getan", wisperte Jimin, und wieder überkam ihn ein Schluchzer. Ich konnte es ihm nachempfinden. Ich war vielleicht nicht so der Typ fürs Weinen, aber gefühlt hatte ich ungefähr dasselbe.

"Ohne dich wäre ich heute erfroren", fügte Jimin noch mit einem leeren Schlucken hinzu, und auch darin zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen uns beiden. Ich hatte meinen Eltern nicht so blind vertraut und daher vorgesorgt. Als dann also alles in die Brüche ging, konnte ich auf eigenen Beinen stehen. Und mehr noch: Als meine Mutter Krieg haben wollte, da hatte sie ihn auch bekommen. Ich war eigentlich sehr freundlich, aber wenn man sich mit mir anlegte und mich erst einmal gegen sich aufgebracht hatte (was ziemlich dauerte), dann lernte man, dass ich in mir eine gewisse Dunkelheit hatte, und ich schreckte nicht davor zurück, sie zu nutzen.

 Wenn es darum ging, dann war ich ganz. ihr. Sohn.

Ich weiß nicht, ob das gut war. Wahrscheinlich nicht, denn wir hatten uns gegenseitig so sehr verletzt, dass es wahrscheinlich nie mehr zu kitten sein wird. Doch sie hatte, weiß Gott, angefangen und ich war nun mal nicht der Typ, der sich alles gefallen ließ. Nicht so wie Jimin. Jimin war viel zu lieb. Er vertraute. Er war optimistisch. Und er war zurückhaltend. Lieber steckte er ein, als zurückzuschlagen. Er war so unschuldig und liebenswert, weich und konfliktscheu. Er wollte niemanden verletzen. Er war so ein richtiges Baby.

Je mehr er erzählte, desto mehr wollte meine dunkle Seite ihn beschützen.

Ich hob den Arm, an dem Jimin lehnte, wodurch er abrutschte und mit dem Kopf auf meinen Oberschenkel glitt. Ich fuhr ihm sacht durch die schwarzbraunen Haare und sah ihn an. Er war wirklich ausgesprochen hübsch, das war ein  Fakt, den mein schwuler Hintern für einen Moment nicht ignorieren konnte. Die zarte Röte, die sich auf seinen Wangen bildete, passte meiner Meinung nach zauberhaft in sein Gesicht. Die rotgeweinten Augen dafür so gar nicht. Es wurde Zeit, dass jemand diesem kleinen Engel erklärte, was er zu tun hatte.

"Du bist viel zu lieb, Jimin", sagte ich und strich ihm mit dem Daumen zärtlich über die Wange, bevor ich ihm ein paar Haare aus der Stirn strich. Er schien ganz abgelenkt von meinen Zuwendungen, zumindest hatte er aufgehört zu weinen.

"Ist dir denn gar nicht bewusst, dass du deinen Vater völlig in der Hand hast?"

Er schüttelte den Kopf und schenkte mir einen fast schon scheuen Blick aus seinen rehbraunen Augen. Ich wischte ihm die Tränen weg. Er zog seine schreipinke Kuscheldecke noch einen Deut höher und hickste. Wenn es nicht so unglaublich traurig wäre, dann wäre das schon wieder süß. "E-es tut mir leid, dass ich dich vollheule ... ich ... denke jetzt gerade erst das erste Mal darüber so doll nach", stammelte er verlegen.
Ich nickt nur und fuhr mit meinen Getatsche fort. Man möge mir verzeihen, aber ich mochte das Gefühl seiner weichen Haare ein bisschen zu sehr, und auch Jimin schien es zugefallen. Also war es eine Win-Win-Situation oder nicht?

Auf jeden Fall war das, was er sagte, ja auch in etwa das, was ich vermutet hatte.
"Das ist vollkommen verständlich", sagte ich sanft, "lass alles raus und dann sieh nach vorne. Es wird Zeit, wieder auf die Beine zu kommen."
Er konnte dabei auf mich zählen. 

"Ich versuche es ja", beteuerte er und schien sich auch allmählich zu beruhigen, "ich hab versucht einen Job zu finden, damit ich irgendwo ein Zimmer mieten kann, aber niemand wollte mich haben. Ich kann nichts. Das was ich gelernt habe, bringt nichts da draußen."

Ganz falsche Herangehensweise. Mein kleines Baby hier hatte nicht einen Master gemacht, um Müll in den Straßen unserer Stadt aufzusammeln. Doch seinen Master brauchte er erst mal wieder. Es wurde Zeit zu kämpfen. Sein Vater hatte ihm genug angetan. Monate auf der Straße. Wie konnte er nur? Hatte Jimin alle seine Unterlagen, dann hätte er schnell einen guten Job gehabt, der ihn vielleicht nicht gleich reich machen würde, doch auf jeden Fall könnte Jimin ein gutes Leben leben. 

Aber nein, sein Vater musste ihm ja den Himalaya in den Weg werfen und es extra darauf anlegen, dass sein Sohn auf der Straße landete, damit Jimin am besten noch das Gefühl bekam, dass er ohne seinen Vater kein Leben hatte, dabei war sein Vater einfach nur ein Arschloch, das keine Skrupel hatte, seinen Sohn völlig fertig zu machen, wenn der nicht nach der Pfeife tanzte. 

Mir ging auf, dass das wahrscheinlich sogar der Plan war. Park hatte Jimin auf die Straße gesetzt und alle Räder in Bewegung gesetzt, damit das auch ja so blieb, mit dem Ziel, dass Jimin nach einiger Zeit zurückkehrte und darum bettelte, wieder unter die Herrschaft seines Vaters treten zu können. Das war Gaslighting vom Feinsten. Er wollte Jimin beweisen, dass er es nicht ohne ihn schaffte und er gefälligst ein braver Sohn zu sein hatte, wenn er ein Leben haben wollte. Und dazu gehörte auch, sich solche Dinge wie schwul zu sein aus dem Kopf zu schlagen. 

Ich kam nicht umhin, Jimin zu bewundern, dass er es nicht getan hatte. Jimin war nicht zurückgekehrt. Er hatte nicht gebettelt. Er hatte sich auf der Straße behauptet und das für Monate. Klar war er nun mit seinen Kräften am absoluten Ende, und dass ihm jemand half, war höchste Eisenbahn, doch er hatte so wohl seinem Vater auf seine ganz eigene Art die Stirn geboten.

Nichtsdestotrotz: So bewundernswert sein passiver Kampf auch war, war es die falsche Art zu kämpfen, denn so würde er auf die Dauer verlieren. Er musste die Strategie ändern. Er konnte nicht weiter stumm ertragen, dass sein Vater in diesem Spiel mit gezinkten Karten spielte, und sich selbst weiter an die Regeln halten. Nein, es wurde Zeit, das Ass aus dem Ärmel zu holen und genauso unfair zu spielen. Mit Schlägen unter die Gürtellinie, wenn es sein musste.

An Unexpected GiftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt