❄Vier❄ How to feel comfortable: Hol Neondecken aus dem Schrank

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Hoseok

Mit großen Augen verfolgte Jimin meine Bewegungen und sah zu, wie ich die Milch und die Schokolade umrührte.
"Das tut mir leid", meinte er schließlich und sah sich um. Offensichtlich empfand er seine Frage nun als Fettnäpfchen.

"Kann ich helfen?", fragte er und versuchte damit nicht ganz galant, das Thema zu wechseln.
"Sagen Sie mir, was ich tun kann."
Ich schmunzelte leicht.
"Du könntest erstmal aufhören mich zu siezen, als wäre ich irgendwie 72. Wenn wir die Zahlen umdrehen wird da eher ein Schuh drauß", meinte ich.
"Und du musst gar nichts tun, das ist schon okay."
Jimin nickte leicht und setzte sich schließlich auf die Arbeitsplatte. Offensichtlich war es ihm zu awkward, nutzlos neben mir zu stehen, aber mich alleine hier stehen lassen wollte er wohl auch nicht. Irgendwie mochte ich seine Art, Probleme zu lösen. Darüber hinaus sah er niedlich aus, wie er in einem zu grossen Pulli von mir auf der Arbeitsplatte saß, ein bisschen verlegen auf seinem Daumennagel biss und mit schüchternen Blick mir bei meinem Treiben zusah.

"Wo kommst du her?", fragte ich.
Einerseits wollte ich das Gespräch am Laufen halten, andererseits war ich neugierig. Wer war Jimin wohl?
"Ich komme...", er zögerte und zuckte unentschlossen mit den Schultern.
"Sie ... du ... würdest es eh nicht glauben."
Er biss sich auf die vollen Lippen und senkte dann den Blick auf seine Hände, die auch mal wieder ein bisschen Creme vertragen konnten.
"Versuch es", meinte ich aufmunternd und goss den Kakao auf. Ich reichte ihm den Keramikbecher, er rutschte wieder von der Platte runter und nahm ihn mir ab.

"Ich bin in einem Haus groß geworden, wie diesem hier", meinte er, während ich mir auch einen Becher aufgoß. Er sah sich wieder um.
"Vielleicht ein bisschen kleiner?"

Ich stellte den Herd ab und löste mich von ihm.
"Und warum sollte ich dir das nicht glauben?", fragte ich.
Ich nahm meinen Becher und winkte Jimin mir wieder nach. Er folgte mir und ich führte ihn in das riesige Wohnzimmer mit Kamin.
"Naja, weil ich ein Penner von der Straße bin?", fragte er gegen.
Ich machte eine einladende Geste zum Sofa, und er nahm Platz. Er setzte sich in den Schneidersitz und wärmte sich die Hände an seinem Becher.

"Das Erste was man da vermutet, sind Drogen in der Familie oder so", murmelte er.
Ich stellte meinen Kakao auf den Couchtisch und ging dann zu dem Schrank in der Ecke gegenüber der Tür. Es wurde Zeit für Kuscheldecken. Jeder liebte Kuscheldecken. Schnell zog ich eine hervor.

"Naja, nein. Manchmal reicht auch nur ein Funken Pech, alles gerät aus den Fugen und das Chaos summiert sich. Und ehe man sich versieht, hat man alles verloren", widersprach ich.
"Und dann steht man zum Beispiel auf der Straße."
Ich musterte ihn.
"Ist es nicht so?", fragte ich.
Er seufzte leise und nickte.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Jimin aus keiner Drogenfamilie kam, eher im Gegenteil.
Er wirkte fast ein wenig vornehm, auch wenn ich nicht genau betiteln konnte, woran ich das festmachte. Er hatte eine gewisse Eleganz, mit der er sich bewegte. Er mochte im Schneidersitz sitzen, aber der Rücken war gerade. Sein inzwischen etwas zu langes Haar war einst gefärbt und geschnitten gewesen, außerdem drückte er sich auch nicht wie ein Junge aus einer Junkyfamile aus, er sprach keinen Slang oder dergleichen, im Gegenteil. Außerdem merkte man ihm an, dass er streng erzogen worden war.

Ich reichte ihm die Decke und lächelte ihm zu.
"Bald sind wir komplett eingeschneit, also können wir es uns auch ein bisschen gemütlich machen", schlug ich vor.
Er nahm mir die Decke ab, und wie schon bei dem Kakaovorschlag hellte sich sein Gesicht auf, als hätte er im Lotto gewonnen. Ich sagte doch - jeder liebte Kuscheldecken. Es war so süß, wie er sich über eine simple Decke freute. Er breite sie über sich aus und strich fast schon ehrfürchtig mit der Hand, die nicht den Kakao hielt, über den weichen Stoff. Mir wurde ganz warm ums Herz.

Ich dachte an meine Frau, die die Decken sofort in den Schrank verbannt hatte, weil ihr die bunte Farbe nicht passte - sie war ja wohl kaum kombinierbar mit dem Braun vom Sofa - eigentlich war sie mit gar nichts kombinierbar, es war schreipink - und überhaupt, was war das für ein billiger Schrott. Und jetzt hatte ich hier Jimin, der an der Decke zupfte und dabei aussah wie der glücklichste Mensch der Welt.

Ich nahm mir auch eine - sie war leuchtend gelb, und ja ich gebe zu: Ich hatte sie vielleicht auch nur gekauft, weil ich wusste meine Ex würde es aufregen, wenn die Dinger rumlagen - und gesellte mich zu Jimin. Ich nahm meinen Kakao wieder zur Hand und gönnte mir einen großen Schluck.

Jimin schien zu bemerken, dass ich ihn beobachtete, und stoppte seine goldige Decken-Appreciation. Er wurde rot und trank seinen Kakao.
"Entschuldigung", sagte er schnell, "du nimmst mich auf, und ich verhalte mich dann so seltsam, ich ... ähm ... i-ich hatte nur lang keine Decke mehr und ..."
Ich winkte ab. Er hatte ja keine Ahnung. Ich fand ihn alles andere seltsam. Ich fand ihn absolut liebenswürdig.

"Entspann dich", meinte ich und trank meinen Kakao.
"Ich denke es ... ist Bestimmung, dass du hier bist. Also fühl dich bitte einfach als genau dort anwesend, wo du sein sollst."

Okay, was redete ich da?

Und er machte sich Gedanken, dass er der Weirdo sein könnte.
"Du glaubst also an Bestimmung?", fragte er leise und klang fast ein wenig bitter.
Er fuhr sich verlegen durch die Haare.
"Ich glaube eigentlich an gar nichts mehr", sagte er.

Ich trank meinen Kakao aus und überlegte, ob ich weitersprechen sollte, doch dann gab ich mir einen Ruck.
"Naja ... mein Tank", begann ich, "der war voll genug. Ich hätte nicht an die Tanke gemusst, und doch hielt ich dort. Mir kam der Gedanke, wenn ich den Tank einfach trotzdem schon mal auffüllte, dann konnte ich auch gleich Alk dazu kaufen und mich betrinken, dabei trinke ich nie was. Und was mir ganz sicher noch nie passiert ist, ist, dass ich mein Auto offen lasse. Und doch sind wir jetzt hier."

Er ließ sich das ganze durch den Kopf gehen, doch er sagte nichts dazu. Musste er auch gar nicht. Warum auch eine Grundsatzdiskussion führen, wenn man so viel entspanntere Dinge tun konnte? Jimins Blick wanderte zu mir, und ich konnte Sorgen in seinen weichen, braunen Rehaugen erkennen.
"Du wolltest dich betrinken?", fragte er bedauernd, und ich zuckte mit den Schultern.

"Naja Weihnachten alleine...", fing ich an, "frisch verlassen, meine Eltern wollen mich enterben - ich mein, ich bin reicher als sie, aber trotzdem - und mein Bruder hatte einen Autounfall, also ist auch dieser nicht hier."
Ich seufzte und fuhr mit der Hand durch die Haare. Ich trank den letzten Schluck von meinem Kakao und stellte die Tasse ab. Das Klacken, das sie dabei von sich gab, hörte sich in der Stille, die uns umgab, viel zu laut an.
"Da dachte ich mir, ich kann mich betrinken, wenn es eh keiner sieht."

Oh wow. Ich war eine richtige Stimmungskanone!

Jimin mustere mich. Dann rutschte er ein bisschen näher an mich ran.
"Die Frau, die dich verlassen hat, verstehe ich nicht", fing er an und wurde wieder ein bisschen rot um die Nase. Ich fragte mich, was er dachte.
"Zudem hast du immerhin ein Haus, also bist du nicht gleich auf der Straße, wenn deine Eltern dich enterben. Wenn doch, dann mach ich Platz auf meinem Karton."

Nein, wie niedlich. Ich lachte leise. Das war süß, aber ich dachte mir, wir waren besser bei mir aufgehoben.
"Das mit deinem Bruder tut mir wirklich leid, ich hoffe es geht ihm bald besser."
Ich biss mir auf die Lippe. Januar, viel zu schnell und Schneeglätte. Er hatte keine Chance gehabt.

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es meiner kleinen Schwester geht", erzählte er weiter, "denn sie darf nicht mehr mit mir reden. Ich kann das also nachfühlen, irgendwie."
Ich blies die Backen auf.
"Sich betrinken zu wollen?" fragte ich scherzhaft, und Jimin lachte leise.
"Ja vielleicht auch das", meinte er.
"Ich hab Amaretto", erwiderte ich locker.
Jimin schürzte die vollen Lippen. Dann lachte er wieder.

"Lass uns Tee mit Schuss machen."

An Unexpected GiftWhere stories live. Discover now